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Foto: picture alliance / Daniel Kubirski
Ob über Flughäfen, Militär- oder Industrieanlagen: Seit Beginn des Ukrainekriegs nehmen Drohnensichtungen in Europa zu; über Deutschland waren es bis Ende September 2025 bereits mehr als 170.

Russlands hybrider Krieg gegen Europa : Die neue Gefahr aus der Luft

Angesichts zahlreicher Luftraumverletzungen drückt die EU bei der Drohnenabwehr aufs Tempo. Auch Deutschland will aufrüsten.

17.10.2025
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5 Min

Sie kommen scheinbar aus dem Nichts. Surren eine Weile über sensiblen Orten - Liegenschaften der Bundeswehr, Industrieanlagen oder Flughäfen wie zuletzt in München, Oslo und Kopenhagen: mysteriöse Drohnen.

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Meistens entkommen sie unerkannt, ebenso wie die Drohnenpiloten. Es bleiben nur Anhaltspunkte: Als über der Funksendestelle der Marine im ostfriesischen Rahmsloh Ende April Drohnen auftauchten, gaben Bundeswehrsoldaten zu Protokoll, nahe dem Zaun der Anlage Männer mit einem Transporter gesehen zu haben, die Drohnen steigen ließen und russisch sprachen. Als die Polizei kam, waren sie längst weg.

Klar ist der Polizei meist nur, dass Profis am Werk sind. Manche Drohnen sind sehr groß, mit Spannweiten bis zu acht Metern. Die über Dänemark entdeckten Drohnen flogen bei Nacht, demonstrativ mit heller Beleuchtung. Seit Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 nehmen die Drohnensichtungen in Europa zu; über Deutschland waren es 2025 bis Ende September bereits mehr als 170.

Dass die Drohnen tatsächlich aus Russland stammen, lässt sich kaum nachweisen. Ohne eines der Fluggeräte abzufangen, ist nicht einmal klar, welchen Typs sie sind. Nachdem Kampfjets Ende September vier der 21 in den polnischen Luftraum eingedrungenen Drohnen abgeschossen hatten, war zumindest die Art erkennbar: Gerbera-Drohnen, eine günstigere, in Russland produzierte Version der iranischen Shahed-Drohne. Sie sind waffenfähig, trugen aber im konkreten Fall keine Sprengköpfe. Wer sie geschickt hat, ist mit dem Fund aber nicht final bewiesen.

Auch Cyberattacken und Sabotage sind Teil der hybriden Bedrohung

Die mutmaßlich russischen Drohnen gelten als Teil der hybriden Kriegführung Moskaus gegen Europa - zu der auch Sabotageakte gegen Infrastruktur, Cyberattacken, Desinformationskampagnen und Spionage gehören. Präsident Wladimir Putin will in den europäischen Gesellschaften Unsicherheit erzeugen - und damit ihre Unterstützung für die Ukraine aushöhlen. "Europa soll - von Furcht und Handlungsstarre gelähmt - in die Selbstaufgabe getrieben werden", sagte der neue Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Martin Jäger, am Montag im Bundestag. Putin wolle das wirtschaftlich überlegene Europa in Abhängigkeit von Russland bringen. Jäger kennt sich aus mit der Taktik Moskaus: Er war bis vor kurzem Botschafter in Kiew.

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Seit einiger Zeit macht ein Wort die Runde in Europa: “Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden.” Zuletzt sprach auch Bundeskanzler Friedrich Merz diesen Satz aus. Der Krieg Russlands richte sich auch gegen den Zusammenhalt Europas, sagte Merz und verwies dabei auch auf die Drohnenvorfälle. Ein Grund für das zunehmend aggressive Vorgehen Russlands sei der wachsende wirtschaftliche Druck. 

Tatsächlich wächst Russlands Wirtschaft 2025 viel langsamer, Inflation und Zinsen sind weiter sehr hoch. 2026 sollen erstmals seit Kriegsbeginn die Rüstungsausgaben nicht mehr steigen, stattdessen will Moskau verschiedene Steuern erhöhen. “Die Nervosität legt auch in Russland zu", sagte Merz.

Drohnen sind eine Bedrohung, auf die Europa sich erst allmählich einstellt

Nur einzelne Fälle hybrider Kriegführung der letzten zwei Jahre konnte Europa jedoch direkt mit Moskau in Verbindung bringen: Schiffe der russischen Schattenflotte zerstörten mit geschleiftem Anker Unterseekabel und Pipelines in der Ostsee. In London wurden mehrere Bulgaren wegen Spionage für Russland verurteilt. In Deutschland wurden 2024 zwei Deutschrussen festgenommen, die einen Anschlag auf eine Bahnanlage geplant haben, auf der Rüstungsgüter für die Ukraine transportiert werden. Vom US-Geheimdienst kamen Informationen über einen russischen Anschlagsplan gegen Armin Papperger, Chef des Rüstungskonzerns Rheinmetall, der die Ukraine beliefert. Pappergers Personenschutz wurde deutlich verstärkt.

