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Europäische Zollpolitik : Wer in Brüssel über Zölle und Gegenmaßnahmen entscheidet

Im Handelsstreit mit den USA ist die EU-Kommission der entscheidende Spieler auf der europäischen Ebene. Das EU-Parlament spielt allenfalls eine Nebenrolle.

12.06.2025
True 2025-06-18T16:31:24.7200Z
4 Min

EU-Politik ist nichts für Ungeduldige. Üblicherweise liegen Jahre zwischen den ersten Überlegungen, einen Sachverhalt europaweit regeln zu wollen, und der formellen Vorlage des Entwurfs für eine EU-Richtlinie oder EU-Verordnung. Und es dauert anschließend meist noch einmal Jahre, bis das EU-Gesetz dann tatsächlich in Kraft tritt.

Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Europas Mächtige im Handelsstreit: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Handelskommissar Maroš Šefčovič.

Das gilt auch für den Abschluss von Handelsverträgen mit Partnern in der Welt. Über ein Freihandelsabkommen mit Indien führt die EU beispielsweise seit drei Jahren Gespräche. Und eigentlich reichen die Verhandlungen für einen Abbau von Barrieren zwischen der EU und Indien sogar fast schon 20 Jahre zurück.

Fatal wäre es freilich, wenn die EU im Falle eines Handelsstreits ebenfalls Jahre bräuchte, um sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu verständigen. Denn wenn es zwischen zwei Handelspartnern knirscht, ist die Möglichkeit, schnell reagieren zu können, spielentscheidend.

EU-Kommission ist maßgeblich an der Entscheidung über Gegenmaßnahmen beteiligt

Erfreulicherweise ist die Europäische Union in der Lage, in solchen Situationen den gemeinsamen Kurs zügig festzulegen und binnen weniger Wochen über die entsprechenden konkreten Maßnahmen zu entscheiden. Das wiederum hat viel damit zu tun, dass europäisches Recht in Handelskonflikten entscheidende Aufgaben der EU-Kommission zuweist.

Kein Zufall also, dass im aktuellen Handelsstreit der EU mit den Vereinigten Staaten nicht nationale Regierungschefs, sondern zwei prominente Vertreter der EU-Kommission Hauptrollen eingenommen haben: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič als Unterhändler. Der Bundeskanzler und seine Amtskollegen in anderen EU-Staaten halten sich hingegen weitgehend im Hintergrund und betonen, dass sie sich hinter der EU-Kommission als Verhandlungsführerin versammeln, um Geschlossenheit und Einigkeit zu dokumentieren.

So funktionieren Zölle

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Von der Leyen und Šefčovič sind es deshalb, die US-Präsident Donald Trump die Angebote der EU unterbreiten, um ihn zum einlenken zu bewegen. Sie sind es, die einen gegenseitigen Verzicht auf jedwede Warenzölle vorgeschlagen haben, die so genannte Zero-for-zero-Offerte. Und sie haben auch den umfangreichen Einkauf von Soja und LNG-Gas in den USA angeboten, um das Handelsbilanzdefizit der Amerikaner zu reduzieren.

Gleichzeitig sind es die Deutsche und der Slowake, die den USA mit Vergeltungszöllen drohen, falls in den nächsten Wochen keine Verständigung zustande kommen sollte. An der Entscheidung, ob Gegenmaßnahmen angewendet werden sollen und falls ja, wie sie genau aussehen, ist die EU-Kommission nämlich ebenfalls maßgeblich beteiligt. So hat die EU-Kommission zum Beispiel nach der Ankündigung von Donald Trump, US-Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium aus Europa zu erheben, Untersuchungen eingeleitet. Die EU-Behörde gelangte dabei zur Ansicht, dass die US-Aufschläge "ungerechtfertigt" und "schädlich" seien, weil sie sowohl den beteiligten Volkswirtschaften als auch der Weltwirtschaft Schaden zufügen. 

