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Ökonom Henning Wilts : "Wir haben keine kohärente Strategie"

Im Interview plädiert der Ökonom Henning Wilts für einen Zertifikatehandel und steuerliche Anreize, damit Unternehmen auf Recycling setzen.

28.08.2023
2024-03-04T12:28:18.3600Z
4 Min

Herr Professor Wilts, wo steht Deutschland in puncto Kreislaufwirtschaft?

Henning Wilts: Wir sind sehr gut darin, Abfälle gut und sicher zu entsorgen. In Deutschland landet nichts unbehandelt auf Deponien. Aber nicht gut sind wir darin, so zu recyceln, dass die Industrie damit auch etwas anfangen kann. In der Industrie liegt der Anteil recycelter Materialien gerade mal bei 13 Prozent. Das ist auch in Europa nur Mittelmaß. Die Niederlande beispielsweise liegen hier bereits bei 30 Prozent. Dort gibt es seit mehr als zehn Jahren eine nationale Kreislaufstrategie. In Deutschland haben wir dagegen sehr viele Einzelpläne, aber keine kohärente Strategie. Die steht zwar im Koalitionsvertrag, ist aber noch in der Entwicklung.

Foto: Wuppertal Institut
Henning Wilts
Henning Wilts leitet die Abteilung Kreislaufwirtschaft beim Wuppertal Institut, das sich als "führender internationaler Think Tank für eine impact- und anwendungsorientierte Nachhaltigkeitsforschung" versteht. An der HafenCity Universität Hamburg vertritt er derzeit darüber hinaus die Professur für Circular Economy.
Foto: Wuppertal Institut

Sind 100 Prozent Recycling realistisch?

Henning Wilts: Das wäre tatsächlich weder ein sinnvolles Ziel noch erreichbar. Ein realistisches, aber immer noch sehr ambitioniertes Ziel ist es, den Recycling-Anteil bis 2030 zu verdoppeln. Um nachhaltig zu werden, muss Deutschland den bisherigen Verbrauch von 16 Tonnen Rohmaterial pro Jahr und Kopf bis 2045 halbieren. Das ist äußerst schwierig, weil dafür sehr viele Akteure gemeinsam aktiv werden müssen. Dagegen ist die Energiewende fast schon einfach .

Die Energiewende selbst verbraucht große Mengen an Rohmaterial, beispielsweise Seltene Erden. Wie lassen sich die Klimaziele mit einer Halbierung des Konsums von Rohstoffen vereinbaren?

Henning Wilts: Wir werden die Klimaziele nicht erreichen, ohne die Recyclingquoten zu erhöhen und den Rohstoffverbrauch zu senken. Denn auch der Abbau von Rohstoffen setzt Treibhausgase frei. Durch das Recycling lassen sich hier bei Metallen bis zu 90 Prozent der Treibhausgase einsparen, bei Kunststoffen immerhin im Schnitt noch 50 Prozent.

Was heißt das konkret für den Aufbau von Windrädern und Photovoltaikanlagen?

Henning Wilts: Nötig ist eine Herstellerverantwortung. Bevor beispielsweise Windkraftanlagen aufgestellt werden, muss klar sein, wie die verwendeten Rohstoffe zurückgewonnen werden können, wenn eine Anlage wieder abgebaut oder ersetzt wird.

Photovoltaikanlagen werden vor allem in China gebaut, Rohstoffminen befinden sich nur sehr wenige in Deutschland.

Henning Wilts: Das ist natürlich ein Problem. Wir fühlen uns gut, weil wir den Dreck nicht sehen, der für unseren Konsum im Ausland anfällt - und freuen uns hier über eine saubere Umwelt. Deswegen sind zwingend Indikatoren und Vorgaben nötig, die auch die globalen Vorketten transparent machen und auch hier Recycling voranbringen.

Geht es beim Recycling noch um Umweltschutz oder mittlerweile vor allem um strategische Unabhängigkeit?

Henning Wilts: Sehr vielen Unternehmen ist schmerzhaft bewusst geworden, wie abhängig sie in vielen Bereichen von Rohstoffimporten sind, und wie schnell sich Situationen ändern können. Mittlerweile interessieren sich viele Unternehmen viel stärker dafür, wie sie mehr Resilienz gewinnen können. Rücknahmesysteme zur Sicherung der Rohstoffversorgung werden ein großer Treiber in der Industrie. Auch die großen Industrieverbände richten Arbeitsgruppen ein und fordern teilweise sogar Regulierung für die Industrie.


„Wir fühlen uns gut, weil wir den Dreck nicht sehen, der für unseren Konsum im Ausland anfällt - und freuen uns hier über eine saubere Umwelt.“
Professor Henning Wilts

Kritiker bemängeln, dass eine vollständige Kreislaufwirtschaft eine Illusion ist, und wir nur durch eine konsequente Degrowth-Politik zu einer nachhaltigen Lebensweise gelangen. Was halten Sie davon?

Henning Wilts: Acht Tonnen Ressourcenverbrauch 2045 werden wir nur erreichen, wenn wir unsere heutigen Konsummuster ändern. Einfach nur auf Wegwerfflaschen aus recyceltem Material oder nachwachsende Rohstoffe zu setzen, reicht nicht. Aber mit einem Pfandsystem lässt es sich auch sehr gut leben - Kreislaufwirtschaft ist nicht zwangsläufig ein Verlust an Lebensqualität.

Das heißt aber für die Politik, weitere Gebote und Verbote zu erlassen.

Henning Wilts: Die Industrie muss bessere Alternativen schaffen. Dafür sind Anreize nötig, etwa über Steuern und Abgaben. Beim Klimaschutz ist der Handel mit Zertifikaten ein funktionierendes Instrument. Es wäre auch im Bereich Recycling sinnvoll, dass Unternehmen, die günstig ihre Wiederverwertungsquoten steigern können, damit beginnen, und dann vielleicht Zertifikate an andere Industrien verkaufen, wo das schwieriger ist. Auch steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten beispielsweise auf Investitionen in Recyclinganlagen sind ein erfolgversprechender Weg.

Am Ende wird das aber zu einer Belastung der Industrie führen und Arbeitsplätze kosten.

Henning Wilts: Die Kreislaufwirtschaft, wie sie jetzt auch auf EU-Ebene vorangetrieben wird, wird auch neue Arbeitsplätze schaffen, geschätzt 700.000. Aber ja, es werden auch Menschen ihre bisherigen Jobs in der Einwegwirtschaft verlieren. Vor uns steht ein großer Umbruch.

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Wie sinnvoll ist ein ermäßigter Umsatzsteuersatz auf Handwerker- und Reparaturarbeiten, damit wir nicht immer neue Dinge kaufen müssen?

Henning Wilts: Das wäre sehr sinnvoll. Andernorts gibt es das schon, etwa in Flandern oder Schweden. Den meisten Menschen ist aber leider gar nicht mehr bewusst, was alles reparabel ist. In Frankreich müssen Produkte deshalb bereits gekennzeichnet sein und den Grad der Reparierbarkeit angeben.

Welche Chancen sehen Sie, dass wir die genannten Ziele für die Kreislaufwirtschaft erreichen?

Henning Wilts: Es ist machbar. Erfolgreich werden wir aber nur sein, wenn wir Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft zusammenbringen. Beispielsweise sind digitale Produktpässe nötig, wie sie die Ökodesign-Verordnung der EU-Kommission vorsieht. Wir brauchen viel mehr Informationen. Zugleich müssen die Vorgaben - auch im Sinne der Nachhaltigkeit - schlank bleiben. Das ist nicht ganz leicht.