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Mögliche Regulierung legaler Drogen : Volksdroge Alkohol: Unterschätzt und mit vielfältigen Risiken

Im Gegensatz zu Cannabis ist Alkohol schon lang eine akzeptierte, legale Droge in Deutschland. Doch die Folgen des Alkoholmissbrauchs sind teils drastisch.

28.02.2024
2024-02-28T10:17:52.3600Z
7 Min
Foto: picture-alliance / dpa | Matthias Schrader

Manche Beobachter bezeichnen das Münchner Oktoberfest als die größte offene Drogenszene Deutschlands. Nicht wenige Alkoholopfer landen auf dem "Kotzhügel".

Die Befürworter der Legalisierung von Cannabis werden sich den Termin vermutlich im Kalender anstreichen. Ab dem 1. April 2024 soll der Besitz von Cannabis zum privaten Konsum in bestimmten Grenzen legal werden.

Dafür haben nicht nur Gesundheitspolitiker, manche Rechtsexperten und Kriminalisten aus rationalen Erwägungen heraus jahrelang gekämpft, sondern vor allem die vielen Konsumenten, die da draußen schon seit Jahren illegal gekifft haben und sich den Rausch nicht verbieten lassen wollten. Nicht wenige riskierten dabei ein Strafverfahren, das unter Umständen erhebliche Auswirkungen auf ihr Leben hatte.

Cannabis-Nutzer verweisen auf den schädlichen Alkohol  

Mit der Freigabe von Cannabis geht eine Entkriminalisierung einher, die von Betroffenen vehement eingefordert wurde. In vielen Diskussionsbeiträgen und vor allem in sozialen Netzwerken führten die Befürworter der Legalisierung von Cannabis immer wieder zum Vergleich den Alkohol an, der als legale Droge ohne Limit verkauft wird. Im direkten Vergleich, so lautete die Argumentation, schneide Cannabis viel günstiger ab als Alkohol. Jeder wisse das, trotzdem werde nur Cannabis verteufelt.

Tatsächlich hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP ​​​​​​​ nicht nur die Legalisierung von Cannabis vorgenommen, sondern auch die Regulierung legaler Drogen.

Koalition will Alkohol, Nikotin und Cannabis besser regulieren

Dort ist im Abschnitt Drogenpolitik zu lesen: "Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis." Soweit der Plan. Verschärft wurde bisher nichts. Dabei gibt es gute Gründe, sich mit Alkohol kritisch auseinanderzusetzen.

Alkohol ist in Deutschland eine legale Volksdroge mit tiefer gesellschaftlicher Relevanz. Feiern ohne Alkohol sind unter Erwachsenen eher unüblich.

Kinder erleben Exzesse der Erwachsenen

Wer keinen offiziellen Anlass findet, trinkt trotzdem. Das "Feierabendbier" wird selten hinterfragt, Fußball etwa ohne Alkohol ist für Fans wie ein Stadionbesuch am Montagmorgen, der Absacker nach dem Essen gehört für viele Menschen zum tradierten Rahmenprogramm.

Die Kehrseite der alkoholbedingten Enthemmung ist erschreckend. Viele Kinder müssen erleben, wie Erwachsene lallen und torkeln, wütend werden oder depressiv, manchmal müssen sie traumatisierende Alkoholexzesse von Eltern oder Bekannten über sich ergehen lassen.

Toleriertes Trinken auf Deutschlands Straßen

Die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Alkohol in Supermärkten, Kiosken oder Restaurants, das tolerierte Trinken sogar auf der Straße und in Sportvereinen sowie die omnipräsente Werbung verdichten sich zum Eindruck einer durchalkoholisierten Gesellschaft.

In Deutschland dürfen Jugendliche laut Jugendschutzgesetz ab 16 Jahren offiziell Bier, Wein und Sekt trinken, in einer Lebensphase, in der das Gehirn der Heranwachsenden nach Angaben von Medizinern noch nicht ausgereift und daher sehr verwundbar ist gegenüber Giften wie Alkohol oder auch Cannabis.

Umstrittene Regelung im Jugendschutzgesetz

Das Jugendschutzgesetz geht aber noch einen Schritt weiter und erlaubt in Paragraf 9 Absatz 2 den Konsum von Bier, Wein und Sekt, "wenn Jugendliche von einer personensorgeberechtigen Person begleitet werden". Laut JuSchG Paragraf 1 sind Kinder ab 14 Jahren Jugendliche, ergo dürfen schon 14-Jährige zusammen mit ihren Eltern offiziell Alkohol trinken.


