
30 Jahre nach Christo und Jeanne-Claude : Reichstagsgebäude mit Licht verhüllt
Vor 30 Jahren verhüllte das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude das Reichstagsgebäude. Nun erinnert ein Illuminationsprojekt an die Kunstaktion im Sommer 1995.
Es ist ein kühler Abend am Pfingstmontag, die Sonne ist vor kurzem untergegangen und über dem Reichstagsgebäude steht ein großer roter Vollmond. In dieser Kulisse warten Hunderte Menschen auf die Premiere der Lichtinstallation, die jede Minute beginnen soll.
Von jung bis alt sind alle vor Ort. Familien mit Kindern, Jugendliche, Ältere. Sie alle stehen am Geländer und auf den Flächen rund um das Reichstagsgebäude oder sitzen auf Bänken. Manche haben sich eine Picknickdecke mitgenommen und es sich darauf gemütlich gemacht. Während die Menschen auf den Beginn der Projektion warten und auf den Parlamentsbau schauen, herrscht eine respektvolle Stille, allenfalls leise Unterhaltungen sind zu hören. Viele sind gespannt auf das, was gleich zu sehen sein wird.
Der digitale Vorhang fällt: Alte Erinnerungen werden geweckt, neue geschaffen
Kurz vor 22 Uhr ist es dann so weit – die Projektion zur Feier des 30. Jahrestages von Christos und Jeanne-Claudes verhülltem Reichstag im Jahr 1995 beginnt. Die ersten "Oohs" und "Aahs" kommen aus dem Publikum. Viele, die vorher gesessen haben, stehen nun auf und gehen so nah wie möglich ans Reichstagsgebäude. Handys leuchten auf, Fotos und Videos werden gemacht.
Gespannt verfolgen die Zuschauer zunächst, wie ein Linienmuster auf das Gebäude gezeichnet wird. Als diese Zeichnung nach wenigen Minuten vorbei ist, ist es wieder unbestrahlt. Manche im Publikum sorgen für Gelächter untereinander mit Bemerkungen wie "Das war‘s, Feierabend!". Doch nach wenigen Sekunden rollt er dann langsam und beeindruckend herunter: der weiße Vorhang à la Christo und Jeanne-Claude. Dieser Moment lässt viele staunen und sorgt durch das verhaltene Tempo des Herunterrollens für einen besonderen Augenblick.
Spätestens jetzt sind die Scherze vorbei und viele Besucher genießen den Blick auf die Lichtprojektion. Je dunkler es wird, desto mehr kommt das Illuminationsprojekt zur Wirkung und desto deutlicher sind Einzelheiten zu erkennen. Durch künstlerische Details, zum Beispiel, dass es so aussieht, als würden große Stoffteile im Wind wehen, wirkt es auf viele Besucher so, als wäre das Reichstagsgebäude tatsächlich erneut von einem weißen Vorhang verhüllt. "Ja, es sieht aus wie ein Vorhang", sagt eine junge Frau zu ihrer Begleitung.
Heute wie damals ein Erfolg – trotz Unterschiede und damaliger Bedenken
Einer der Zuschauer ist der ehemalige Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen, Thomas Mirow (72). Er freut sich, dass die Lichtinstallation für dieses "spektakuläre Jubiläum auf die Beine gestellt wird" und findet: “Es macht Spaß.”
Spaß machte es auch den Besuchern, die schon im Sommer 1995 dabei waren, als das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude nach 23 Jahren Planung ihren Traum vom "Wrapped Reichstag" Wirklichkeit werden ließen. Einer von ihnen ist Malte Truxius (50) aus Wolfsburg. 1995 war er 20 Jahre alt und ist mit seiner damaligen Freundin nach Berlin gefahren, um das Kunstprojekt zu sehen. Er erinnert sich an diesem Abend an das Gemeinschaftsgefühl, das er damals verspürte. Dazu beigetragen habe auch der Mauerfall, der erst sechs Jahre zuvor stattgefunden hatte. "Ein so riesiges Gebäude zu verhüllen, Wahnsinn. Was das für ein Aufwand war. Einmalig!", erinnert sich Truxius begeistert. Damals war “das vordere Feld noch frei, alles war friedlich, viele haben gepicknickt.”
Insgesamt besuchten damals mehr als fünf Millionen Menschen das Kunstprojekt. Befürchtungen von Gegnern des Projekts wie Bundeskanzler Helmut Kohl und dem CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schäuble, dass es bei solch großen Ansammlungen von Menschen zu Konflikten und Auseinandersetzungen kommen könnte, wurden widerlegt. Der verhüllte Reichstag ging in die Geschichte ein.
„Mit diesem Projekt kann sich im Grunde genommen jeder staunend identifizieren und das ist das Verbindende von Kunst.“
Einer, der 1995 jeden Tag dabei war und auch schon die Aufbauarbeiten mitverfolgte, war der Journalist Andreas Georg. Der 55-Jährige hat zu Hause noch ein Stück Stoff von damals: "Die wurden an alle verteilt, die eins wollten." Seine Frau Alexandra (57) findet die Projektion “sehr beeindruckend, und das auch noch mit Vollmond.” Auch viele Kinder sind an diesem Abend dabei. Martha (10) findet es "eigentlich ganz cool". Ihre Mutter erzählt, dass Martha selbst unbedingt die Installation sehen wollte. Der 12-jährige Georg findet es "schön, dass die ganze Vorderseite beleuchtet ist".
Die Initiatoren des “Verhüllten Reichstags” setzen auf das Verbindende von Kunst
Die Initiatoren des Illuminationsprojekts sind der Kulturmanager Peter Schwenkow, der Unternehmer Roland Specker sowie der Christo-Neffe Vladimir Yavachev. Die drei haben das Projekt mit ihren Unterstützern privat initiiert und finanziert. Was sie sich davon erwarten? "Die Hoffnung ist, wenn alle vor dem Reichstag sitzen, der so aussieht wie vor 30 Jahren, dann ist es völlig egal, ob sie arm oder reich, links oder rechts, groß oder klein, Inländer oder Ausländer sind. Mit diesem Projekt kann sich im Grunde genommen jeder staunend identifizieren und das ist das Verbindende von Kunst, denke ich", so Schwenkow gegenüber der dpa. Der Wunsch Schwenkows wurde ihm am Premierenabend schon mal erfüllt.
Das Illuminationsprojekt kann noch bis zum 20. Juni 2025 in der Zeit von 21.30 Uhr bis 1.00 Uhr an der Westfassade des Reichstagsgebäudes kostenlos besichtigt werden.
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