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Islamwissenschaftlerin im Interview : "Der Krieg hat die Position der Falken gestärkt"

Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur sieht auch nach den Angriffen der USA die Gefahr einer iranischen Atombombe nicht gebannt - im Gegenteil.

27.06.2025
True 2025-06-27T15:20:36.7200Z
4 Min

Frau Amirpur, auch Tage nach den Angriffen der USA und Israels auf iranische Atomanlagen bleibt das Ausmaß der Schäden unklar. Hat der Krieg überhaupt mehr Sicherheit für die Region gebracht?

Katajun Amirpur: Das denke ich nicht. Zum einen hat das iranische Parlament in einem ersten Schritt entschieden, dass Iran aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen aussteigen möchte. Allerdings ist das Parlament nicht die letzte Instanz, die darüber zu entscheiden hat. Das Regime hat außerdem die Inspektionen der Anlagen durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) suspendiert. Die Möglichkeiten zur Überwachung sind damit schlechter als vorher. Denkbar ist, dass das Regime nun erst recht motiviert ist, eine Bombe zu bauen. Es hat die Erfahrung gemacht: Ein Staat, der keine Atomwaffen hat, wird angegriffen, so wie damals schon der Irak unter Saddam Hussein. Wer wie Nordkorea Atomwaffen besitzt, bleibt verschont.

Foto: Georg Lukas
Katajun Amirpur
Die Deutsch-Iranerin Katajun Amirpur ist Professorin für Islamwissenschaften an der Universität Köln. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die iranische Intellektuellengeschichte, Islam und Gender, Reformdiskurse im Islam, islamische Umweltethik, Iraner in Deutschland sowie schiitischer Islam.
Foto: Georg Lukas

Es heißt, die USA wollten nächste Woche wieder mit Iran über das Atomprogramm verhandeln. Warum sollte das Regime daran jetzt Interesse haben?

Katajun Amirpur: Das kann man sich fragen, in der Tat. Zum einen hat sich Trump die Maximalforderung von Israels Premier Benjamin Netanjahu zu eigen gemacht, wonach Iran auf jedwede Atomtechnologie verzichten soll. Danach wäre ihm auch die im Nichtverbreitungsvertrag erlaubte Uran-Anreicherung auf drei Prozent untersagt. Darauf wird sich das Regime nicht einlassen. Der Krieg hat außerdem die Position der Falken in Teheran gestärkt. Die Hardliner haben schon immer gesagt: Mit den USA reden wir nicht, die halten sich nicht an Vereinbarungen. Das hat sich 2018 bestätigt, als die USA aus dem Atomabkommen ausgetreten sind, und jetzt wieder. Wenige Tage vor den Angriffen hat Trump den Iranern noch eine Bedenkzeit von zwei Wochen eingeräumt - kurz darauf haben die Amerikaner bunkerbrechende Bomben auf ihre Atomanlagen geworfen.

Könnten die Europäer Iran zurück an den Verhandlungstisch bringen?

Katajun Amirpur: Die EU wird im Iran nicht mehr als ernstzunehmender Akteur wahrgenommen, weil sie weder Einfluss auf Trump noch auf Netanjahu hat. Auch wirtschaftlich kann Europa Iran nichts anbieten ohne die USA.


„Die Menschen beklagen, dass jetzt nicht nur das Regime ihr Gegner ist, sondern auch noch Israel und die USA.“
Katajun Amirpur

Die Europäer können also gar nichts tun?

Katajun Amirpur: Doch, sie könnten tun, was die Zivilgesellschaft schon lange fordert: die Protestbewegung unterstützen. Aus Angst, die Atomverhandlungen zu gefährden, haben die Europäer, hat auch die Bundesregierung, sie im Stich gelassen und lediglich Lippenbekenntnisse abgegeben. Aber die Aktivisten brauchen konkrete Hilfe - Geld und VPNs, also virtuelle, nicht-öffentliche Netzwerke, denn bisher können sie untereinander nicht kommunizieren, weil ständig das Internet abgeschaltet wird oder Seiten nicht erreichbar sind. Es bräuchte auch Lösungen, um Überweisungen in den Iran zu ermöglichen, der nicht an das internationale Bankensystem angeschlossen ist.

Besteht nicht die Gefahr, dass die Zivilbevölkerung bei neuen Verhandlungen wieder das Nachsehen hat, wenn Iran zu Zugeständnissen bewegt werden soll?

Katajun Amirpur: Die Menschen sind mit oder ohne Verhandlungen in einer noch gefährlicheren Situation als vor dem Krieg. Die Repressionen haben noch mal zugenommen. Netanjahu hat in seiner ersten Fernsehansprache gesagt, die Angriffe richteten sich nicht gegen die Bevölkerung, sondern gegen das Regime, Israel unterstütze die Forderung nach einem Regimewechsel. Damit hat er Teheran eine Steilvorlage geliefert, die Protestbewegung als fünfte Kolonne des Feindes, als Israels Spion, zu denunzieren. Die Folge sind landesweite Verhaftungen und Hinrichtungen.

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Von einem Regimewechsel in Teheran, von dem auch Trump anfangs sprach, ist nun keine Rede mehr.

Katajun Amirpur: Den kann man auch nicht herbeibomben, den müssen die Iraner selbst herbeiführen. Das hat zum Beispiel die iranische Friedensnobelpreisträgerin Nargess Mohammadi gesagt. Die Iraner wollen Demokratie, 80 Prozent sind gegen das Regime. Die Hoffnung ist, dass diese Mehrheit sich langfristig durchsetzen kann. Aber wenn man das Land in Schutt und Asche legt, geht das nicht. Die Zivilbevölkerung ist jetzt noch stärker geschwächt, die Repression hat weiter zugenommen. Hinzu kommt die schwierige wirtschaftliche Situation. 40 Prozent der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Und innerhalb des Regimes haben sich jetzt die Reihen durch den Krieg wieder fester geschlossen. Es wird alles aufbieten, um an der Macht zu bleiben.

Sie haben Freunde und Familie im Iran. Wie geht es ihnen aktuell?

Katajun Amirpur: Ich habe meine Familie noch nicht sprechen können, denn das Regime hat lange das Internet abgeschaltet. Mehr als fragen, ob sie in Sicherheit sind, würde ich meine Leute auch nicht, denn wer im Iran mit Ausländern und ausländischen Medien redet, ist in Gefahr. Den Postings in den Sozialen Medien entnehme ich aber, dass in der Bevölkerung Angst und Panik herrscht vor der Rache des Regimes. Die Menschen beklagen, dass jetzt nicht nur das Regime ihr Gegner ist, sondern auch noch Israel und die USA. Sie fürchten, zwischen diesen Mächten zerrieben zu werden.

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