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Foto: Ruben Rupp / picture alliance/dpa/Christoph Soeder / picture alliance/Michael Kappeler
Neu im Bundestag: Ruben Rupp (AfD, links), Julia Schneider (Grüne) und Johannes Volkmann (CDU).

Von Blitzwahlkampf bis Doppelmandat : Neue Gesichter im Parlament

230 Abgeordnete ziehen zum ersten Mal in den 630-köpfigen Bundestag ein. Wie es ihnen dabei ergeht, erzählen Julia Schneider, Ruben Rupp und Johannes Volkmann.

13.03.2025
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7 Min

Wenn Julia Schneider die Augen schließt, ist das neue Leben noch weit weg. Sie sitzt auf einer Parkbank neben dem Gropiusbau, in ihrem Rücken weht die Europafahne vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Die Märzsonne prickelt. Wären da nur nicht diese Termine. 

Gerade ist Schneider aus dem Landtag geeilt, eine Fraktionsvorstandssitzung, und gleich muss sie wieder zurück - mit ihrem Team steht die Wochenplanung an. Nur: Bald zieht die 35-Jährige, die das einzige ostdeutsche Wahlkreismandat für die Grünen im Bundestag gewonnen hat, eineinhalb Kilometer nördlich in den Bundestag; es wird gleich mehr eine Abschiedssitzung mit dem Team. "Es kam alles überraschend für mich", sagt sie.

Foto: Rainer Kurzeder

Die Berlinerin Julia Schneider hat mit Pankow den einzigen Wahlkreis im Osten für die Grünen gewonnen.

Schneider ist eine von 230 neuen Abgeordneten. Zwar schrumpfte der 21. Bundestag von 735 auf 630 Parlamentarier, aber gerade die Fraktionen von AfD, Union und Linken verbuchen eine Menge Neuzugänge. Wie leben sich die zum ersten Mal gewählten Volksvertreter ein?

Nach Blitzwahlkampf bleibt kaum Zeit für den Wechsel ins neue Leben

Die Berlinerin Schneider hatte den kürzesten Wahlkampf aller Kandidaten. Erst Anfang Januar wurde sie vom Wahlkreis Pankow aufgestellt, seitdem drehte sich die Welt ein wenig. "Ich war als Abgeordnete in der Landespolitik eigentlich glücklich", erinnert sie sich, als läge dies weit zurück. Doch dann kamen Vorwürfe sexueller Belästigung gegen den bereits nominierten Grünen-Kandidaten im Wahlkreis auf. Ein Teil stellte sich als erfunden heraus, ein anderer muss noch überprüft werden - aber die Partei suchte im Bundestagswahlkampf klare Verhältnisse und ließ neu abstimmen. Seitdem gehen die Uhren für Schneider ein wenig schneller.


„Mich bewegte dieser Versuch, etwas zu machen.“
Julia Schneider (Grüne)

Als sie zwölf war, zog ihre Familie von Berlin nach Freiburg im Breisgau. In der Klasse fragte man sie, ob sie aus dem Osten oder aus dem Westen sei, "und ich wusste es nicht", sagt Schneider und lächelt. "Erst meine Familie klärte mich auf." Ihre Verwandtschaft ist aus dem Osten, Schneider zog nach dem Abitur nach Madrid, dann nach Regensburg und Frankfurt an der Oder. "Meine Großeltern in Berlin wurden pflegebedürftig, da bin ich dann einmal in der Woche aus Brandenburg hingefahren." Am Abendbrottisch ihrer Familie war Politik kein Thema, dann wurde Schneider in Madrid 2010/2011 Zeugin und Teil der Protestbewegung "15-M", die soziale, wirtschaftliche und politische Missstände anprangerte. "Mich bewegte dieser Versuch, etwas zu machen." 

Gestalten bedeutet meist auch: kleinteiliges Arbeiten

Zurück in Deutschland und nach zwei Masterabschlüssen samt eines verwaltungswissenschaftlichen Ergänzungsstudiums suchte sie einen Job und fand ihn bei einem Grünen-Abgeordneten. Schneider wechselte in die Senatsverwaltung; irgendwann engagierte sie sich lokal - der Rest ist Geschichte. "Verwaltungsarbeit ist kleinteiliges Gefummel, aber von hoher Tragweite gerade auch für die Demokratie", erklärt sie ihr Interesse an der Gestaltung von Politik. Ein Blick aufs Handy, die kurze Pause ist vorbei.

