Corona-Enquete-Kommission : Heftiger Streit um Masken und Lockdowns
Die Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie hat sich mit Frühwarnsystemen und Krisenplänen befasst. Teilweise ging es in der Sitzung hitzig zu.
Es waren drei Stunden, in denen zunehmend hitziger diskutiert wurde. Die zehnte Sitzung der Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie geriet am Montag immer mehr zum Schlagabtausch zwischen geladenen Experten und Mitgliedern der AfD-Fraktion sowie den von ihnen benannten Sachverständigen. Bei der Sitzung standen laut Tagesordnung Vorsorge, Krisenpläne und Frühwarnsysteme im Fokus, am Ende gipfelte die teils emotionale Diskussion in persönliche Schuldzuweisungen und heftigen Streit.
Digitalisierung als Schlüssel für die Krisensteuerung
Zunächst konnten verschiedene Experten allerdings sachorientiert ihre Sicht der Dinge darstellen. Nach Ansicht von Johannes Nießen, kommissarischer Leiter des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG), hat das deutsche Gesundheitswesen die Patientenversorgung während der Pandemie "größtenteils bewältigt". Es seien aber "Defizite in der Vorsorge und der Krisensteuerung offengelegt" worden. So seien zu wenige Versorgungsdaten verfügbar gewesen, was die wissenschaftliche Analyse erschwert habe. Ein schnelles Informationsnetzwerk müsse gewährleistet werden, mahnte er. Das sei untrennbar mit der Digitalisierung verbunden.
Der Virologe Christian Drosten (Bildmitte) wurde in der Sitzung der Corona-Enquete-Kommission teilweise heftig angegangen. Die Vorsitzende Hoppermann schaltete sich ein und mahnte mehr Höflichkeit an.
In der Coronazeit hat sich nach Auffassung von Peter Tinnemann, Leiter des Gesundheitsamtes in Frankfurt am Main, gezeigt, "dass eine Pandemie keine reine medizinische Krise ist". Er verwies als Beispiel auf die Abhängigkeiten von Lieferketten und befand: "Die Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes müssen auf allen Ebenen von reaktiven Behörden zu proaktiven, strategischen Koordinatoren weiterentwickelt werden." Szenarien seien zu planen und bessere Datensysteme anzuschaffen. Die bisherige fragmentierte Datenerfassung müsse überwunden werden. Tinnemann warb für den Aufbau von Kompetenzzentren für Krisenmanagement, wo Expertise gebündelt werden könne.
Verweise auf Besonderheiten des deutschen Föderalismus
Mehrfach gingen die Sachverständigen auf die föderale Struktur der Bundesrepublik ein. "Der öffentliche Gesundheitsdienst als Einheit existiert in Deutschland nicht", berichtete Kristina Böhm, Leiterin des Amtes für Gesundheit und Prävention in Dresden. "Nicht jedes Bundesland hat ein Landesgesundheitsamt." Und Pläne auf Papier würden niemandem nutzen, "wenn man nicht weiß, wo die Papiere liegen".
„Das Ausbleiben einer Katastrophe wurde als Beleg einer Wirksamkeit von Maßnahmen gedeutet.“
Der Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Peter Schäfer, gab zu bedenken, dass es keine Blaupause gegeben habe. "Die bestehenden Pandemiepläne bezogen sich vor allem auf Influenza." Zusätzlich hätten Datenschutzvorgaben die Kontaktpersonen-Nachforschung erschwert. Schäfer kritisierte starre Regelungen, die es den Kommunen nicht erlaubt hätten, auf Hotspots zu reagieren.
Kritik an nächtlichen Ausgangssperren in der Pandemie
Kritik kam auch von Gerd Antes, Mathematiker und Medizinstatistiker. Es reiche nicht, allein auf verhinderte Infektionen und Todesfälle zu schauen, man müsse gleichzeitig medizinische, soziale, psychische und wirtschaftliche Schäden in den Blick nehmen. Die nächtlichen Ausgangssperren während der Lockdowns bezeichnete Antes beispielhaft als Fehler. "Das Ausbleiben einer Katastrophe wurde als Beleg einer Wirksamkeit von Maßnahmen gedeutet." Diese Schlussfolgerung sei aber nicht zulässig, "weil der notwendige Vergleich durch eine Behauptung ersetzt wurde".
Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité, war der wohl prominenteste Teilnehmer der Sitzung und wurde von anderen Sachverständigen teils scharf angegangen. Drosten verteidigte die damalige Entscheidung, Maßnahmen nicht vor allem nur auf ältere Menschen zu konzentrieren.
Ohne eine allgemeine Infektionskontrolle hätten sich auch andere vulnerable Gruppen nicht angemessen schützen können. "Die Gefahr der Pandemie ging von der dynamischen Übertragbarkeit des Virus aus", so der Virologe. "In jedem Szenario einer unkontrollierten ersten Welle hätten sich aufgrund der enormen Übertragbarkeit in kurzer Zeit unvorstellbar hohe Verstorbenen- und Patientenzahlen ergeben." Die Effizienz der Pandemiekontrolle in Deutschland sei international anerkannt und hervorgehoben worden.
Virologe Drosten muss sich gegen Attacken wehren
Dann kam es zum Streit. Enquete-Mitglied und Molekulargenetiker Michael Nehls stellte Drosten nach längeren Einleitungen Fragen, die jener mit Ja oder Nein beantworten sollte, unterbrach ihn dann schroff. "Das sind meine fünf Minuten", sagte Nehls, als Kritik aufkam. Die Vorsitzende Franziska Hoppermann (CDU) sah sich gezwungen, einzugreifen "Die Höflichkeit im gemeinsamen Umgang bedeutet auch, dass Gäste, die hier freiwillig kommen, die Gelegenheit bekommen, dazu Stellung zu beziehen ", sagte sei. Es handle sich um ein Fachgespräch und nicht um die Einvernahme eines Zeugen in einem Untersuchungsausschuss.
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