Gegenmaßnahmen sind laut von der Leyen "stark, aber verhältnismäßig"

Die EU-Kommission schlug anschließend vor, Gegenmaßnahmen zu erheben - im konkreten Fall ein Paket aus Gegenzöllen zu schnüren, das einen vergleichbaren wirtschaftlichen Umfang hat wie die US-Zölle. Diesen Zöllen stimmten im Rat, also im Gremium der Vertreter der nationalen Regierungen, 26 der 27 Mitglieder zu - alle außer Ungarn. "Die Europäische Union muss handeln, um Verbraucher und Unternehmen zu schützen", begründete von der Leyen die Gegenmaßnahmen, die sie als "stark, aber verhältnismäßig" bezeichnete.


„Die Europäische Union muss handeln, um Verbraucher und Unternehmen zu schützen.“
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

Theoretisch hätten sich noch viel mehr Länder gegen die Gegenzölle aussprechen können, ohne sie zu verhindern. Denn bei der Entscheidung über handelspolitische Gegenmaßnahmen wird nach den Vorgaben der so genannten Komitologie abgestimmt. Das klingt komplizierter als es ist: Wenn die EU-Kommission etwas vorschlägt, dann kann der Rat es nur dann verhindern, wenn sich eine "qualifizierte Mehrheit" der Mitgliedstaaten dagegen entscheidet. Diese qualifizierte Mehrheit ist erst erreicht, wenn sich 55 Prozent der Länder (also mindestens 15 der 27 EU-Staaten) gegen den Vorschlag der EU-Kommission aussprechen. Und: Diese mindestens 15 Staaten müssen mehr als 65 Prozent der Bevölkerung der EU repräsentieren.

In der EU-Kommission geht nichts gegen die “Big Three”

In anderen Worten: Eine einfache Mehrheit, die gegen die Vorlage der EU-Kommission stimmt, reicht nicht. Und es ist auch nicht genug, wenn zwar beispielsweise 24 Länder "Nein" sagen, die bevölkerungsreichsten Staaten Deutschland, Frankreich und Italien aber mit "Ja" abstimmen. Denn das Trio repräsentiert gut 47 Prozent der EU-Bevölkerung, so dass es die anderen 24 Länder nicht schaffen, eine qualifizierte Mehrheit gegen die “Big Three” zu organisieren.

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Auch diese Betrachtung zeigt: In der Handelspolitik hat die EU-Kommission viel zu sagen. Denn es ist für diejenigen Staaten, die einen Vorschlag der EU-Kommission verhindern wollen, ausgesprochen schwer, eine ausreichende Mehrheit für ein Veto zu organisieren.

Vereinbarungen wie Mercosur müssen vom EU-Parlament verabschiedet werden

Und das EU-Parlament? Es darf, wenn es um Gegenzölle oder andere handelspolitische Maßnahmen geht, zwar seine Meinung kundtun und Entschließungen formulieren, aber es darf nicht mitentscheiden. Aber: Immerhin hat sich das EU-Parlament das Recht erkämpft, dass es bei Handelsabkommen mitreden darf. Ob Mercosur, Indien oder Indonesien: Alle Vereinbarungen, die aktuell von der EU-Kommission mit anderen Weltregionen oder Ländern verhandelt werden, müssen vom EU-Parlament verabschiedet werden. 

Und dieses Recht des Parlaments könnte auch im aktuellen Konflikt mit den Vereinigten Staaten Bedeutung erlangen. Dann nämlich, wenn die Verhandlungen mit den USA zu einer umfangreicheren Verabredung führen sollten, käme das EU-Parlament ins Spiel. Es könnte dann diesem Deal zustimmen - oder ihn ablehnen. Insofern sind die Unterhändler gut beraten, die Positionierungen des EU-Parlaments im Hinterkopf zu haben, wenn sie derzeit über Zero-for-zero, Anerkennung von Standards oder umfangreiche Käufe von US-Gas beraten.

Der Autor ist Chefreporter und Brüssel-Korrespondent der Börsen-Zeitung.