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Reaktion auf "Remigrations"-Pläne : Ampel will Bürger vor Rechtsextremisten schützen

Pläne von Rechtsextremisten zur massenhaften Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund lösen Entsetzen und Empörung aus.

19.01.2024
2024-03-20T10:23:35.3600Z
5 Min
Foto: picture alliance / EPA

Das Geheimtreffen der Rechtsextremisten in Potsdam mit Planspielen für eine Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund hat bundesweit Großdemonstrationen ausgelöst, darunter auch in Berlin.

Mit Entsetzen und Empörung haben Abgeordnete der Ampel-Fraktionen und der Opposition auf Berichte reagiert, wonach Rechtsextremisten und AfD-Politiker bei einem Treffen über die massenhafte Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland beraten haben. In einer von SPD, Grünen und FDP beantragten Aktuellen Stunde mit dem Thema "Wehrhafte Demokratie in einem vielfältigen Land - Klare Kante gegen Demokratiefeinde und Vertreibungspläne" wandten sich Abgeordnete am Donnerstag entschieden gegen Rechtsextremismus und sicherten Menschen mit Migrationshintergrund den umfassenden Schutz staatlicher Institutionen zu. Die AfD-Fraktion wies die Vorwürfe als völlig unbegründet zurück.

Der Begriff Remigration zum "Unwort des Jahres" erklärt

Anlass für die Aussprache war eine Zusammenkunft von Rechtsextremisten im November 2023 in einer Potsdamer Villa, an der nach Recherchen des Netzwerks "Correctiv" auch Politiker und Funktionäre der AfD sowie Mitglieder der sogenannten Werteunion teilgenommen haben. Dem Bericht zufolge soll der rechtsextreme österreichische Aktivist Martin Sellner dort einen "Masterplan zur Remigration" umrissen haben. Der Bericht löste bundesweite Großdemonstrationen aus, auf denen sich die Teilnehmer für Demokratie und gegen Rechtsextremismus und die AfD positionierten.

Der Begriff Remigration wurde inzwischen zum "Unwort des Jahres" 2023 erklärt. Das Wort werde als "beschönigende Tarnvokabel" von rechtsextremen Gruppierungen verwendet, um damit die Zwangsausweisung von Menschen mit Migrationsgeschichte zu fordern, hieß es.

Skepsis gegenüber AfD-Verbotsverfahren

Das konspirative Treffen in Potsdam bringt auch neuen Schwung in die Debatte über ein AfD-Verbotsverfahren. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wollte ein solches Verfahren nicht ausschließen, dies sei aber das "letzte Mittel der Verfassung", sagte sie dem SWR. Auch andere Spitzenpolitiker äußerten sich eher skeptisch.

Die AfD in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wird von Verfassungsschutzbehörden als "gesichert rechtsextrem" eingestuft. Im Bund gilt die Partei als Verdachtsfall. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg werden im September neue Landtage gewählt. Die AfD liegt dort in Umfragen klar vorne.

Scharfe Kritik an der AfD

In der hitzig geführten Bundestagsdebatte gingen Redner der Regierungsfraktionen die AfD scharf an. Lars Klingbeil (SPD) berichtete von irritierten und verängstigten Menschen, die nicht mehr wüssten, was hier geschehe. Die AfD wolle Millionen Bürger aus der Mitte der Gesellschaft vertreiben, weil sie nicht ihrem völkischen Weltbild entsprächen. "Allen diesen Menschen sagen wir: Wir passen auf Euch auf, Ihr seid ein Teil dieses Landes, und wir stehen an Eurer Seite."

Klingbeil hielt der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel vor, die bekannt gewordenen "Deportationspläne" herunterspielen zu wollen und fügte hinzu: "Sie sind ein Wolf im Schafspelz, aber ihre Fassade beginnt zu bröckeln." Er hob die wehrhafte Demokratie hervor: "Das Grundgesetz und die Menschen, die es tragen, sind stärker als die Feinde der Demokratie." Er würdigte die Demonstranten, die ein Zeichen setzten gegen Hass und Ausgrenzung und betonte: "Das ist die Mehrheit der Menschen in diesem Land."

