Kranken- und Pflegeversicherung unter Druck : Gesundheitsministerin Warken will Reformen angehen
Die langfristige Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung bereitet zunehmend Sorgen. Fachkommissionen sollen Vorschläge machen.
Gesundheitsexperten rätseln, was die neue Koalition unternehmen will, um die prekären Finanzen der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung (GKV/SPV) langfristig zu stabilisieren und damit Beitragssprünge künftig zu verhindern. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD gibt dazu wenig her und ist eher von Absichtserklärungen geprägt als von konkreten Vorhaben.
Die Krankenversicherungen machen sich Sorgen über die weitere Entwicklung und kritisieren, dass die Problemlösung auf Kommissionen verlagert worden sei, die im Fall der GKV erst 2027 Reformvorschläge vorlegen solle. Das sei angesichts der drängenden Finanzprobleme zu spät. Bei der Pflegeversicherung soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände noch 2025 Ergebnisse präsentieren. Beide Versicherungen waren 2024 defizitär.
Vorgezogene Finanzspritze für den Gesundheitsfonds
Die Finanzlage in der GKV hat sich nach Informationen des "Handelsblatts" zwischenzeitlich so verschärft, dass der Bund den Gesundheitsfonds mit einer vorgezogenen Finanzspritze stützen muss. Das Bundesgesundheitsministerium teilte der Zeitung mit: "Wir haben uns mit dem Finanzministerium geeinigt, 800 Millionen Euro Bundeszuschuss bereits Mitte Mai zum Auffüllen der Liquiditätsreserve zur Verfügung zu stellen."

Die gesetzliche Kranken- und die soziale Pflegeversicherung gelten als chronisch unterfinanziert. Die Kosten steigen ständig, die Einnahmen sind zu gering. Eine Finanzreform soll für Besserung sorgen.
Die Liquiditätsreserve ist dem Bericht zufolge unter den gesetzlich festgelegten Wert gefallen, der bei 20 Prozent der Monatsausgaben des Gesundheitsfonds liegt. Im Gesundheitsfonds fließen Beitragsmittel und Steuerzuschüsse zusammen, die an die Krankenkassen verteilt werden.
"Die Lage der GKV ist dramatischer als ohnehin angenommen", sagte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) der Zeitung. Sie übernehme ein System in "tiefroten Zahlen". Die zu geringe Rücklage sei ein "erster Warnschuss". Es müsse nun schnell gehandelt werden.
Nach Ansicht der Betriebskrankenkassen (BKK) ist das Gesundheitssystem "überreguliert und detailversessen". Der Vorstandschef des BKK-Dachverbandes, Franz Knieps, sagte, GKV und SPV stünden unter Druck wie nie zuvor. Es brauche Mut und Sachverstand für Reformen.
Große Herausforderungen in Gesundheit und Pflege
In der ersten Gesundheitsdebatte der neuen Legislatur gingen Fachpolitiker am Donnerstag auf die zentralen Probleme im Gesundheitswesen ein und signalisierten ihren Willen, substanzielle Veränderungen auf den Weg zu bringen. Ein Thema waren die ungelösten Finanzierungsfragen. Warken sagte, die Koalition wolle das Vertrauen der Menschen in die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems stärken. Sie räumte ein, dass die Herausforderungen in Gesundheit und Pflege gewaltig sind.
„Wir brauchen keine wohlklingenden Phrasen, sondern eine Revolution.“
Die von ihrem Amtsvorgänger Karl Lauterbach (SPD) in Gang gesetzte Krankenhausreform soll ebenso weiterentwickelt werden wie die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Auch die Reform der Notfallversorgung soll rasch angegangen werden. Ein weiteres Ziel sei die bessere Patientensteuerung in der ambulanten Versorgung. Eine Kommission solle überdies Vorschläge unterbreiten, um die Beiträge der GKV langfristig zu stabilisieren.
Das gelte auch für die Pflegeversicherung. "Die angespannte Finanzsituation erfordert ein mehrgleisiges Herangehen." Kurzfristig wolle sie Vorschläge vorlegen, um der Pflegeversicherung über den Jahreswechsel hinaus Spielraum zu verschaffen. Mittel- und langfristig würden andere Lösungen gebraucht.
AfD fordert schnellere Entscheidungen über Finanzfragen
Der AfD-Gesundheitspolitiker Martin Sichert kritisierte, dass Vorschläge der Expertenkommission zur langfristigen Finanzierung der GKV erst 2027 kommen sollen. "Union und SPD bilden eine Stillstands-Koalition." Er stellte auch infrage, ob Warken überhaupt die notwendige Kompetenz für das Ministeramt mitbringe. Sie habe vorher nie etwas mit Gesundheitspolitik zu tun gehabt.
Dagmar Schmidt (SPD) betonte, es sei eine fundamentale Frage der Gerechtigkeit, allen Menschen einen gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Viele Versicherte seien auch bereit, höhere Beiträge zu zahlen, wenn die Leistungen gut und gerecht ausfielen.
Janosch Dahmen (Grüne) warnte, viele Menschen schauten mit großer Sorge auf die aktuelle Lage. Die GKV sei selbst zum Notfallpatienten geworden, sagte er und fügte hinzu: "Es ist mit Finanzspritzen allein nicht getan, um diesem chronisch kranken Patienten zu helfen." Nötig seien umfassende Strukturreformen. Allein mit der Notfallreform ließen sich pro Jahr drei Milliarden Euro einsparen. Wichtig sei auch eine effizientere Patientensteuerung mit hausarztzentrierter Versorgung. Er forderte Warken auf: "Warten Sie nicht auf Kommissionen, handeln Sie jetzt mutig."
Schwierige Arbeitsbedingungen in Praxen und Kliniken
Die Kinderkrankenschwester Julia-Christina Stange (Linke) berichtete von schwierigen Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen und "endlosen Überstunden". Sie forderte zügige Innovationen, denn die Zeit dränge. "Wir brauchen keine wohlklingenden Phrasen, sondern eine Revolution." Das Gesundheitssystem orientiere sich zu sehr am Markt, Gesundheit sei "keine Ware, und die Beschäftigten sind kein Kostenfaktor".
Simone Borchardt (CDU) betonte, das Gesundheitssystem sei eine Säule der Demokratie und spiele in viele gesellschaftliche Bereiche hinein. Was jetzt gebraucht werde, sei ein systematischer Blick auf die Versorgung und Finanzierung im Gesundheitswesen.
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Die neue Koalition will die Kranken- und Pflegeversicherung langfristig stabilisieren. Dazu sind Expertenkommissionen geplant, die Vorschläge ausarbeiten sollen.

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