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Foto: picture-alliance/ZB/Ernst Ludwig Bach
Zu DDR-Zeiten aus dem Boden gestampfte Quartiere wie die Großsiedlung in Berlin-Marzahn haben heute keinen guten Ruf.

Serielles Bauen als Ausweg aus der Baukrise : Erlebt der Plattenbau ein Comeback?

Die Bundesregierung will der Baukrise verstärkt mit standardisierter moderner Technik und Baustoffen wie Holz und Glas beikommen. In der Branche gibt es Skeptiker.

22.03.2024
2024-03-26T09:43:12.3600Z
6 Min

Bundesbauministerin Klara Geywitz und Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) versuchen seit Amtsbeginn der Ampelregierung Ende 2021, den lahmenden Wohnungsbau wieder zum Laufen zu bringen. Ob beim Wohnungsbaugipfel im vergangenen September, bei dem ein 14-Punkte-Maßnahmenpaket zur Ankurbelung der Bautätigkeit vorgelegt wurde, oder beim Festakt zum 125-jährigen Jubiläum des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe (ZDB) Mitte März:

Stets versprechen Scholz und seine Bauministerin, dass die Branche die Durststrecke bald überstanden hat. Beim ZDB gab sich der Bundeskanzler sehr optimistisch und rechnete mit einem Ende des Abwärtstrends. "Vieles spricht dafür, dass sich der Wohnungsbau jetzt stabilisiert", sagte Scholz. Die Baupreise könnten nach Jahren der Steigerung in diesem Jahr endlich wieder sinken, so die Hoffnungen des Kanzlers. Bundesbauministerin Klara Geywitz setzt zudem auf Schützenhilfe von der Europäischen Zentralbank (EZB). "Wir hoffen auf Zinsschritte der EZB", sagte die SPD-Politikerin.

Bundeskanzler Scholz fordert mehr Mut beim seriellen Bauen

Und noch ein Thema beherrscht die Reden für mehr Wohnungsbau bei Scholz und bei Geywitz: das serielle Bauen. Der Bundeskanzler fordert mehr Mut, man solle die modernen seriellen Bauten nicht mit den Plattenbauten aus der DDR verwechseln. Vielmehr böten die neuen Konzepte Möglichkeiten, mit denen die Grundstruktur eines Gebäudes mehrfach erbaut werden könne, sobald diese einmal genehmigt wurde. Bauministerin Geywitz arbeitet seit Monaten mit den Landesbauministern an einer Vereinfachung von Vorschriften, um schneller und vor allem preisgünstiger bauen zu können, doch es gibt große Differenzen.

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Zwar haben mittlerweile fast alle Bundesländer eine sogenannte Typengenehmigung in den Bauordnungen aufgenommen und damit eine Vereinfachung von seriellem Bauen ermöglicht. Doch in den verschiedenen Bundesländern werden nicht überall die Typengenehmigungen anderer Bundesländer anerkannt. Die Länder sind zwar offiziell bereit, dass harmonisierte Typengenehmigungen für das serielle und modulare Bauen bundesweite Gültigkeit erhalten, doch immer neue Forderungen des Bundes, die Landesbauordnungen zu vereinheitlichen, stoßen bei den Ländern auf wenig Gegenliebe. Eine umfassende Liberalisierung würde dann auch das Wohnen in Gewerbegebieten erleichtern. Bislang sieht das Bauplanungsrecht zwar Mischgebiete vor, doch die Nutzungsarten Wohnen und Gewerbe müssen gleichberechtigt vertreten sein.

Baubranche sieht serielles Bauen nicht als Königsweg

In der Baubranche stößt serielles Bauen nicht nur auf Zustimmung. Der ZDB sieht die entsprechende Bautechnik kritisch. Serielles Bauen sei zwar ein Baustein zur Lösung der Probleme, aber nicht der alleinige Königsweg. Die Bauweise sei im Innenstadtbereich nicht geeignet und brauche viel Fläche. Zudem bestehe die Gefahr, dass neue Großraumsiedlungen dieses Typs dazu führen, dass es in solchen Gebieten zu sozialen Spannungen komme. Anders urteilt der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA). Dort gilt das serielle Bauen als ein entscheidender Hebel, um bis 2025 in die Nähe der benötigten 750.000 zusätzlichen Wohnungen zu kommen. Auch vereinfachte und standardisierte Auflagen seien notwendig. So könne nicht nur Wohnraum, sondern Infrastruktur wie Schulen oder Krankenhäuser leichter und schneller gebaut werden.

Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) teilt mit, der Anteil des seriellen und modularen Bauens am Gesamtwohnungsbau der GdW-Unternehmen liege aktuell bei rund fünf Prozent. Im GdW sind etwa 3.000 Wohnungsgesellschaften und Wohnungsbaugenossenschaften organisiert. "In den kommenden Jahren soll der Anteil seriell und modular erbauter Wohneinheiten auf etwa zehn Prozent anwachsen", sagt Axel Gedaschko, Präsident beim GdW. Schließlich habe eine Studie aus Leipzig gezeigt, dass durch serielles Bauen mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden könne.

Das serielle Bauen hat einen schlechten Ruf - wegen der DDR-Platten

Doch auch deren Mitautor Oliver Rottmann, Geschäftsführer beim Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge an der Universität Leipzig, gibt zu, dass das serielle und damit industrielle Standardbauen im großen Stil immer noch unter einem schlechten Ruf - wegen der Erinnerung an die Plattenbausiedlungen in der ehemaligen DDR - leidet.

​​​​​​​Die Wohnbaukrise in Zahlen

❗️❗️ Wohnungsnot: In den 77 deutschen Großstädten fehlen fast zwei Millionen günstige Wohnungen. Das ergab eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung.

