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Der Polizeibeauftragte dient Polizisten und Bürgern als Anlaufstelle, um beispielsweise Fehlverhalten oder mögliche strukturelle Missstände anzuzeigen.

Polizeibeauftragter im Interview : "Die Arbeitsbelastung hat sich noch einmal drastisch erhöht"

Der Polizeibeauftragte des Bundes, Uli Grötsch, hat seinen ersten Jahresbericht vorgelegt. Im Interview zieht er eine Bilanz seiner bisherigen Amtszeit.

09.07.2025
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7 Min

Herr Grötsch, Sie sind seit März 2024 Polizeibeauftragter des Bundes beim Bundestag, bei dem Bürger wie auch Mitarbeiter der Bundespolizeibehörden eventuelles Fehlverhalten der Polizisten dort oder auch mögliche strukturelle Mängel melden können. Wie viele Eingaben haben Sie seit Amtsantritt erhalten?

Uli Grötsch: Wir haben seit meinem Amtsantritt mehr als 1.500 Zuschriften bekommen. Dabei geht es um die unterschiedlichsten Themen. Daraus sind 500 Vorgänge erwachsen - über zu wenig Arbeit können wir uns also ganz und gar nicht beschweren.

Wie viele dieser Eingaben stammen von Bürgern und wie viele von Angehörigen der Bundespolizei, des Bundeskriminalamts oder der Bundestagspolizei?

Uli Grötsch: Das schwankt ein bisschen, aber alles in allem kommen etwa zwei Drittel der Eingaben aus der Bevölkerung und ein Drittel von Polizeibeschäftigten. Dabei sind letztere in der Bearbeitung oftmals umfangreicher und aufwendiger, weil es auch um laufbahnrechtliche Fragen geht.

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Uli Grötsch
begann 1992 seine Ausbildung bei der bayerischen Polizei und arbeitete danach bis 2013 als Polizeibeamter in Bad Reichenhall, Nürnberg und Waidhaus. Von 2013 bis 2024 gehörte der Sozialdemokrat dem Bundestag an, wo er unter anderem bis 2023 im Innenausschuss und ab 2014 im Parlamentarischen Kontrollgremium zur Kontrolle der Nachrichtendienste saß. Im März 2024 wurde er zum ersten Polizeibeauftragten des Bundes beim Bundestag gewählt.
Foto: DBT / Inga Haar

Worum ging es bei den Eingaben ansonsten thematisch?

Uli Grötsch: Einmal querbeet um alle Situationen, in denen sich Bürgerinnen und Bürger und Polizeibehörden des Bundes begegnen. Dabei haben wir bei den Eingaben aus der Bevölkerung momentan einen Schwerpunkt beim Thema Grenzkontrollen.

Sie haben ja inzwischen viele der Kontrollstellen an den Grenzen besucht. Wie stellt sich Ihnen die Situation dort dar?

Uli Grötsch: Tatsächlich habe ich im ersten Jahr mehr als 30 davon besucht. Mir war ein wichtiges Anliegen, dass die Polizeibeschäftigten sehen: Der Vertreter des Parlaments ist vor Ort. Er schaut sich die Situation derer an, die das ausführen, was im Bundestag beschlossen und durch das Bundesinnenministerium angeordnet wird. Alles in allem kann ich sagen: Die Arbeitssituation der Bundespolizistinnen und -polizisten hat sich im Laufe des Jahres deutlich verbessert. Am Anfang war das alles an den Grenzkontrollstellen noch ziemlich rudimentär. Inzwischen sehen wir überwiegend gut ausgestattete Kontrollstellen, aber - dickes Aber! - das lässt sich bei Weitem nicht pauschal sagen. Wir waren zum Beispiel an Grenzkontrollstellen, an denen die Polizistinnen und Polizisten noch auf Dixie-Toiletten gehen müssen. Das halte ich für einen unhaltbaren Zustand. Da ist der Dienstherr gefordert, für vernünftige Lösungen zu sorgen.

Und wir brauchen für zukünftige, vergleichbare Lagen eine vernünftige Vorhaltung von Infrastruktur bei der Bundespolizei. Damit meine ich zum Beispiel Wasser, Abwasser, Stromversorgung, Ausrüstung, bauliche Voraussetzungen. Das werde ich zu gegebener Zeit beim Parlament ausführlich adressieren. Von alleine geht das nicht.


