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Die Koalition in Sachsen ist bei der Gesetzgebung auf die Zusammenarbeit mit der Opposition angewiesen. Hier Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mit Linksfraktionschefin Susanne Schaper.

Ein Jahr Koalition in Sachsen : Minderheitsregierung vor großen Herausforderungen

Die Minderheitsregierung von Ministerpräsident Michael Kretschmer steht vor einem schwierigen Jahr. Der Konsultationsmechanismus muss sich erst noch bewähren.

17.12.2025
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5 Min

Sachsens Minderheitsregierung steht vor einem Jahr der Wahrheit. Die Oppositionsfraktionen von Linken und Grünen haben gedroht, dem neuen Polizeigesetz ihre Zustimmung zu verweigern. Die Linke könne dem Entwurf "aus heutiger Sicht" nicht zustimmen, sagte Fraktionschefin Susanne Schaper. Die geplanten Eingriffe in die Freiheitsrechte seien zu weitreichend. Auch die Grünen signalisierten, dass sie "für den Entwurf in der jetzigen Form nicht zur Verfügung" stünden und nannten das Gesetz "verantwortungslos".

Beim Polizeigesetz droht Streit zwischen Regierung und Opposition

Die sächsische Minderheitsregierung von CDU und SPD ist bei Gesetzgebungsverfahren auf Stimmen der Opposition angewiesen. Wegen eines Verfassungsgerichtsurteils muss das Gesetz bis zum Sommer verabschiedet sein. Es soll die Arbeit der Polizei modernisieren und sieht unter anderem die Einführung von Tasern, Möglichkeiten zur Drohnenabwehr und zur verdeckten, automatischen Kennzeichenerfassung von Autos, eine automatisierte Datenanalyse und den Einsatz von Bodycams auch in Wohn- und Geschäftsräumen vor. Ebenso lässt der Haushalt für die Jahre 2027/2028, der im neuen Jahr verabschiedet werden soll, wegen des enger werdenden finanziellen Spielraums Auseinandersetzungen vermuten.


„Wir haben bewiesen, dass Kompromisse und Mehrheiten weiterhin möglich sind - auch wenn viele das Gegenteil behaupten.“
Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU)

Nach seiner Wahl durch den Landtag am 18. Dezember des vergangenen Jahres konnte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ein Jahr lang nahezu geräuschlos regieren. Die meiste Aufmerksamkeit erregte noch der Stundenausfall an den Schulen, der Lehrermangel. Für Schlagzeilen sorgte ein Staatsminister, der mit dem Auto im Straßenverkehr wohl gelegentlich etwas flott unterwegs ist und dabei geblitzt wurde, oder ein Abgeordneter, der in Motorrad-Montur vor das Landtagsplenum treten wollte, um über die Fankultur am Sachsenring zu sprechen.

Mit einem neuen Verfahren sollen andere Fraktionen eingebunden werden

Kretschmer hatte bei seiner Wahl zum Ministerpräsidenten vor allem die Oppositionsfraktionen von Linken, BSW und Grünen mit dem Versprechen umworben, sie bei Regierungsvorhaben künftig stärker zu beteiligen. Das Zauberwort dafür lautete "Konsultationsmechanismus". 

Für die Opposition verband sich damit die Hoffnung auf Zugeständnisse der Regierung und die Chance, auch eigenen Initiativen durch das Parlament zu bekommen. Eine etwas bizarr anmutende Skizze auf der Internetseite der Regierung soll die Verfahrenswege des Konsultationsmechanismus', das Hin und Her von Anträgen und Erwiderungen dabei veranschaulichen.

Kretschmer sieht eine neue Kultur des Ermöglichens

Die Rechnung Kretschmers schien aufzugehen, als im Juni der Staatshaushalt für die Jahre 2025/2026 den Landtag ohne größere Komplikationen passierte. Schon zuvor war auf Antrag der Linken der 8. Mai, der Tag des Kriegsendes, in Sachsen Gedenktag geworden - mit Zustimmung der CDU.

Das ist der Konsultationsmechanismus

📊 Mit dem Mechanismus sollen parlamentarische Mehrheiten organisiert werden. Der Sächsische Landtag umfasst 120 Mandate, die Mehrheit liegt also bei 61 Stimmen. Im Landtag verfügen CDU (41) und SPD (10) zusammen über 51 Mandate, zur Mehrheit fehlen somit zehn Stimmen, die von der Opposition kommen müssen.

📝 Der Konsultationsmechanismus sieht vor, dass die Koalition die Abgeordneten schon gleich zu Beginn einer Gesetzesinitiative darüber in Kenntnis setzt. Noch bevor der jeweilige Entwurf offiziell dem Landtag zugeleitet wird, bekommen ihn die Abgeordneten. 

🔎Alle Fraktionen und unabhängigen Parlamentarier können die Initiative dann prüfen und Änderungen vorschlagen. Die Regierung nimmt die Vorschläge auf und entscheidet, welche Ergänzungen übernommen werden können. Bei größeren Streitigkeiten kommt die Koalition mit den Fraktionen zu Beratungen zusammen.



Kretschmer sprach denn auch bei der Verabschiedung des Haushaltes von einer neuen "Kultur des Ermöglichens" über Parteigrenzen hinweg, die "mit dem Blick auf das große Ganze in die Gesellschaft" getragen werde.

Die Linke begründete hingegen die Zustimmung zum Haushalt mit dem Hinweis, damit die Unsicherheit für Tausende Menschen beenden zu wollen. Zudem habe sie eine Reihe von Punkten einbringen können. Und auch die Grünen meinten, eine "erkennbare Handschrift" hinterlassen zu haben.

