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Dorothee Martin im Interview : "Wir brauchen bei der Bahn andere Prozesse"

Die SPD-Verkehrspolitikerin begrüßt die gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft von DB Netz, DB-Station und Service unter dem Dach des Bahnkonzerns.

26.06.2023
2024-03-05T11:25:57.3600Z
5 Min

Frau Martin, die Bahnreform 2.0 steht an. Dabei gilt doch die Bahnreform von 2014 mit der Privatisierung der Bahn und dem angedachten Börsengang bei vielen als Grund der massiven Probleme bei der Deutschen Bahn AG. Ist der Name ungünstig gewählt?

Dorothee Martin: Dass die Privatisierung Beginn allen Übels gewesen sein soll, würde ich nicht sagen. Die Probleme der Bahn sind nicht hauptsächlich auf die Bahnreform zurückzuführen. Sie haben eher mit einer nicht ausreichenden Finanzierung, einer nicht ausreichenden politischen Steuerung und einer mangelnden Sanierung zu tun. Wir brauchen bei der Bahn deutlich andere Prozesse und Strukturen, weshalb wir uns im Koalitionsvertrag auch auf die gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft geeinigt haben, die DB Netz und DB-Station und Service verschmelzen soll.

Foto: Deutscher Bundestag / Ute Grabowsky / photothek

Dorothee Martin ist verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag und Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG.

Ihre Ampelpartner von der FDP aber auch von den Grünen haben in der Vergangenheit eine Trennung von Netz und Betrieb gefordert. Ist das jetzt ein Kompromiss, damit die SPD eine Zerschlagung des Konzerns überhaupt mitträgt?

Dorothee Martin: Das ist ja jetzt keine Zerschlagung - eher das Gegenteil. Wir führen zwei Sparten zusammen, die viel zu wenig miteinander kooperieren haben, damit sie nun ihre ganzen Prozesse und Baumaßnahmen aufeinander abstimmen. Außerdem werden die Gewinne der Infrastruktursparte künftig wieder direkt ins Schienennetz fließen.

Wenn aber die neue Infrastrukturgesellschaft unter dem Dach des Bahnkonzerns verbleibt, was ändert sich dann?

Dorothee Martin: Wir müssen eine bessere Finanzierung für die Bahn gewährleisten. Dazu verändern wir komplett die Finanzierungsarchitektur. Darauf haben wir uns zuletzt im Koalitionsausschuss auch verständigt. Es ist aber nicht nur eine Frage der Geldsumme. Bislang gibt es viel zu viele Töpfe, aus denen das Geld kommt und wodurch es wahnsinnig kompliziert ist, Planung und Sanierung voranzutreiben. Das wollen wir auf maximal zwei Fördertöpfe vereinfachen. Das ist eine Kernfrage. Durch das Bundesschienenwegeausbaugesetz, was ja wie das Muttergesetz ist, werden neue Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen. Im Laufe des zweiten Halbjahres werden viele Fragen, die auch wir aktuell noch haben, etwa zu dem Themen Steuerung und Kennzahlen beantwortet.

Wie geht es weiter mit der DB Schenker? Verkehrsminister Volker Wissing will den weltweit agierenden Lkw-Logistiker aus dem Bahnkonzern lösen und verkaufen. Der Aufsichtsrat der DB, dem Sie ja angehören, hat dem Bahnvorstand unlängst einen Prüfauftrag erteilt. Sind Sie für den Verkauf?

Dorothee Martin: Es existiert ein solcher Prüfauftrag. Das Ergebnis liegt aber noch nicht vor. Es gibt sehr viele Für und Wider. Ich warte das Ergebnis ab.

Im kommenden Jahr soll die Generalsanierung der Hochleistungskorridore beginnen. Damit sind dann aber auch Streckensperrungen verbunden...

Dorothee Martin: Anders als bisher wird dann aber alles gemacht: Gleise, Signaltechnik und auch die Bahnhöfe. Bislang erfolgte die Sanierung auch wegen der mangelhaften Finanzierungsstruktur Stück für Stück, was in der Summe zu noch viel längeren Streckensperrungen geführt hat. Diese Zerstückelung zu durchbrechen, ist das Konzept der Hochleistungskorridore. Das ist eine der wichtigsten Neuerungen im Rahmen der Reorganisation der Bahn.


„Bis Ende Juni will das Verkehrsministerium ein neues Konzept auch zum Thema Betriebskostenförderung vorlegen.“
Dorothee Martin (SPD)

Mit dem Deutschlandtakt soll Bahnfahren attraktiver werden. Bis 2030 soll die Zahl der Reisenden verdoppelt werden. Ein realistisches Ziel?

