Lehren ziehen aus der Pandemie : Bundestag setzt Enquete-Kommission zur Corona-Pandemie ein
Mit breiter Mehrheit hat der Bundestag eine Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie beschlossen. Die Opposition hatte einen Untersuchungsausschuss gefordert.
Sie standen sich wie Duellanten gegenüber, mit wenigen Metern Abstand, jeweils an einem Saalmikrofon, die Gesichter angespannt. Janosch Dahmen (Grüne) und Jens Spahn (CDU) gerieten am Mittwoch in der Haushaltsdebatte aneinander, weil sie eine völlig unterschiedliche Sicht auf die Maskenbeschaffung in der Corona-Pandemie haben.
Dahmen attackierte Spahn, der verteidigte sich und erinnerte an gemeinsame Absprachen. Die Szene hatte Symbolcharakter. Die Regierungsfraktionen von Union und SPD versprechen eine umfassende Aufarbeitung der Corona-Pandemie, die Opposition befürchtet, dass fatale Fehlentscheidungen mit Verweis auf die damalige Notlage unter den Teppich gekehrt werden könnten.
Die Enquete-Kommission hat einen umfangreichem Arbeitsauftrag
Die am Donnerstag mit den Stimmen von Union, SPD, Grünen und Linken eingesetzte Enquete-Kommission soll laut dem in den Beratungen leicht veränderten Antrag die Aufarbeitung mit einem breiten Auftrag angehen. Neben dem Krisenmanagement und den Strategien zur Eindämmung des Virus, den rechtlichen Rahmenbedingungen, der parlamentarischen Kontrolle sowie wirtschaftlichen und sozialen Aspekten geht es auch um die Analyse der staatlichen Beschaffungs- und Vergabeverfahren. Ergebnisse sollen Ende Juni 2027 vorliegen.

Margaretha Sudhof, Sonderermittlerin zu Corona-Maskenbeschaffungen, kommt zum Haushaltsausschuss im Bundestag. Sudhof hatte sich in einem Sonderbericht kritisch zur Art der Maskenbeschaffung und zur Rolle des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) geäußert.
Nach Ansicht von Grünen, Linken und AfD reicht die Enquete-Kommission nicht aus. Die Opposition fordert einen Untersuchungsausschuss, um Licht ins Dunkel der umstrittenen Maskenbeschaffung zu bringen, die Mittel in Milliardenhöhe verschlungen hat und im Rückblick viele Fragen aufwirft. Grüne und Linke haben zusammen nicht genug Stimmen für einen solchen Antrag, eine Kooperation mit der AfD wird strikt abgelehnt. Ein AfD-Antrag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fand keine Mehrheit.
Kommission soll eine befriedende gesellschaftliche Wirkung haben
Hintergrund

In der Schlussberatung hoben Redner von Union und SPD hervor, dass die Enquete-Kommission eine befriedende gesellschaftliche Wirkung haben solle. Hendrik Hoppenstedt (CDU) betonte: "Mit Untersuchungsausschüssen werden keine Lösungen gesucht und erst recht kein Konsens, sondern es ist Kampf, es ist Streit." Er stellte klar: "Wir brauchen keine zwei Gremien für die Aufarbeitung der Corona-Pandemie." Im September solle die Kommission mit der Arbeit beginnen und "Gräben überwinden". Auch Lina Seitzl (SPD) sagte, es gehe darum, "Lehren aus dieser Ausnahmesituation" zu ziehen, es gehe nicht um Schuldzuweisungen.
Helge Limburg (Grüne) erklärte hingegen, ein Untersuchungsausschuss bleibe richtig in der Frage der Maskenbeschaffung, die Spahn als Bundesgesundheitsminister zu verantworten hatte. Die Enquete-Kommission könne gleichwohl einen Beitrag zur gesellschaftlichen Versöhnung leisten. Ates Gürpinar (Linke), der den AfD-Antrag schroff zurückwies, sagte, im Fall der Maskenbeschaffung werde weiter ein Untersuchungsausschuss angestrebt. Stephan Brandner (AfD) forderte eine "schonungslose Aufarbeitung von Verbrechen und Vergehen". Er hielt der Koalition vor, kein Interesse an einer Aufarbeitung zu haben und sprach von einem "Schweigekartell".
