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Vorstoß der EU-Ratspräsidentschaft scheitert : Falsches Instrument für das richtige Ziel

Wo endet Schutz, wo beginnt Kontrolle? Die Opposition ist sich einig: Schwarz-Rot soll sich langfristig gegen die Einführung der „Chatkontrolle“ in der EU einsetzen.

10.10.2025
True 2025-10-10T14:42:35.7200Z
4 Min

Es kommt nur selten vor, dass sich Tech-Firmen, Datenschützer, Wissenschaftler und zivilgesellschaftliche Organisationen wie etwa der Kinderschutzbund bei digitalpolitischen Themen einig sind. Die unter dem Stichwort "Chatkontrolle" bekannt gewordene europäische CSA-Verordnung ist jedoch genau so ein Thema: Mit ihr soll sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Netz bekämpft werden, indem Anbieter von Messenger- und Hostingdiensten dazu verpflichtet werden, Material im Bereich des sexuellen Online-Kindesmissbrauchs aufzufinden. 

Die Befürchtung vieler ist jedoch: Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung könnte ausgehöhlt, die Anbieter zum flächendeckenden und automatischen Durchsuchen digitaler Inhalte verpflichtet werden - und autoritären Begehrlichkeiten könnte Tür und Tor geöffnet werden.

Foto: picture alliance / PICTURE POINT / Sven Sonntag

Seit Jahren protestieren Kritiker gegen die aus ihrer Sicht durch die geplante Verordnung möglichen Eingriffe in die Privatsphäre.

Dieser Streit erreichte in dieser Woche auch den Bundestag: In einer von der AfD-Fraktion verlangten Aktuellen Stunde forderte die Opposition die Bundesregierung auf, sich langfristig gegen die Einführung einer "Chatkontrolle" und für den Schutz verschlüsselter Kommunikation einzusetzen. Grüne und Linke hatten zusätzlich Anträge zum Thema im Bundestag eingebracht. Dem vorausgegangen war eine tagelange Flut von E-Mails an die Entscheidungsträger mit Kritik am von der dänischen EU-Ratspräsidentschaft vorgelegten Verordnungsentwurf. Dieser sollte ursprünglich auf der Tagesordnung der Justiz- und Innenminister am 14. Oktober stehen. Doch die dänische Regierung habe, berichteten Vertreterinnen der Bundesregierung am Mittwoch  im Digitalausschuss, Abstand von der Abstimmung genommen.

Überprüfung von Bildern, Videos und Links in der Diskussion

Dem Vorschlag zufolge sollten Messengerdienste Bilder, Videos und Links bereits auf den Geräten der Nutzer auf kinderpornografische Inhalte überprüfen, also bevor sie verschlüsselt und gesendet werden. Dazu müsste mittels des sogenannten Hash-Verfahrens eine Prüfsumme gewonnen werden, die mit den Werten bekannter Darstellungen verglichen wird. Dieses "Client-Side-Scanning" soll die Verbreitung solcher Inhalte verhindern. Kritiker monieren jedoch die hohen Fehlerquoten des Verfahrens bei leichten Veränderungen am Material oder bei neuen Fotos und Videos.

Nach der Absage an eine anlasslose Kontrolle von Chats von Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) am Dienstag sagte auch Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD), dies müsse in einem Rechtsstaat tabu sein. Redner aus den Reihen der schwarz-roten Koalition betonten in der Debatte am Donnerstag einhellig, dass die gesamte Bundesregierung den dänischen Vorschlag ablehne.

Die wichtigsten Zahlen auf einen Blick

👩‍✈️ Laut Bundeslagebild Sexualdelikte vom August 2025 bewegt sich die Zahl der polizeilich registrierten Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen mit 16.354 Fällen bei Kindern sowie 1.191 Fällen bei Jugendlichen weiter auf einem hohen Niveau und über dem Fünf-Jahres-Durchschnitt. 

📈 Mit 9.601 Fällen (plus 8,5 Prozent) erreichte die Anzahl der Fälle von Herstellung, Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornografischer Inhalte laut BKA-Angaben einen Höchstwert. Seit dem Jahr 2020 haben sich die Fallzahlen damit mehr als verdreifacht. Die registrierten Straftraten rund um kinderpornografische Inhalte seien zwar gesunken, blieben aber mit 42.854 Fällen weiter auf einem hohen Niveau.

🗺️ Nach Angaben der Internet Watch Foundation stammen 62 Prozent des weltweit bekannten kinderpornografischen Materials von Servern innerhalb der EU.



Als Gesellschaft dürfe man niemals wegsehen und müsse alles tun, um Kinder zu schützen, sagte der SPD-Digitalpolitiker Johannes Schätzl. Das gelinge aber nicht mit den falschen Instrumenten, sagte er mit Blick auf die 2,8 Milliarden täglich verschickten Nachrichten. Der CDU-Abgeordnete Johannes Rothenberger sprach sich für die Linie des Europäischen Parlaments aus. Demnach dürfe es "kein generelles Scannen" geben, sondern nur in einzelnen, "eng definierten Fällen, als letztes Mittel bei konkretem Verdacht, zeitlich begrenzt und nur mit richterlicher Anordnung", so Rothenberger.

Für die AfD-Fraktion forderte Ruben Rupp von der Bundesregierung eine Erklärung, dass es in dieser Legislaturperiode keine Zustimmung zur sogenannten "Chatkontrolle" geben werde. Die anlasslose Massenüberwachung schütze Kinder nicht effektiv vor Tätern, Kinderpornografie und Missbrauch, betonte Rupp. Es brauche vielmehr Abschreckung und "Opferschutz statt Täterschutz".

Grüne und Linke sehen Angriff auf die Grundrechte

Die Grünen-Abgeordnete Jeanne Dillschneider sagte, das Ziel der CSA-Verordnung, nämlich "der Schutz von Kindern und Jugendlichen, das teilen wir alle". Die Einführung der "Chatkontrolle" sei jedoch kein geeignetes Instrument dafür. Sie sei ein "flächendeckender Eingriff in unsere Privatsphäre, der zu Fehlalarm, Zensur und Sicherheitslücken" führe. Millionen von Falschmeldungen, die durch fehleranfällige Künstliche Intelligenz (KI) verursacht werden, würden die Ermittler von der Aufklärung solcher Verbrechen abhalten. Nötig sei unter anderem der Ausbau des Personals bei den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden.

Glossar

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Scharfe Kritik äußerte Donata Vogtschmidt (Die Linke), die der Bundesregierung vorwarf, im Stillen eine EU-weite digitale Massenüberwachung installieren zu wollen. Sie kritisierte, dass "nur eine zweistellige Zahl" von Mitarbeitern im BKA mit der Suche und dem Löschen von Darstellungen sexualisierter Gewalt bei Kindern befasst sei. Ihre Forderung: Neben dem Stopp der Chatkontrolle brauche es ausreichend Mittel für die Kinder- und Jugendhilfe, Jugendämter und digitale Bildung.

Die Diskussion auf EU-Ebene der verschiedenen Vorschläge dauert seit mehr als drei Jahren an. Eine Einigung im Rat, der genügend Mitgliedsstaaten zustimmen, gelang bisher nicht. Das EU-Parlament hat seine Position bereits 2023 gefunden und sieht eine mögliche "Chatkontrolle" durch alle politischen Lager kritisch: Schutz der Kinder ja - aber nicht um den Preis der Freiheit.

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