„Für die Polizistinnen und Polizisten an den Grenzkontrollstellen ist die derzeitige Rechtsunsicherheit eine zusätzliche Belastung.“
Uli Grötsch

Sie haben jetzt über die Ausstattung der Kontrollstellen gesprochen. Es war aber auch schon vor der Ausweitung der Kontrollen dort oft von einer Überlastung der Bundespolizei zu hören. Hat sich dieses Problem seit der Intensivierung Anfang Mai noch einmal verschärft?

Uli Grötsch: Ja, hat es sich - wenn Sie von einem Problem sprechen möchten. Ich weiß, dass sich die Arbeitsbelastung noch einmal drastisch erhöht hat. Die Bundespolizei ist eine Behörde - sie bekommt das immer hin. Aber man muss natürlich auch fragen: Zu welchem Preis? In vielen Bereichen der Bundespolizei leiden wichtige Aufgaben wie zum Beispiel bei der Bundesbereitschaftspolizei. Dort sind Fortbildungen oder Übungen im notwendigen Ausmaß oftmals nicht mehr möglich, weil die Kräfte an den Kontrollstellen gebunden sind. Das kann man vorübergehend so machen, aber das darf nicht dauerhaft so sein.

Seit dem 7. Mai können nach einer Weisung von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt an den deutschen Grenzen auch Asylsuchende zurückgewiesen werden, was das Verwaltungsgericht Berlin Anfang Juni in drei Fällen für rechtswidrig erklärte. Hören Sie seitdem Klagen von Bundespolizisten über Rechtsunsicherheit, und sehen Sie hier selbst eine Rechtsunsicherheit?

Uli Grötsch: Ja, die sehe ich. Für die Polizistinnen und Polizisten an den Grenzkontrollstellen ist die derzeitige Rechtsunsicherheit eine zusätzliche Belastung. Sie brauchen für ihr Handeln vor Ort Verlässlichkeit und Klarheit - das darf jeder im Einsatz erwarten. Beides genau gibt es aber nicht, wenn ein Gericht etwas anderes sagt als der Dienstherr.

Welche Rolle spielen bei den Eingaben an Sie Themen, die oft in der öffentlichen Debatte sind, etwa Polizeigewalt, rechtsextreme Chatgruppen, falsch verstandener Korpsgeist?

Uli Grötsch: Falsch verstandener Korpsgeist ist für uns schon ein Thema, aber so etwas wie rechtsextreme Chatgruppen hatten wir nicht. Wir haben auch keine Fälle von rechter oder von rassistischer Polizeigewalt, wie man sich das vorstellt, wenn man an Vorfälle etwa in den USA denkt. Das haben wir nicht, aber die Frage Korpsgeist ist schon ein Thema. Und, in der Öffentlichkeit viel diskutiert, ist auch das Thema Racial Profiling. Das heißt, dass jemand womöglich nur etwa wegen seiner Hautfarbe, Religion oder seiner ethnischen Zugehörigkeit kontrolliert wird. Das ist ein ziemlich heikles Thema.


„Niemand erwartet und kann erwarten, dass Polizistinnen und Polizisten immer alles richtig machen.“
Uli Grötsch

Sie haben in dem Kontext einmal von einem Spagat gesprochen. 

Uli Grötsch: Für die Bundespolizistinnen und -polizisten ist das ein großer Spagat: Auf der einen Seite dürfen sie niemanden kontrollieren, nur weil er aussieht, als käme er beispielsweise aus Afrika; auf der anderen Seite sollen sie gerade die illegale Migration auch aus Afrika bekämpfen.

Wie lässt sich in Ihren Augen aus diesem Dilemma herauskommen?

Uli Grötsch: Ich halte es für elementar wichtig, dass es in diesen Fragen zu einer fortdauernden Sensibilisierung bei der Bundespolizei kommt. Dass die Bundespolizistinnen und -polizisten wissen, was das heißt, wenn beispielsweise jemand mit südländischem Migrationshintergrund oder einer schwarzen Hautfarbe an der deutsch-österreichischen Grenze zum siebten Mal kontrolliert wird, nachdem er in dieser Woche schon sechs Mal kontrolliert worden war und jetzt entsprechend verärgert ist. Es geht also um Sensibilisierung. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Fehlerkultur: Dass man Fehler eingesteht. Niemand erwartet und kann erwarten, dass Polizistinnen und Polizisten immer alles richtig machen. Aber das Thema Fehlerkultur ist ein wichtiger Ansatzpunkt für unsere Arbeit, sowohl ganz allgemein als auch insbesondere für die Grenzkontrollen.