Burkhard Blienert im Porträt
Foto: BdBSD/Dominik Butzmann/photothek.de
„Für mich sprechen viele medizinische Argumente dafür, das Erwerbsalter für Bier, Wein und Sekt auf 18 Jahre zu erhöhen.“
Burkhard Blienert (SPD), Drogenbeauftragter der Bundesregierung

Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), sagte dazu 2022 in der "Welt": "Für mich sprechen viele medizinische Argumente dafür, das Erwerbsalter für Bier, Wein und Sekt auf 18 Jahre zu erhöhen." Er fügte hinzu: "Was jedenfalls so gar nicht geht, ist das sogenannte begleitete Trinken. Wir müssen von einem freien Wildwuchs sukzessive zu einem regulierten, kontrollierten Umgang mit Tabak und Alkohol kommen."

Experten sprechen von einer hohen Dunkelziffer

Wie sinnvoll eine stärkere Regulierung von Alkohol sein könnte, zeigt ein Blick auf die verfügbaren Zahlen. Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) litten 2018 rund drei Millionen Erwachsene in Deutschland zwischen 18 und 64 Jahren an einer alkoholbezogenen Störung, bei 1,4 Millionen Betroffenen wurde Alkoholmissbrauch festgestellt, bei 1,6 Millionen Menschen sogar eine Alkoholabhängigkeit (Sucht).

Laut DHS konsumieren 7,9 Millionen Menschen in der Altersspanne von 18 bis 64 Jahren Alkohol in einer gesundheitlich riskanten Form, bei 9 Millionen Menschen liegt ein problematischer Konsum vor.

Experten sprechen im Zusammenhang mit Alkoholproblemen von einer hohen Dunkelziffer. Da auch hochprozentiger Alkohol eine gesellschaftlich akzeptierte, legale Droge ist und bei privaten und öffentlichen Feiern oft in großen Mengen getrunken wird, ist Alkoholmissbrauch naheliegend und sogar schon unter Kindern und Jugendlichen verbreitet.

Deutschland gilt im internationalen Vergleich als Hochkonsumland

Niedliche Weingläser für Kinder, alkoholische Mixgetränke in farbenfrohen Flaschen und Dosen (Alcopops) oder Eltern, die es lustig finden, wenn Kinder torkeln und lallen, sind oft der Anfang einer womöglich vermeidbaren Trinkerkarriere.

Deutschland gilt im internationalen Vergleich seit Jahren als Hochkonsumland, zumal der Alkohol billig ist. Zwar ist der durchschnittliche Verbrauch seit 1970 tendenziell rückläufig, liegt jedoch mit rechnerisch 10 Litern reinem Alkohol pro Kopf im Jahr 2020 immer noch sehr hoch. 2016 starben laut DHS in Deutschland 19.000 Frauen und 43.000 Männer an einer nur auf Alkohol zurückzuführenden Todesursache.

Mediziner warnen vor alkoholassoziierten Erkrankungen

Alkohol schädigt als Zellgift Organe, Muskeln, Schleimhäute und Nervenzellen. Mediziner warnen vor zahlreichen alkoholassoziierten Erkrankungen. Alkoholkonsum wird mit mehr als 200 Krankheiten in Verbindung gebracht, darunter diverse Krebsarten wie Mundhöhlen- und Rachenkrebs, Kehlkopf- und Speiseröhrenkrebs, Leber- und Darmkrebs sowie Brustkrebs bei Frauen.

Auch ein geringfügiger Alkoholkonsum von Frauen während der Schwangerschaft kann beim Kind körperliche und geistige Schäden verursachen sowie das sogenannte Fetale Alkoholsyndrom (FAS), eine gravierende und nicht therapierbare antisoziale Verhaltensstörung. Da viele Alkoholiker regelmäßig rauchen (auch Cannabis), steigt das Risiko einer schweren Erkrankung in dieser Konstellation um ein Vielfaches.

Riskanter Konsum auch im höheren Alter 

Der riskante Alkoholkonsum ist nach einer Stichprobe (Epidemiologischer Suchtsurvey 2021) für Frauen und Männer in der Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen mit 17,8 Prozent insgesamt am höchsten, wie aus der Antwort der Bundesregierung  auf eine Kleine Anfrage hervorgeht.

Männer kommen in der Altersgruppe auf einen Anteil von 20 Prozent mit riskantem Konsum, Frauen auf 15,6 Prozent. Bei Frauen ist der riskante Alkoholkonsum in der Altersgruppe der 21- bis 24-Jährigen mit einem Anteil von 19 Prozent am höchsten. Viel getrunken wird auch unter Senioren. Die AOK zitiert eine Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI), wonach etwa 18,5 Prozent der Frauen und 27 Prozent der Männer ab 65 Jahren Alkohol in riskantem Maß konsumieren.

Depressionen, Ängste, Gedächtnisausfälle und Aggressivität

Auf die meisten Menschen wirkt Alkohol entspannend und enthemmend, was zu einer raschen psychischen Abhängigkeit beiträgt. Zu den negativen psychischen Folgen des Alkoholkonsums gehören neben Depressionen, Ängsten, Konzentrationsstörungen und partiellen Gedächtnisausfällen auch Persönlichkeitsveränderungen und Aggressivität.

