
Gastkommentare : Wird bei der Entwicklungszusammenarbeit zu viel gekürzt?
Plant die Bundesregierung im Haushalt 2025 zu starke Einschnitte bei den Mitteln für Entwicklungshilfe? Timot Szent-Iványi und Manfred Schäfers im Pro und Contra.
Pro
Die Kürzungen beim Entwicklungsetat sind das falsche Signal zur falschen Zeit

Im Frühjahr 2018 feierte sich die SPD für die Festlegung in der Großen Koalition, die Ausgaben für Entwicklungshilfe eins zu eins an die für Verteidigung zu koppeln. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich die geopolitische Lage jedoch komplett geändert. Mit Finanzminister Lars Klingbeil und Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan sind es nun ausgerechnet zwei Sozialdemokraten, die die Etatplanung an die neuen Realitäten anpassen müssen. Doch so richtig es ist, die Verteidigungsausgaben massiv zu erhöhen, so fahrlässig ist es, gleichzeitig die Unterstützung für die ärmeren Staaten sogar noch zu senken.
Entwicklungshilfe ist erstens mehr als selbstlose Almosen. Studien zeigen, dass die deutschen Exporte pro investiertem Euro in der internationalen Zusammenarbeit im Schnitt um fast 40 Cent steigen. Zweitens ist es in unserem Interesse, die Ursachen von Flucht zu bekämpfen, um die unkontrollierte Migration zu beschränken. Drittens ist es offensichtlich, dass die Leerräume, die durch einen Rückzug aus der Entwicklungshilfe entstehen, sofort von Russland oder China besetzt werden. Und viertens hat die Kahlschlag-Politik von US-Präsident Trump insbesondere bei der Gesundheitsversorgung riesige Löcher gerissen, was die Zahl der tödlich verlaufenden HIV- und Tuberkulose-Infektionen in die Höhe treiben wird. Den Wegfall der US-Hilfen kann Deutschland nicht ausgleichen, doch es muss wenigstens das Schlimmste verhindert werden.
Durch den Rückzug der Vereinigten Staaten ist die Bundesrepublik in vielen Regionen und auf vielen Themenfeldern zur größten Gebernation geworden. Damit kommt Deutschland eine besondere Verantwortung zu. Auch deshalb ist die Kürzung der Entwicklungshilfe ein falsches Signal zum falschen Zeitpunkt.
Contra
Der Entzug der Hilfen kann für die Empfängerländer heilsam sein

Es ist ein harter Schnitt. Der Entwicklungsetat soll um knapp eine Milliarde Euro gegenüber dem Vorjahr sinken. Dass Hilfsorganisationen aufschreien, die für die Entwicklungszusammenarbeit leben (und oft genug von ihr), kann nicht überraschen. Doch das ist nicht entscheidend. Aus Sicht der Steuerzahler ist ein anderer Punkt bedeutsam: Was haben die über Jahrzehnte an arme Länder geflossenen Milliarden gebracht? Haben sie deren Entwicklung wirklich vorangetrieben? Haben sie Fluchtbewegungen stoppen können?
Die Erfolge sind überschaubar. Das kann nicht überraschen. Der Versuch von Regierungsvertretern, ganze Länder zu entwickeln, hat viel mit zentraler Planwirtschaft zu tun. Solche Ansätze scheiterten schon im früheren Ostblock und in China.
Andere Staaten sind jetzt bei der Neuausrichtung ihrer Entwicklungspolitik noch radikaler als Deutschland. Die Regierung in Washington wickelt ihr Hilfswerk USAID komplett ab. Briten, Franzosen, Niederländer kürzen ihre Entwicklungsetats kräftig. In absoluten Zahlen dürfte Deutschland größter Geber werden - trotz des Einschnitts. Heute findet man Berlin auf dieser Liste auf dem zweiten Platz.
Es klingt hart, aber der Entzug der Hilfe kann heilsam sein: Er zwingt die alten Empfängerländer dazu, nach gut sechzig Jahren wohlmeinender Unterstützung endlich erwachsen zu werden. Sie müssen jetzt das tun, was sie schon längst hätten machen sollen. Stichworte dazu lauten: Korruption bekämpfen, Rechtssicherheit für Investoren schaffen, Vorteile des Außenhandels nutzen, Ressourcen im Inland mobilisieren.
Unabhängig davon ist humanitäre Hilfe weiterhin geboten. Wo es um das Überleben von Menschen geht, darf man nicht wegschauen. Doch auch hierbei ist Realismus gefragt: Kein Land kann allein alles Elend dieser Welt schultern. Das gilt auch für die reiche Bundesrepublik.
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In der nächsten Sitzungswoche beginnen die Haushaltsberatungen. Finanzminister Klingbeil will dank neuer Regeln in diesem Jahr rund 116 Milliarden Euro investieren.

Außenminister Johann Wadephul soll kräftig bei humanitären Hilfen einsparen. Mit Blick auf die multiplen Krisen finden vier Fraktionen: Das geht so nicht.

Die Koalition will bei der Entwicklung weiter kürzen. Während Grüne und Linke das empörend finden, würde die AfD gern noch mehr streichen.