
Zuständig für die großen Zukunftsfragen : Das macht eine Enquete-Kommission im Bundestag
Enquete-Kommissionen leisten parlamentsinterne Politikberatung. Sie arbeiten interdisziplinär, gründlich und oft unsichtbar zu Themen, die Differenzierung verlangen.
Inhalt
Künstliche Intelligenz, die Zukunft der beruflichen Bildung oder die Aufarbeitung der Corona-Pandemie: Die Themen, mit denen sich Enquete-Kommissionen (französisch für: Befragung, Untersuchung) beschäftigen, verlangen Differenzierung und einen langen Atem. Enquete-Kommissionen bieten das parlamentarische Format und den Raum, um über Parteigrenzen hinweg zu denken und komplexe Fragen zu durchleuchten – quasi als parlamentsinterne Politikberatung.
Die erste Enquete-Kommission setzte das Parlament im Jahr 1969 zum Thema „Auswärtige Kulturpolitik" ein. Bis dahin sah die Geschäftsordnung (GOBT) des Parlaments ein solches Gremium nicht vor. Erst mit einer „Kleinen Parlamentsreform“ beschloss der Bundestag im Juni 1969, dies in Paragraf 56 GOBT aufzunehmen. Das Ziel war damals, das Parlament mit Sachverstand zu stärken und einen Ausgleich zu den Möglichkeiten der Exekutive zu schaffen, sich wissenschaftliche Beratung einzuholen.
Der Zweck: Umfassende Informationen über ein Thema als Grundlage für Entscheidungen
Enquete-Kommissionen werden vom Bundestag eingesetzt, wenn es um langfristige und oft grundlegende gesellschaftliche Entwicklungen geht. Oft handelt es sich um bedeutende Themen oder Sachkomplexe, in denen verschiedene Aspekte - rechtliche, wirtschaftliche, soziale und ethische - abgewogen werden. Diskutiert wird über verschiedene Ansatzpunkte, potenzielle Auswirkungen gesetzgeberischen Handelns sowie Regelungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Das Ziel: Eine gemeinsame Position zu erarbeiten, die von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen wird.
Laut Paragraf 56 der Geschäftsordnung muss der Bundestag auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder eine Enquete-Kommission einsetzen. Der genaue Arbeitsauftrag wird im Einsetzungsbeschluss festgelegt, auf dessen Grundlage bis zum Ende der Wahlperiode ein Bericht erwartet wird. Darin sind meist Empfehlung für die Gesetzgebung festgehalten, die im Plenum debattiert werden.
Die Mitglieder: Abgeordnete treffen auf externe Sachverständige aus verschiedenen Disziplinen
Im Unterschied zu Ausschüssen ist in Enquete-Kommissionen externer Sachverstand direkt integriert: Sachverständige - Wissenschaftler, Praktiker und Menschen aus der Zivilgesellschaft - arbeiten mit Abgeordneten als gleichberechtigte Mitglieder des Gremiums. Eine diverse Besetzung sowie Anhörungen und Austausche mit verschiedensten Akteuren ermöglichen Dialog und Ausgleich. Die Kommissionen tagen in der Regel nicht-öffentlich, eine Ausnahme bilden Anhörungen – diese finden öffentlich statt.

Neben den regulären Sitzungen einer Enquete-Kommission gibt es auch Anhörungen mit Enquete-fremden Sachverständigen.
Die Sachverständigen sind in der Regel Fachleute auf ihrem Gebiet. Da es um eine möglichst breite Informationsgewinnung geht, können zusätzlich auch Institutionen, Verbände oder Forschungseinrichtungen unterstützen. Das Gremium kann auch Berichte von Ministerien anfordern oder Gutachten in Auftrag geben.
Die Mitglieder der Enquete-Kommission werden nicht vom Bundestag gewählt, sondern von den Fraktionen entsandt und von der Bundestagspräsidentin berufen. Jede Fraktion kann ein Mitglied entsenden, auf Beschluss des Bundestages können es auch mehrere Mitglieder sein. Den Vorsitz stellt die stärkste Fraktion.
Beispiele aus der Parlamentsgeschichte: Von Kernenergie bis zu Künstlicher Intelligenz
Ein Blick in die Parlamentsgeschichte zeigt, wie unterschiedlich die Themen sind, an denen Enquete-Kommissionen arbeiten, und wie unterschiedlich sie in die Öffentlichkeit hineinwirken, also für das Thema sensibilisieren. An den Themen der verschiedenen Kommissionen lassen sich Entwicklungen und Problemstellungen in Fragen von Technologie, Wirtschaft, Ökologie und Gesellschaft nachvollziehen.
Bereits im Oktober 1994 legte etwa eine Enquete-Kommission ihren Schlussbericht zum „Schutz der Erdatmosphäre“ und zu einer „nachhaltigen Energiepolitik für dauerhaften Klimaschutz“ vor – ein Vorläufer moderner Klimapolitik. Bereits zwischen 1979 und 1983 wurde in der Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik“ über Ausstiegsszenarien nachgedacht – lange vor der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im April 1986. Auch um ethische und gesundheitspolitische Fragen wurde gerungen, etwa in der Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ in der 14. Wahlperiode oder in der Kommission „Gefahren von AIDS und wirksame Wege zu ihrer Eindämmung“ Ende der 1980er Jahre.
Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ in der 17. Wahlperiode legte den Grundstein für den späteren Bundestagsausschuss Digitale Agenda. Zwischen 2018 und 2020 beriet die Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ (KI) über die Auswirkungen auf die Gesellschaft, die Arbeitswelt und die Demokratie. Der knapp 800-seitige Abschlussbericht floss in die Arbeit mehrerer Ausschüsse ein.
Die Anzahl der Enquete-Kommissionen pro Wahlperiode unterscheidet sich dabei über die Wahlperioden hinweg stark; so gab es etwa in der 18. Wahlperiode keine, aber dafür in der 13. und 14. Legislaturperiode in den 1990er Jahren jeweils fünf.
Die Wirkung: Sie erarbeiten zwar keine Gesetze, aber stellen Weichen dafür
Enquete-Kommissionen erarbeiten keine Gesetzentwürfe – sie erarbeiten einen Abschlussbericht, der in der Regel Empfehlungen für die Gesetzgebung oder Parlamentsbeschlüsse beinhaltet.
Oft sind diese Berichte der Ausgangspunkt für spätere Gesetzesinitiativen, da sie Grundlagen legen, Argumente liefern und Konfliktlinien aufzeigen. Sie geben Orientierung, in welche Richtung sich die politische Kompassnadel bewegt. Ist in einzelnen Themengebieten kein Konsens herstellbar, kann dies zum Beispiel über Sondervoten dokumentiert werden.
Worin besteht der Unterschied zum Untersuchungsausschuss?
Die Enquete-Kommission wird gern mit dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss verwechselt. Während die Enquete-Kommission nach vorne blickt und Lösungen für Zukunftsfragen sucht, schaut der Untersuchungsausschuss zurück: Er ist das schärfste Schwert des Parlaments zur Kontrolle der Regierung. Sein Ziel ist nicht in erster Linie Erkenntnis für morgen, sondern vor allem die Aufklärung über gestern – etwa bei Skandalen, Fehlverhalten, Missständen oder Machtmissbrauch. Wenn Enquete-Kommissionen eher Denkfabriken sind, ähneln Untersuchungsausschüsse Gerichtssälen. Beide dienen der Demokratie, jedoch auf sehr unterschiedliche Art und Weise.
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