Foto: picture-alliance/ZUMAPRESS.com/British Defence Ministry

Unter anderem mit bodengestützten Lasern will die EU künftig Drohnen abwehren. Großbritannien hat eine solche Laserwaffe bereits entwickelt. Das Bild zeigt einen Test von "Dragonfire" im März in Schottland.

Bei den Drohnen gibt es hingegen nie mehr als einen begründeten Verdacht. Es ist eine Bedrohung, auf die Europa und Deutschland sich erst allmählich einstellen. Nach der Sichtung von Drohnen über dem Münchner Flughafen Anfang Oktober plant Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) ein Drohnenabwehrzentrum sowie eine Sondereinheit bei den Spezialkräften der Bundespolizei. Zudem will die Koalition das Luftsicherheitsgesetz ändern, um der Bundeswehr die Amtshilfe bei Drohnengefahr zu erlauben.

Europäisches Drohnenabwehr-System soll 2026 starten

Auch die EU-Kommission wird aktiv. Sie plant eine "Europäische Drohnenabwehr-Initiative", die der EU-Rat der Staats- und Regierungschefs noch dieses Jahr absegnen soll. Sie ist Teil eines Fahrplans zum Aufbau einer gemeinsamen Verteidigungsbereitschaft bis 2030, den EU-Verteidigungskommissar Andrius Kabilius und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas am Donnerstag vorstellten.

Wer für die Drohnenabwehr zuständig ist

🚓 Die allgemeine Gefahrenabwehr ist Sache der Landespolizeien, an Flughäfen und Bahnhöfen ist die Bundespolizei zuständig. Die Bundeswehr ist für die Abwehr militärischer Angriffe verantwortlich.

📑 Die schwarz-rote Koalition will das Luftsicherheitsgesetz ändern: Die Bundeswehr soll außerhalb ihrer Liegenschaften auf jede erdenkliche Art bis hin zum Laser auf Drohnen einwirken können. Sie könne aber auch dann nicht flächendeckend eingreifen.



Erste Teile des mehrschichtigen Hightech-Systems, das aus Frühwarnsensoren, Abfangdrohnen, bodengestützten Lasern und Störsendern, Boden-Luft-Raketen, Marineschiffen und Kampfjets besteht, sollen bis Ende 2026 einsatzbereit sein, der Rest bis Ende 2027.

Sechs EU-Länder haben "Drohnenwall"-Aufbau an der Ostflanke beschlossen

Schon vor Monaten hatten sechs nord- und osteuropäische EU-Länder den Aufbau eines "Drohnenwalls" an der Ostflanke beschlossen. Das gemeinsame EU-System soll nun geografisch offen und in Abstimmung mit der Nato entwickelt werden. Bei der Drohnenabwehr könne man von der Ukraine lernen, so Nato-Generalsekretär Mark Rutte am Mittwoch.


„Wenn man Drohnenschutzschilde um den Flughafen Kopenhagen errichtet, tauchen Drohnen am nächsten Tag am Flughafen München auf.“
Sicherheitsexperte Jamie Shea über die Probleme bei der Drohnenabwehr

Eine umfassende EU-weite Drohnenabwehr sei durchaus schwierig, gibt Sicherheitsexperte Jamie Shea zu bedenken, der viele Jahre für aufkommende Bedrohungen zuständiger Vize-Generalsekretär der Nato war. Die EU umfasse ein großes Gebiet, sodass Drohnen aus praktisch jeder Richtung in ihren Luftraum eindringen können. "Wenn man Drohnenschutzschilde um den Flughafen Kopenhagen errichtet, tauchen sie am nächsten Tag am Flughafen München auf. Und konzentriert man sich auf Nordeuropa, beklagen sich Länder im Süden wie Italien und Griechenland, dass sie vernachlässigt werden." Die Frage sei, ob alle Mitgliedsländer dem am Ende zustimmen - "insbesondere, wenn es darum geht, Ressourcen aus anderen militärischen Beschaffungsprogrammen umzuleiten", so Shea in einem Beitrag für die Denkfabrik Friends of Europe.

Kallas mahnt die Mitglieder schon lange zu gemeinsamer Aufrüstung. "Um Krieg fernzuhalten, müssen wir die wirtschaftliche Macht Europas in militärische Abschreckung umsetzen", sagte die EU-Außenbeauftragte am Dienstag in Kiew. Immerhin reagieren einzelne Länder schnell. Schweden kündigte an, 370 Millionen US-Dollar in neue Drohnenabwehrsysteme zu investieren. Dänemarks Militär zog eine Großbestellung von Schrotflinten vor; Schulungen für den gezielten Drohnenabschuss damit laufen bereits. Auch gibt es Geld - und erste EU-Instrumente für gemeinsame Rüstungsprojekte, zum Beispiel einen Geldtopf namens SAFE. Bedingung für eine SAFE-Förderung: Es müssen mindestens zwei EU-Länder gemeinsam ein Rüstungsprojekt umsetzen. Allerdings braucht die EU laut Jamie Shea auch einen Rechtsrahmen zum Umgang mit Drohnen im Luftraum. Und das wird dauern.

Die Autorin ist Redakteurin beim "Dossier Geoökonomie" der "Süddeutschen Zeitung".

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