Foto: Ruben Rupp

Ruben Rupp (AfD) ist bereits seit 2021 Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg. Bis zur Wahl im kommenden Jahr will er Doppelmandatsträger bleiben.

Weiter nördlich, in der sechsten Etage im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestages, herrscht gelöste Betriebsamkeit. Männer laufen Flure entlang, sie sprechen in ihre Handys - bis sie einen Raum erreichen, der ihnen als Anlaufstation dient: Hier hat die AfD einen Infopunkt für ihre "Neuen" eingerichtet, und das sind nicht wenige: Zwei Drittel der Fraktionsmitglieder sind zum ersten Mal im Bundestag; die AfD hatte bei der Bundestagswahl stark zugelegt. 

"Noch keinen Laptop gekriegt?", fragt ein Mitarbeiter ins Handy. "Wir kümmern uns drum." Da biegt Ruben Rupp um die Ecke, er reibt sich die Hände. "Die Stimmung ist super", sagt er, "wir sind die Wahlgewinner". Freuen tun sich indes nicht alle. "Wenn einer von uns im Fahrstuhl den sechsten Stock drückt, ist es mit Grüßen und Lächeln vorbei", kommentiert es seine Erfahrungen. "Ich würde mir wünschen, wenn Standard-Gepflogenheiten eingehalten werden." 

Doppelmandatsträger Rupp will Landtag und Bundestag unter einen Hut bekommen

Rupp ist erst 34, aber er wirkt auf den ersten Blick wie ein Politprofi. "Ich könnte von heute auf morgen anfangen", sagt der Apothekersohn, nur hat Rupp, frisch gewählter Abgeordneter der AfD aus Baden-Württemberg, weder Büro noch Personal. Aber Erfahrung: Seit 2021 ist er Landtagsabgeordneter; das Mandat wird er noch ein Jahr lang behalten, bis zur nächsten Landtagswahl: "Mein vorgesehener Nachrücker ist aus der AfD ausgetreten, er würde auch nicht unsere Politik vertreten, daher muss ich übergangsweise doppelt ran." Doppelte Bezüge erhält er dafür nicht, er muss sogar Strafzahlungen befürchten, wenn er Fraktions- und Plenarsitzungen verpasst. Er seufzt. “Es muss halt sein.”


„Noch wird die AfD nicht dafür gewählt, dass sie innovative Jobs schafft. Da müssen auch wir Lösungen erarbeiten.“
Ruben Rupp (AfD)

Rupp, dunkelblauer Anzug über hellblauem Hemd, bittet in den Raum nebenan. Im Zimmer 6596 empfing vor Jahren die FDP Journalisten zu Hintergrundgesprächen, doch das war einmal. Die Liberalen sind raus, und die AfD bezieht den sechsten Stock. Derweil zofft sie sich mit der SPD um den Fraktionsaal auf der Reichstagsebene gegenüber. "Wir sind mehr Abgeordnete als die SPD, daher brauchen wir den. Unser bisheriger ist definitiv zu klein." 

Für die Sozialdemokraten wäre es ein Stich ins rote Herz, der Saal ist nach Otto Wels benannt. Der damalige SPD-Chef hatte 1933 in seiner berühmten Rede gegen das geplante Ermächtigungsgesetz den Abgeordneten der NSDAP im Reichstag zugerufen: "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht."

Noch fehlen Büro und gute Mitarbeiter - und gerade die sind rar

Im Bundestag will sich Rupp in der Digitalpolitik mit wirtschaftlichem Schwerpunkt "Industrie 4.0" engagieren, er hat einen Bachelorabschluss in Wirtschaftswissenschaften. "Noch wird die AfD nicht dafür gewählt, dass sie innovative Jobs schafft", sagt er. "Da müssen auch wir Lösungen erarbeiten." Doch erstmal hat er nur seinen Bundestagsausweis. "Einigen anderen neu Gewählten in der Fraktion habe ich bereits einiges erklärt", sagt er, "sie fragten mich, ob man allein eine Pressemitteilung rausschicken darf oder ob sie die Buchhaltung allein machen müssen". Zwei Bewerbergespräche für Büropersonal habe er bereits geführt, "das waren selbstbewusste Verhandlungen auf Arbeitnehmerseite", bilanziert er. 

