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Warnungen vor russischer Bedrohung : "Ein bestenfalls eisiger Friede"

Die Spitzen der Nachrichtendienste zeichnen ein drastisches Bild der Konfrontation mit Russland. Auch Vertreter der Koalition und der Grünen sind alarmiert.

16.10.2025
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3 Min

Drohnen über Flughäfen, Luftraumverletzungen bei den Nachbarn, Störung von GPS-Signalen: Deutschland befinde sich nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden - mit dieser Botschaft präsentierten sich die Spitzen der Nachrichtendienste am Montag in einer öffentlichen Anhörung vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages.

Foto: DBT / Sebastian Rau / photothek

Bei der Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums am Montag waren sich BND-Chef Martin Jäger (l.), MAD-Präsidentin Martina Rosenberg und BfV-Chef Sinan Selen einig: Deutschland sei nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden.

Das Handeln Russlands, so sagte es der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Martin Jäger, sei darauf angelegt, "die Nato zu unterminieren, europäische Demokratien zu destabilisieren, unsere Gesellschaften zu spalten und einzuschüchtern". In Europa herrsche "bestenfalls ein eisiger Friede, der punktuell jederzeit in heiße Konfrontation umschlagen kann". Bundesverfassungsschutzpräsident Sinan Selen nannte Russland "aggressiv, offensiv und zunehmend eskalativ". Es gehe dem Gegner um das "Austesten der Reaktion des Gegenspielers". 

Martina Rosenberg, Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst, sagte, gegnerische Akteure zielten immer mehr darauf, "die Bundeswehr zu unterwandern, kritische militärische Infrastrukturen zu gefährden und die Stabilität unserer Streitkräfte sowie der gesamten Nato-Allianz zu unterminieren". Alldem stellten sich die Nachrichtendienste des Bundes entgegen, betonten Rosenberg, Jäger sowie Selen und forderten verbesserte rechtliche Rahmenbedingungen für ihre Tätigkeiten.

Russland rüstet bei Drohnen und Mittelstreckenraketen weiter massiv auf

Auch Vertreter der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung warnen davor, die von Russland und anderen autoritären Staaten ausgehenden hybriden Bedrohungen zu unterschätzen. Das wurde am Mittwoch in einer auf Verlangen der Fraktionen von CDU/CSU und SPD anberaumten Aktuellen Stunde zur "Bedrohungslage Deutschlands" deutlich, in der die Einschätzungen der Geheimdienstspitzen nachhallten.

"Wir dürfen uns mit Blick auf die russische Bedrohung keine Illusionen mehr machen", sagte Florian Hahn (CSU), Staatsminister im Auswärtigen Amt. Russland rüste weiter massiv auf, bei Drohnen und bei Mittelstreckenraketen, die Ziele in Europa treffen könnten. Russlands Präsident Putin wolle die Streitkräfte auf 1,5 Millionen aktive Soldaten aufrüsten und wähne sich bereits heute im Krieg mit der Nato.


„Wir werden den Rechtsstaat und die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie festigen und verteidigen, von innen und von außen.“
Sonja Eichwede (SPD)

Stefan Keuter (AfD) warf der Bundesregierung vor, lange Zeit "lieber Gendersternchen statt Flugabwehrsysteme" gezählt zu haben. Die Bedrohungslage sei nicht neu, Russland führe Krieg, China rüste auf, der Nahe Osten sei ein Dauerkrisenherd. Die globale Sicherheitsagentur wanke, aber Deutschland sei darin kein Pfeiler, sondern ein "Zaungast mit moralischem Megafon" und ein "sicherheitspolitischer Zwerg, der auch mit immer neuen Geldkoffern nicht für voll genommen" werde.

Nils Schmid (SPD), parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, nannte es einen "bemerkenswerten Akt der Realitätsverweigerung aus den Reihen der AfD", die Bedrohung aus Russland nicht zu benennen. Es handle sich um einen Konflikt, der "im digitalen Raum, in den Köpfen der Menschen, und durch die gezielte Schwächung unserer Gesellschaften" ausgetragen würde. Man dürfe sich vor diesem Hintergrund "nicht auf die Illusion des Friedens einlassen".

Linke fordert Aufklärung zu den Hintergründen der Drohnensichtungen

Konstantin von Notz (Grüne) sprach von einem "breiten Strauß hybrider Angriffe aus Russland und anderen autoritären Staaten". Die Versäumnisse beim Schutz vor dieser Bedrohung seien in der Vergangenheit massiv gewesen - mit der Folge, dass "unsere Gesellschaft, unser Land derzeit leider extrem verwundbar sind". Von Notz forderte die Bundesregierung unter anderem auf, den Nationalen Sicherheitsrat schnell einzurichten und ein tagesaktuelles Gesamtlagebild zu etablieren.

Jan Köstering (Die Linke) warf der Bundesregierung vor, seit den Drohnensichtungen in unter anderem in München "den Ängsten freien Lauf und das Parlament im Unklaren" zu lassen. "Ist es Industriespionage? Ist es organisierte Kriminalität? Sind es immer staatliche Akteure oder doch bloß kreuzdumme Aktionen von Hobbypiloten?" Die Bundesregierung müsse klarstellen, wenn sie den Entsender der Drohnen nicht kenne, und dürfe nicht weiter aufs "Konto der Kriegsangst einzahlen". Oder sie müsse andernfalls deutlich kommunizieren, wenn sie belastbare Informationen habe.

Jürgen Hardt (CDU) kam zu dem "nüchternen, bedauerlichen Schluss, dass der Frieden in Deutschland und Europa seit 1945 zu keinem Zeitpunkt, auch nicht zu Zeiten des Kalten Krieges, so gefährdet war, wie das jetzt der Fall ist". In diesem Sinne müsse man nun Vorsorge betreiben. Sonja Eichwede (SPD) nannte in diesem Zusammenhang unter anderem eine Reform des Nachrichtendienstrechts und den Pakt für Bevölkerungsschutz: “Wir werden den Rechtsstaat und die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie festigen und verteidigen, von innen und von außen.”

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