Schlechte Umfragewerte vor allem für die SPD im Freistaat

Ausgezahlt hat sich diese Harmonie für die Koalitionsparteien jedoch zumindest bisher nicht. Jüngsten Umfragen von Anfang Dezember zufolge ist die CDU seit der Landtagswahl im September 2024 von 31,9 Prozent auf 27 Prozent zurückgefallen. Die AfD hingegen hat mit jetzt 38 Prozent die Marke von 40 Prozent im Blick. Bei der Landtagswahl 2024 kam die Partei auf 30,6 Prozent

Für die SPD wiederum geht es den Umfragewerten zufolge mit etwa fünf Prozent (2024: 7,3 Prozent) mittlerweile um die pure Existenz, die Grünen halten sich bei sechs Prozent (2024: 5,1 Prozent). Die Linken haben sich wieder auf zehn Prozent steigern können. Bei der Wahl 2024 lagen sie mit 4,5 Prozent unter der Fünf-Prozent-Hürde, zogen aber mit zwei direkt gewonnenen Wahlkreisen in Leipzig per Grundmandatsklausel in den Landtag ein. Das BSW scheint mit acht Prozent (2024: 11,8 Prozent) ebenfalls noch relativ gesichert.

Bei der Opposition macht sich Ernüchterung breit

Doch der Zauber des Neuanfangs scheint ohnehin verflogen, auch wenn Kretschmer in einer vorgezogenen Bilanz Ende November die Zusammenarbeit mit der Opposition abermals ausdrücklich gelobt hat. "Mit unseren Partnern in den Oppositionsfraktionen haben wir bewiesen, dass Kompromisse und Mehrheiten weiterhin möglich sind - auch wenn viele das Gegenteil behaupten", erklärte er.

Bei den so Gelobten macht sich hingegen Ernüchterung breit. Aus Sicht von Linksfraktionschefin Susanne Schaper läuft es zwischen der Opposition und der Regierung "bisher keineswegs wie geschmiert". Verbindlichkeit und Augenhöhe seien noch immer nicht selbstverständlich. Viele Vorlagen kämen "auf den allerletzten Pfiff". "Wir sind aber keine Lückenbüßer." Es gebe jetzt aber regelmäßige Gesprächsformate der Fraktionsvorsitzenden und Parlamentarischen Geschäftsführungen, und bei Bedarf komme natürlich der Ministerpräsident vorbei. Dabei würden auch Forderungen der Opposition besprochen.

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Die Minderheitsregierung von CDU und SPD in Sachsen läuft bislang relativ geräuschlos. Allerdings scheint die Opposition zunehmend genervt von der aus ihrer Sicht unzureichenden Einbindung in Gesetzesvorhaben nach dem Konsultationsprinzip. Von einem Murmeltier-Verhalten ist die Rede: Sie kommen nur aus ihrem Bau, wenn sie müssen.

Die Grünen-Fraktionschefin Franziska Schubert fühlt sich nach eigenem Bekunden bei CDU und SPD an Murmeltiere erinnert: "Sie verbringen die meiste Zeit in ihrem Bau und kommen nur heraus, wenn sie etwas wollen." Sie wirft den Koalitionären zudem "dilettantisches Vorgehen" vor. Bei der Verabschiedung des Haushaltes etwa habe die Minderheitskoalition zu lange auf ihren "Premiumpartner BSW" gehofft und sich erst im letzten Augenblick auf die Grünen und Linken zubewegt. 

Relative Stabilität ohne eigene Mehrheit im Landtag

Auch beim Reformstaatsvertrag für den Rundfunk habe sich die Koalition "verpokert" und nicht rechtzeitig eine Mehrheit organisiert. "Es wäre gut, wenn man nicht immer auf die Opposition als letzten Retter hofft. Es muss jetzt auch mal auf der anderen Seite der Waage etwas passieren", sagt sie.

"Dieser Konsultationsmechanismus funktioniert nicht", konstatierte die zum Jahresende scheidende BSW-Fraktionsvorsitzende Sabine Zimmermann. "Er ist eine Einbahnstraße, und wir sollen nur zustimmen. So kann es nicht gehen." Der Haushalt 2025/2026 oder der Rundfunk-Reformstaatsvertrag sei mit Hilfe von Grünen und Linken umgesetzt und damit ein Weiter-so manifestiert worden. Beim Polizeigesetz bleibe offen, ob die Regierung überhaupt Mehrheiten finde. Die AfD hatte eine Mitarbeit im Rahmen des Konsultationsmechanismus' abgelehnt.

Eine Minderheitsregierung muss vorab Mehrheiten organisieren

Der Politikwissenschaftler Eric Linhart von der TU Chemnitz meint hingegen, Kretschmer sei es gelungen, im Freistaat trotz extrem schwieriger Mehrheitsverhältnisse für politische Stabilität zu sorgen. "Die Minderheitsregierung konnte zentrale Vorhaben - darunter den Doppelhaushalt - umsetzen, größere Krisen blieben aus. Wie sehr das dem Konsultationsmechanismus geschuldet ist, bleibt aber Spekulation."

Der Forscher findet: "Diese Maßnahme kann durchaus Vertrauen schaffen, auch weil sie den beteiligten Oppositionsparteien in begrenztem Maß ermöglicht, selbst initiativ zu werden." Aber auch ohne formalen Konsultationsmechanismus müsse eine Minderheitsregierung vorab Mehrheiten organisieren.

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