Gute Mitarbeiter sind rar: Die Fraktion ist groß und damit ihr Bedarf. "Und wir können nicht einfach ausschreiben, weil man uns so anfeindet. Da ist man auf interne Tipps von hier und da angewiesen." Aber das werde schon. Nur Berlin als Stadt, das gefalle ihm als Arbeitsort weniger. "Es gäbe schönere Städte als die Hauptstadt." Für die Sitzungswochen werde es bei ihm auf Hotels hinauslaufen. "Ursprünglich hatte ich überlegt, gar eine Immobilie zu kaufen. Aber der Markt ist angespannter als in Stuttgart." Und dann sei da noch die Umgebung. "Im Hansaviertel schaute ich mich um, da kam ein offensichtlich dunkelhäutiger Asylbewerber aus dem Gebüsch und schaute mich böse an." Sowas kenne er nicht aus Stuttgart, sagt Rupp - woran man einen Asylbewerber erkennt, sagt er nicht.

Foto: picture alliance/Michael Kappeler

Johannes Volkmann (CDU) hat einen Master in China-Studies und einen berühmten Großvater. Im Bundestag vertritt er künftig den hessischen Lahn-Dill-Kreis.

Auch im dunkelblauen Anzug und in hellblauem Hemd inspiziert ein weiterer Parlamentsneuling das Reichstagsgebäude. Johannes Volkmann schlendert auf der Plenarsaalebene entlang der braunen Steinwände, flinke Augen vermerken die Graffiti sowjetischer Soldaten, die den Reichstag 1945 einst befreiten. Es ist keine Sitzungswoche, der Flur leer und das Haus verwaist, als der 28-Jährige seinen Mantel aufhängt und sich 20 Meter entfernt auf ein Sofa setzt. 

Volkmann, Wahlkreisgewinner für die CDU in Lahn-Dill, zeigt sich kontrolliert, ruhig. Was nicht heißt, dass ihn all dies kalt ließe. Ernst ist er, als er wie nebenbei sagt: "Dass Politiker mit Demut kokettieren, ist ja ein Klischee. Aber mir ist es wirklich ein Anliegen, den Wählern im Wahlkreis gerecht zu werden." Dann spricht er über seinen Respekt vor der Aufgabe, über das permanente Gefühl der Dankbarkeit seit dem 23. Februar - und plötzlich fällt auf: Er meint das ausgesprochen ernst.

Neuer Abgeordneter hatte einen früheren Bundeskanzler als Großvater

Eine Reisegruppe passiert die Sitzecke. Ein Tourguide spricht auf Englisch über Konrad Adenauer, den ersten Kanzler. Der sechste, Helmut Kohl, war Volkmanns Opa. "Vorher macht man sich selbst ein Bild von der Aufgabe", sagt er. "Ich bin gespannt, ob das mit dem übereinstimmt, was mich in den kommenden Monaten in der Parlamentswirklichkeit erwartet." Anfangs seien seine Eltern ein wenig skeptisch gewesen, hätten ihn dann aber unterstützt. 

Immerhin trat Volkmann mit zwölf Jahren in die Schüler Union ein, war Schülersprecher und schaut bis heute fast jeden Tag in seinem Heimatort auf eine Bauruine, die am Anfang seines politischen Engagements stand: Dass seine Grundschule drei Jahre nach seinem Abgang dichtmachte und leer steht, wurme ihn bis heute. 


„Wir müssen zügig ins Regierungshandeln kommen. “
Johannes Volkmann (CDU)

Die Kunst des Kompromisses könnte zu einer Belebung führen, meint er, "alles weitere muss man vor Ort mit den kommunalen Gremien und dem Eigentümer besprechen." Dafür, dass er erst seit zwei Wochen Wahlkreisabgeordneter ist und noch kein festes Büro hat, wirkt er bestimmt. Kompromissfähigkeit ist auch in Berlin vonnöten. Gerade kommt er aus einer CDU-Sitzung, in der die Parteispitze die geplante Wende beim Schuldenmachen erklären musste. "Wir müssen zügig ins Regierungshandeln kommen", sagt er. "Und zu einem Politikwechsel - nicht nur in Inhalten, sondern auch im Stil mit Lösungen statt Streit." Sein Mantel hängt einsam an der Garderobe.

Volkmann hat seinen Master im englischen Oxford in "Contemporary China Studies" gemacht, ist vielseitig interessiert. Ihn, wie auch Schneider und Rupp, zeichnet etwas aus: eine gewisse Zielstrebigkeit, die nicht unbedingt ein Amt avisiert, sondern ein Tun. Für die drei wird der Bundestag zum Bezugspunkt; noch zehn Tage bis zur konstituierenden Sitzung. Alles neu macht der März.

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