Alkoholbedingte Kontrollverluste bergen die Gefahr von Verkehrsunfällen sowie Straf- und Gewalttaten. Wegen der teilweise gravierenden Folgen des Alkoholismus für Familien und Paarbeziehungen gehen Experten von mehreren Millionen "Mitbetroffenen" aus. Soziale Verwerfungen, die in körperliche Gewalt und sexuellen Missbrauch ausarten, sind in Kombination mit Alkohol gängig.


Gesundheitsökonomen verweisen auf wirtschaftliche Folgeschäden in Milliardenhöhe.


Die körperlichen, psychischen und sozialen Nebenwirkungen münden beim Alkohol in eine negative wirtschaftliche Komponente beträchtlichen Ausmaßes.

Der Gesundheitsökonom Tobias Effertz beziffert in einer Studie von 2020 die direkten und indirekten Kosten des Alkoholkonsums auf rund 57 Milliarden Euro jährlich, darunter rund 16,6 Milliarden Euro Kosten für das Gesundheitssystem und rund 40,4 Milliarden Euro durch den Produktionsausfall bei Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, Frühverrentung oder vorzeitigem Tod der Patienten. Den Kosten stehen laut DHS Steuereinnahmen aus dem Verkauf alkoholischer Getränke in Höhe von 3,2 Milliarden Euro (2022) gegenüber.

Aufklärungskampagne gegen das Komasaufen unter Jugendlichen 

Manche Alkoholiker-Laufbahn fängt früh an. Deswegen haben Gesundheitspolitiker, Mediziner und Psychologen vor allem die Kinder im Blick, wenn es um Prävention geht. Als vor Jahren Berichte über zunehmende Alkoholexzesse, das sogenannte Komasaufen und viele Fälle von Alkoholvergiftung unter Jugendlichen die Runde machten, reagierte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 2009 mit der Kampagne "Alkohol? Kenn dein Limit". Die Aufklärungskampagne läuft seit nunmehr 15 Jahren und bietet auf der Homepage viele wichtige Informationen zum Thema.

Gleichwohl trinken viele Kinder und Jugendliche, wie der Alkoholsurvey 2021 ergeben hat. Die BZgA legt Wert auf die Feststellung, dass in der langfristigen Betrachtung heute weniger junge Leute Alkohol trinken als früher, allerdings zeigt die Umfrage von 2021, dass der Konsum von Alkohol unter Jugendlichen immer noch sehr verbreitet ist.

Demnach haben 57,5 Prozent der befragten 12- bis 17-Jährigen schon einmal Alkohol getrunken, 8,7 Prozent sogar wöchentlich. In 3,6 Prozent der Fälle liegt der Alkoholkonsum über dem Schwellenwert für gesundheitlich riskantes Verhalten Erwachsener.

Selbstregulierung der Spirituosenindustrie

In der Altersgruppe darüber (18 bis 25 Jahre) haben bereits 95,4 Prozent der jungen Leute schon einmal Alkohol getrunken, also fast alle. Knapp ein Drittel (32,0 Prozent) geben an, regelmäßig Alkohol zu trinken, 16,7 Prozent tun dies in gesundheitlich riskantem Maß. Ebenfalls rund ein Drittel (32,7 Prozent) räumt in der Umfrage ein, im zurückliegenden Monat mindestens einmal betrunken gewesen zu sein.

Die deutsche Spirituosenindustrie hat sich zu einer Selbstregulierung verpflichtet, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Grundlage sind die „Verhaltensregeln des Deutschen Werberats über die kommerzielle Kommunikation für alkoholhaltige Getränke“ von 2009. So sollen zum Beispiel keine trinkenden Kinder, Jugendlichen oder Leistungssportler gezeigt werden.

Wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen für Eltern

Kinder und Jugendliche sollen auch nicht zum Trinken aufgefordert werden. In der Werbung soll nicht nahegelegt werden, dass sich mit Alkohol psychosoziale Konflikte lösen ließen. Der Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie und –Importeure (BSI) wendet sich außerdem entschieden gegen sogenannte Flatrate-Partys, auf denen Alkohol ohne Limit zu einem Pauschalpreis angeboten wird.

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Viele Eltern sind verunsichert, wie sie sich verhalten sollen, wenn ihre Kinder in das Alter kommen, in dem ihnen Alkohol offiziell erlaubt ist. Ist das gemeinsame „betreute Trinken“ der richtige Weg oder die Abstinenz?

Das Bundesgesundheitsministerium hat dazu 2011 wissenschaftlich fundierte Aussagen sowie Empfehlungen veröffentlicht, die von Experten unterstützt werden. Eine der Handlungsempfehlungen lautet bezeichnenderweise: "Überprüfen Sie ihren eigenen Alkoholkonsum daraufhin, ob sie ein gutes Vorbild abgeben."