Deutschlands Industrie : Das einstige Zugpferd schwächelt
Deutschlands wirtschaftliche Stärke gründete in seiner Industrie. Doch ausgerechnet dort häufen sich die Probleme.
Von den großen Wirtschaftsnationen hat Deutschland den höchsten Industrieanteil. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes entfallen 20,4 Prozent der Wirtschaftsleistung hierzulande auf das "verarbeitende Gewerbe", wie die Industrie im Amtsdeutsch genannt wird. In Italien sind es 17,5 Prozent, in Frankreich nur 10,8 Prozent. Die Industrie als Zugpferd war der Grund, dass Deutschland relativ gut durch die Finanzkrise und durch die Corona-Pandemie kam. Denn darunter litt besonders der Dienstleistungssektor.
Hohe Energiepreise sind ein Grund dafür, dass die Industrieproduktion schwächelt.
Doch die Zeiten haben sich geändert: Hohe Energiekosten, schlechte Infrastruktur, Arbeitskräftemangel, Bürokratie und hohe Steuern lassen den Industriesektor lahmen. Die Folgen stehen in dem am Donnerstag veröffentlichten Herbstgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute: Wachstum fällt in diesem Jahr in Deutschland aus, auch im nächsten Jahr wird es nicht viel besser. Die anderen europäischen Länder stehen besser da. Hauptgrund in Deutschland ist die schlechte Lage der Industrie, wo viel zu wenig investiert wird. Fast zeitgleich wies der Ifo-Geschäftsklima-Index schlechte Werte für die deutsche Wirtschaft aus, und auch die Exportzahlen waren alles andere als rosig. Fast täglich kommen neue Nachrichten über Werksschließungen und Stellenstreichungen. Alle Branchen sind betroffen - angefangen von der Automobilindustrie, der Chemieindustrie, der Stahlindustrie bis hin zum Schiffsbau. Von einem "Alptraum in der Endlosschleife", sprach am Donnerstag im Bundestag die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann. Deutschland sei nicht mehr wettbewerbsfähig.
Opposition warnt vor Deindustrialisierung
Im Parlament stand die Situation der Industrie am Donnerstag auf der Tagesordnung. Anlass waren von der AfD-Fraktion vorgelegte Anträge zum Stopp der Deindustrialisierung und zum Erhalt industrieller Arbeitsplätze in Deutschland. Leif-Erik Holm (AfD) erklärte, bei der Ampel seien die großen wirtschaftlichen Probleme bisher nicht angekommen. Die Wirtschaft stagniere, Unternehmen würden aus Deutschland flüchten: "Das Problem ist hausgemacht. Das Problem ist diese unfähige Regierung." Das versprochene grüne Wirtschaftswunder komme nicht. Die ökosozialistische Transformation sei gescheitert. Die Ampel übernehme die alten planwirtschaftlichen Konzepte, die er noch aus der DDR kenne: "Ihre transformative Angebotspolitik ist die kleine Schwester der sozialistischen Planwirtschaft".
Widerspruch erntete die AfD bei den anderen Fraktionen. Esra Limbacher (SPD) warf der AfD vor, beim Thema Wirtschaft "komplett blank" zu sein und nichts für die Menschen im Angebot zu haben. Er wies auf eine Stellungnahme des Verbandes der Familienunternehmen hin, der die Politik der AfD als wirtschaftsfeindlich eingestuft habe. Die AfD wolle Kita-Plätze und Ganztagsschulen reduzieren. Sie verschärfe damit den Fachkräftemangel. Die AfD sei wirtschaftsfeindlich, weil sie die EU verlassen wolle. Doch ohne den europäischen Binnenmarkt "würden wir einen riesigen Teil unseres Wohlstandes verlieren".
Sandra Detzer (Grüne) zitierte Äußerungen von Unternehmen, die nach den AfD-Wahlerfolgen Investitionen zurückziehen würden: "Sie sind die größte Gefahr für nachhaltigen Wohlstand in diesem Land." Die Stärke der Industrie müsse erhalten und ausgebaut werden, forderte Detzer. Globale Megatrends wie Dekarbonisierung und Digitalisierung dürften aber nicht verschlafen werden, warnte sie. Man brauche eine "große Transformationsanstrengung".
Houben (FDP): AfD treibt Menschen aus dem Land
Reinhard Houben (FDP) warf der AfD vor, von der sozialen Marktwirtschaft nichts zu verstehen. "Sie treiben doch die Menschen aus dem Land", erklärte er an die Adresse der AfD. Fachkräfte und Ärzte würden zum Beispiel nicht nach Sachsen kommen wollen, weil ihnen das Klima nicht gefalle. Jörg Cezanne (Linke) sagte, sich in dieser Zeit mit der Schuldenbremse selbst zu verzwergen, sei ein "eklatantes Politikversagen" sowohl bei der Ampel als auch bei der Union.
Steffen Rouenhoff (CDU) erinnerte jedoch auch an die Verantwortung der Ampel-Koalition für die gegenwärtige wirtschaftliche Lage: Es gebe hohe Kapitalabflüsse und Firmenschließungen. Licht am Ende des Tunnels sei nicht in Sicht. Der AfD warf Rouenhoff vor, eine protektionistische ausgerichtete Wirtschaftspolitik zu verfolgen: "Das ist Gift für unsere Volkswirtschaft." Ein Austritt aus der EU, wie die AfD wolle, würde die deutsche Volkswirtschaft in den Abgrund führen. "Sie sind nicht die Retter der deutschen Wirtschaft", sagte Rouenhoff an die Adresse der AfD.
Die Bundesregierung bringt zwei Steuergesetze auf den Weg. Bürger und Unternehmen sollen weniger Steuern zahlen, das Kindergeld soll steigen.
Union und AfD wollen das Verbot für Verbrennermotoren ab 2035 aufheben, die Koalition ist dagegen und verspricht sich davon Planungsssicherheit.
Die drei Anträge der AfD-Fraktion wurden an die Ausschüsse überwiesen. In den Anträgen fordert die AfD-Fraktion die Bundesregierung auf, "den ordnungspolitischen Irrweg der sogenannten ,transformativen Angebotspolitik' zu verlassen sowie die aktive Industriepolitik zur Erfüllung von planwirtschaftlichen Transformationszielen zu beenden".
AfD fordert Abbau von Subventionen und Steuerentlastungen
Die AfD-Abgeordneten schlagen unter anderem vor, Planungssicherheit für die Industrie herzustellen, die Schuldenbremse einzuhalten, auf wettbewerbsverzerrende Markteingriffe zu verzichten, Subventionen abzubauen und die eingesparten Mittel für Steuerentlastungen zu nutzen.
Außerdem soll die Bundesregierung das Ziel der Dekarbonisierung des Industriesektors umgehend aufgeben, um die Deindustrialisierung abzuwenden und den Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern. Die AfD-Fraktion verweist auf eine Umfrage des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), nach der 16 Prozent der Unternehmen sich entschlossen hätten, Teile der Produktion oder sogar die gesamte Produktion ins Ausland zu verlagern.