Ihr Amt galt manchem schon vor seiner Einrichtung als ein Signal des Misstrauens gegenüber der Polizei. Haben Sie manchmal das Gefühl, tatsächlich als "Misstrauensbeauftragter" wahrgenommen zu werden?

Uli Grötsch: Nein, ganz im Gegenteil: eher als "Vertrauensbeauftragter". Ein größeres Vertrauen kann ein Parlament einer Behörde nicht entgegenbringen, als einen eigenen Beauftragten einzurichten, der direkt ansprechbar ist, ohne Einhaltung des Dienstwegs und auf Wunsch unter Wahrung der Vertraulichkeit der Personalien der Betreffenden. Ich gebe mein Bestes, dieses Vertrauen zu rechtfertigen.

Sie waren selbst jahrzehntelang Polizeibeamter. Wie hilfreich ist das für Ihre Arbeit?

Uli Grötsch: Sehr hilfreich. Der Polizeiberuf ist ein ganz besonderer Beruf, der mit keinem anderen vergleichbar ist. Nur die Polizei hat das Gewaltmonopol des Staates inne, trifft freiheitsbeschränkende Maßnahmen und dergleichen. Ich höre oft Sätze wie "Sie wissen ja, wie das ist" und "Sie haben das ja schon selbst erlebt". Also: Es war gut, für dieses Amt jemanden mit polizeilichem Hintergrund auszuwählen, der aber auch die andere Seite kennt.


„Ich bin immer fifty-fifty - sowohl Vertreter der Polizeiinteressen und der Bürgerinteressen.“
Uli Grötsch

Das gilt wohl vor allem für Ihre Gespräche mit den Polizisten vor Ort. Wie werden Sie weiter oben in der Hierarchie wahrgenommen: als hilfreicher Hinweisgeber oder als Nervensäge und Störenfried?

Uli Grötsch: Alles, was vor der Einführung des Polizeibeauftragten in einigen Medien kolportiert wurde, hatte anfangs teilweise schon verfangen. Das gehört mit zur Wahrheit. Aber es hat sich in den Polizeibehörden des Bundes relativ schnell herumgesprochen, dass es ausschließlich positiv ist, einen Polizeibeauftragten zu haben, und man mit ihm sehr gut zusammenarbeiten kann - im Interesse aller.

Und wie ist das bei Eingaben aus der Bevölkerung? Gelten Sie da nicht als Sprachrohr der Polizei?

Uli Grötsch: Nein. Ich bin immer fifty-fifty - sowohl Vertreter der Polizeiinteressen als auch der Interessen der Bürgerinnen und Bürger. Ich bin beides und sehe zwei Seiten - gleichermaßen.

Sie haben eine AfD-Mitgliedschaft als unvereinbar mit dem Polizeidienst bezeichnet und gefordert, dass einer solchen Mitgliedschaft mit offenem Engagement die Entfernung aus dem Dienst folgen muss.

Uli Grötsch: Einen Automatismus für eine Entfernung aus dem Dienst gibt es nicht und den sehe ich auch nicht. Es ist Aufgabe eines Disziplinarverfahrens, zu prüfen, ob und welche Disziplinarmaßnahme am Ende verhängt wird. Aber zuallererst müssen sich Polizeibeschäftigte selbst fragen, wie sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung als Mitglied einer extremistischen Organisation schützen können, die gerade diese Ordnung bekämpft. Das ist das Allerwichtigste. Zweitens: Der Gesetzgeber hat das Bundesdisziplinarrecht 2023 mit der klaren Intention geändert, Verfassungsfeinde schneller aus dem Staatsdienst entfernen zu können. Und meine Aufgabe ist auch, ein wachsames Auge auf die Exekutive - die Behörden und das Bundesinnenministerium - zu haben, wenn es darum geht, die Beschlüsse des Parlaments auch zu vollziehen.

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