Schwärzungen im Sudhof-Bericht sorgen für Diskussionen
Unterdessen ist der als geheime Verschlusssache gehandelte und in Teilen geschwärzte Bericht über die Maskenbeschaffung im Detail bekannt. Journalisten haben sich ausführlich mit der Frage befasst, was Sonderermittlerin Margaretha Sudhof (SPD) herausgefunden hat. Mittlerweile dreht sich die Debatte auch darum, welche Teile des Berichts geschwärzt wurden und warum und was Sudhof öffentlich sagen darf.
Für die Opposition ist die Sache klar: Spahn, heute Unionsfraktionschef, soll aus der Schusslinie genommen werden. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) argumentiert hingegen, nur Passagen, die Persönlichkeitsrechte, Dienst- und Geschäftsgeheimnisse sowie laufende Gerichtsverfahren beträfen, seien unkenntlich gemacht worden.
Auch der Bundesrechnungshof schickte einen kritischen Bericht
Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR zufolge wurden in den Fußnoten fast durchgängig Belege unkenntlich gemacht, die zeigen, wie Spahn persönlich in Entscheidungen zur Beschaffung eingebunden war und wie eindeutig vor Risiken gewarnt wurde. In einem umfassend geschwärzten Teil geht es den Angaben zufolge um Verträge mit der Schweizer Firma Emix, die auch wegen hoher Provisionszahlungen an Vermittler heftig kritisiert werden.
„Es gibt mehr offene als beantwortete Fragen.“
Auch der Bundesrechnungshof übermittelte dem Haushaltsausschuss einen kritischen Bericht zur Maskenbeschaffung, aus dem die Nachrichtenagentur dpa zitiert. Demnach gab das Bundesgesundheitsministerium bis 2024 rund 5,9 Milliarden Euro für 5,8 Milliarden Masken aus. Die Behörde rügte die "massive Überbeschaffung". Letztlich seien nur 1,7 Milliarden Masken im Inland verteilt worden. Mehr als die Hälfte der beschafften Menge sei vernichtet worden oder müsse noch vernichtet werden.
Außerdem rechne das Ministerium für 2025 mit Abwicklungsrisiken aus Verträgen zu direkten Beschaffungen von bis zu 120 Millionen Euro sowie von 360 Millionen Euro aus Rechtsstreitigkeiten. Aktuell seien noch rund 100 Klagen mit einem Gesamtstreitwert von 2,3 Milliarden Euro anhängig, heißt es laut Agentur in dem Bericht.
Die Beratungen in den Ausschüssen werden als vertraulich hochgestuft
Sudhof stellte sich in dieser Woche im Haushalts- und Gesundheitsausschuss den Fragen der Abgeordneten. Die Sitzungen wurden als vertraulich hochgestuft, um eine umfassende Äußerung Sudhofs zu ermöglichen. Nach der Sitzung des Haushaltsausschusses am Dienstag sahen sich Grüne und Linke bestätigt. "Es gibt mehr offene als beantwortete Fragen", sagte die Grünen-Paula Piechotta. CDU-Haushälter Christian Haase erklärte dagegen, "Verschwörungstheorien von Linken und Grünen" hätten keine neue Nahrung bekommen. Der Haushaltsausschuss will sich Ende Juli erneut mit dem Thema befassen.
Spahn sieht sich derweil als Opfer bösartiger Unterstellungen und konstruierter Vorwürfe. Er ging in der Haushaltsdebatte am Mittwoch ausführlich auf die Maskenbeschaffung ein und erinnerte daran, dass der Bund in den drei Corona-Jahren 440 Milliarden Euro im Kampf gegen die Pandemie ausgegeben habe.
Zugleich gab er einen Einblick in seine Gefühlswelt und sagte: "Ich stelle mich der Verantwortung und der Debatte: jeden Tag, seit fünf Jahren. Die Frage ist, was wir, trotz allen Bemühens, hätten besser machen können, wo Versäumnis und Schuld liegt. Diese Frage wird mich wahrscheinlich für immer begleiten, allein schon, weil ich sie mir selbst ständig stelle."
Rückendeckung erhielt der unter Druck stehende Spahn von Kanzler Friedrich Merz (CDU), der in der Regierungsbefragung sagte: “Ich teile die Einschätzung, die Jens Spahn hier heute vorgetragen hat, und ich habe keinen Zweifel an der Richtigkeit seiner Aussagen.”
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