🔨Wohnungsbau: Das ifo-Institut schätzt, dass 2024 lediglich 225.000 neue Wohnungen fertiggestellt werden, 45.000 weniger als in 2023.

📉 Auftragsmangel: Die Hälfte der Wohnbauunternehmen hat zu wenige Aufträge. Der Auftragsmangel führt bereits zu Entlassungen bei Mitarbeitern.



Dabei werden nicht nur immer weniger Wohnungen gebaut, auch die Baugenehmigungen sind stark rückläufig. Im vergangenen Jahr wurden laut Statistischem Bundesamt 260.100 Wohnungen genehmigt. Niedriger war die Zahl zuletzt im Jahr 2012 mit damals 241.100 Einheiten. Das deutet darauf hin, dass die Bundesregierung auch künftig ihr Ziel von 400.000 fertiggestellten Wohnungen pro Jahr verfehlen wird.

Die Stimmung im deutschen Wohnungsbau ist angesichts dieser Zahlen so schlecht wie noch nie, meldete das ifo-Institut vorige Woche. Mehr als jede zweite Baufirma sei mit der aktuellen Geschäftslage unzufrieden. Auch die Erwartungen für die kommenden Monate steckten im Keller fest.

Baufirmen sprechen nicht mehr vom Plattenbau und setzen auf Umweltbeton

Firmen wie Max Bögl oder Goldbeck könnten die Wende bringen. Sie gelten als Experten für serielles und modulares Bauen. Den Ausdruck Plattenbau benutzen diese Hersteller nicht. Bögl gilt mit seinem modularen Bausystem als führend im Segment des seriellen Bauens. Die Teile werden industriell vorgefertigt, laut Hersteller erfolgt das nachhaltig. Das Unternehmen hat dazu einen speziellen Umweltbeton entwickelt, wodurch C02-Emissionen eingespart und energetische Standards ermöglicht werden. Auch ein eventueller Rückbau oder Umbau sei dadurch klimaschonend möglich. Die serielle Produktion sowie eine standardisierte Montage der Wohnmodule ermögliche gleichbleibende Qualität für Wohngebäude, auch in Kombination mit Handel, Schulen oder Reihenhäusern, schreibt die Firma.

Wie ein solches Projekt aussehen kann, ist derzeit in Berlin-Neukölln zu besichtigen. Direkt am Teltow-Kanal baut dort die Firma Goldbeck 15 Wohngebäude mit insgesamt 860 Wohnungen, davon 100 Sozialwohnungen. Auf 39.000 Quadratmetern entsteht ein Wohnquartier, mit Kita, Sportstätten sowie einer Anbindung an Schulen. 2026 sollen die ersten Bewohner einziehen. "Wir können es uns nicht länger leisten, beim Bau einer Wohnung immer wieder mit einem weißen Blatt zu starten", schreibt Goldbeck. In Zeiten hoher Nachfrage sei die systematische Bauweise sinnvoll, weil dadurch eine schnelle Planung und ein Bau in Serie möglich würden. Die industriell vorgefertigten Bauelemente werden vor Ort an der Baustelle montiert, das spart Zeit.


„Alte Baufehler nicht wiederholen, sondern Neubau und Bestand ergänzen.“
Oliver Rottmann, Ökonom, Universität Leipzig

Seit 2020 hat das Unternehmen über 1.000 Wohneinheiten fertiggestellt. In Planung und im Bau befinden sich aktuell 31 Projekte mit insgesamt rund 3.200 Wohneinheiten.

Anders als bei der DDR-Platte verwenden die heutigen Anbieter Bauteile nicht nur aus Beton, sondern vor allem aus Holz, Glas und Stahl. In der DDR lebte 1989 jeder dritte Einwohner in einer Plattenbauwohnung. Im Rahmen des Wohnungsbauprogramms entstanden dort zwischen 1972 bis 1990 etwa 1,9 Millionen Plattenbauwohnungen.

Westdeutsche Plattenbausiedlungen wurden häufig zu sozialen Brennpunkten

Auch in Westdeutschland sind Großwohnsiedlungen in Plattenbauweise errichtet worden. Dort wurde das Bauverfahren jedoch vor allem für den sozialen Wohnungsbau genutzt, was dazu führte, dass sich etliche dieser Stadtteile zu sozialen Brennpunkten entwickelten. Es gibt aber auch Gegenbeispiele. Die Bauten zur Unterbringung der Teilnehmer der Olympischen Sommerspiele von 1972, das Olympiazentrum in Kiel/Schilksee sowie das Olympische Dorf in München, sind in Plattenbauweise errichtet. Aufgrund der besonderen Bebauung, Nutzung und Bewirtschaftung gelten diese Beispiele nicht als soziale Brennpunkte. Im Gegenteil, der Wohnwert des Olympischen Dorfes München gilt als sehr hoch. In den 3.500 Wohnungen leben aktuell 6.000 Menschen. Gleiches gilt für die so genannten Edelplatten in den Innenstädten Berlins, Leipzigs oder Dresdens. Die Gebäude werden überwiegend von Menschen bewohnt, die neben der zentralen Lage auch die Geschichte der Häuser schätzen.

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Für zukünftige Wohnquartiere aus seriell hergestellten Bauten rät Ökonom Rottmann dazu, die Baufehler aus der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Vor allem sei darauf zu achten, "optisch keine neuen reinen Plattenbausiedlungen aus dem Boden zu stampfen". Vielmehr gelte es, dass sich Neubau und Bestand ergänzen. "Attraktive und sich ins Quartier einfügende Architektur ist sowohl seriell gefertigt als auch konventionell darstellbar", sagt Rottmann.