Dorothee Martin: Wir haben nicht das Problem, dass es zu wenig Nachfrage gibt. Weder bei Personen noch bei Gütern. Es fehlt aber an der nötigen Kapazität. Zudem ist das Schienennetz völlig marode. Wir müssen also eine Generalsanierung machen, die auch schon mehr Kapazität bringt. Beim Deutschlandtakt geht es vor allem um Verlässlichkeit. Vor zwei Wochen war ich mit dem Verkehrsausschuss in der Schweiz, die ja bahntechnisch als Vorbild gilt. Da wurde uns ganz deutlich gesagt: Ihr braucht mehr Kooperation statt weniger, Ihr braucht vor allem Verlässlichkeit in den Trassen.

Um den Deutschlandtakt umsetzen zu können, sind auch neue Hochgeschwindigkeitsstrecken geplant. Zwei der Tempo-300-Strecken im Norden sind jetzt auf Ablehnung der dortigen SPD-Landesgruppen gestoßen. Ist das für Sie ein Problem?

Dorothee Martin: Ich sehe das ganz entspannt. Es gibt bei fast allen Bahnstrecken Diskussionen. Wir Verkehrspolitiker sind mit den Landesgruppen im Gespräch. Wichtig ist eine von allen getragene Lösung, die umsetzbar ist und die auch die benötigte Kapazität bringt. Das ist jetzt eine Stellungnahme von zwei Landesgruppen, mit der wir konstruktiv umgehen.

Nicht weniger ambitioniert als beim Personenverkehr sind auch die Ziele im Schienengüterverkehr. Bis 2030 sollen mindestens 25 Prozent der Güter auf der Schiene transportiert werden. Die DB Cargo, die die Einzelwagenverkehre verantwortet, schreibt aber schon seit Jahren in dem Bereich rote Zahlen. Also weg von den Einzelwagenverkehren?

Dorothee Martin: Auf gar keinen Fall. Damit würde man dem Klimaschutz einen Bärendienst erweisen. Es gibt zudem eine hohe Nachfrage in der Industrie nach dem Transport einzelner Wagen statt eines ganzen langen Zuges. Dahinter steht aber ein hoher Logistik-, Material- und Personalaufwand. Seit 2020 gibt es die Förderung für den Einzelwagenverkehr. Das sollte fortgesetzt werden. Bislang ist es die Anlagenpreisförderung. Bis Ende Juni will das Verkehrsministerium ein neues Konzept auch zum Thema Betriebskostenförderung vorlegen. Derzeit wird mit den Verbänden darüber diskutiert, wie dies aussehen könnte.


„Wir durchbrechen das Mantra 'Straße finanziert Straße'. Und das ich auch richtig so.“
Dorothee Martin (SPD)

Die Digitale Automatische Kupplung wird ja als Schlüsseltechnologie angesehen, um den Schienengüterverkehr zu digitalisieren und damit effizienter und wettbewerbsfähiger zu machen. Sehen Sie das auch so?

Dorothee Martin: Auf jeden Fall. Gerade Einzelwagenverkehre haben vor allem dann eine wirtschaftliche Perspektive, wenn wir mit der Digitalen Automatischen Kupplung vorankommen. Das ist aber ein europäisches Projekt, bei dem ich erwarte, dass da auch die Europäische Kommission gemeinsam vorgeht und sich finanziell beteiligt.

Wie bewerten Sie die Lage beim Kombinierten Verkehr?

Dorothee Martin: Das ist das Konzept der Zukunft. Für die Branche steht aber auch hier bei der gemeinsamen Nutzung von Lkw, Binnenschiff und Zug die Frage der Zuverlässigkeit im Mittelpunkt. Wir haben aber ein derart ausgelastetes Netz, bei dem der Güterzug in der Rangfolge auch immer hinter den Personenzügen kommt. Da ist diese Zuverlässigkeit nicht immer gegeben.

Was muss getan werden?

Dorothee Martin: Die Beschleunigungskommission Schiene hat da gute Vorschläge gemacht. Beispielsweise sollen Überholgleise gebaut werden, um mehr Kapazität für den Schienengüterverkehr zu bekommen. Für mich ist der Fokus auf den Schienengüterverkehr extrem wichtig. In der öffentlichen Debatte kommt das ein bisschen zu kurz, dabei ist er mit Blick auf den Klimaschutz einer der wichtigsten Hebel.

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Dorothee Martin: Das ist ein Ergebnis des letzten Koalitionsausschusses. Damit wird eine ganz klare politische Zielsetzung vorgegeben und die Frage beantwortet, welchen Verkehrsträger wir politisch stärken wollen. Wir durchbrechen das Mantra "Straße finanziert Straße". Und das ich auch richtig so.