Britta Haßelmann (Grüne) erinnerte an das Grauen der Nazizeit und die Terrorherrschaft mit Konzentrations- und Vernichtungslagern. Aus diesen schrecklichen Erfahrungen heraus sei das Grundgesetz entstanden. "Die Würde des Menschen ist unantastbar, das ist der Kern der demokratischen Werteordnung." Die "Gewaltfantasien" der AfD seien schon lange bekannt. Nun würden auch "die barbarischen Pläne einer massenhaften Deportation" für alle klar und offensichtlich. "Dazu kann kein Demokrat mehr schweigen." Abgeordnete der AfD säßen im Parlament und seien demokratisch gewählt, sie seien aber keine Demokraten. Die AfD-Politiker bezeichneten sich selbst als Patrioten, jedoch verachteten sie das demokratische, vielfältige Gesicht des Landes.

FDP sieht eine neue Bedrohungsqualität

Auch Konstantin Kuhle (FDP) sieht in den jüngsten Enthüllungen eine neue Qualität. Mit den Vertreibungsplänen würden neurechte Kampfbegriffe aufgegriffen, mit denen Rassismus und völkischer Nationalismus in der Breite der Gesellschaft hoffähig gemacht werden sollen. Mit Blick auf die künftig erleichterten Abschiebungen fügte Kuhle hinzu, damit solle ein Beitrag geleistet werden, um die überlasteten Kommunen zu entlasten. "Es ist unsere Verantwortung, dieses Problem der irregulären Migration endlich in den Griff zu kriegen."

Die Union schloss sich der Kritik an der AfD und den Warnungen vor Rechtsextremismus grundsätzlich an. Thorsten Frei (CDU) sagte, es gehe in der Debatte um die Wehrhaftigkeit der Demokratie. Frei sprach mit Blick auf das Treffen in Potsdam von "schlimmen Umtrieben". Es sei richtig, jene zu brandmarken, die krude Umsturz- und Ausweisungsphantasien hätten. Die Gefahr sei nicht zu unterschätzen, jedoch seien die staatlichen Institutionen stark genug, um Angriffe abzuwehren.


„Es besteht die Gefahr, dass wir bei den Wahlen im Osten des Landes in diesem Jahr an die Grenzen der Funktionsfähigkeit unseres Parlamentarismus kommen.“
Thorsten Frei (CDU)

Frei forderte aber auch, sich mit den Ursachen zu befassen. Es bestehe die reale Gefahr, dass bei den Wahlen in Ostdeutschland im Herbst "die Grenzen der Funktionsfähigkeit unseres Parlamentarismus" erreicht würden. Es helfe aber nicht, Wähler zu beschimpfen, zumal derzeit 80 Prozent der Bürger glaubten, dass die Bundesregierung keine gute Politik mache. Der Ansehensverlust der Politik führe am Ende zum Ansehensverlust der Institutionen.

AfD weist Anschuldigungen zurück

Bernd Baumann (AfD) wies die Anschuldigungen gegen seine Partei als haltlos zurück. Auch er machte die Bundesregierung für den verbreiteten Unmut der Bürger verantwortlich. Nie zuvor habe eine Regierung das Land so vor die Wand gefahren. "Die Industrie flieht aus dem Land hinaus, und Millionen kulturfremde Asylanten strömen ungehindert hinein." Mit Blick auf die guten Umfragewerte der AfD sagte Baumann: "So geht Demokratie. Die Wähler strafen Sie ab mit einer Urgewalt, die in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig ist." 


„Da werden selbst kleine private Debattierclubs zu gemeingefährlichen Geheimtreffen aufgeblasen.“
Bernd Baumann (AfD)

Was die angeblichen Vertreibungspläne betreffe, gehe es aus Sicht der AfD lediglich um 300.000 endgültig abgelehnte Asylbewerber und Ausländer, die vorübergehend als Bürgerkriegsflüchtlinge Schutz genössen. In Syrien sei der Krieg vorbei, also müssten 600.000 Syrer zurück. "Das ist die Remigration, die wir fordern." Das umstrittene Treffen in Potsdam wertete er als "kleinen, privaten Debattierclub", der zu einem "gemeingefährlichen Geheimtreffen aufgeblasen" werde.

Ministerin Faeser will gegen den Rechtsextremismus vorgehen

Ministerin Faeser versicherte, dass der Rechtsextremismus in allen seinen Ausprägungen und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werde. Sie betonte: "Die größte Bedrohung für unsere demokratische Grundordnung ist der Rechtsextremismus." Rechtsextremisten wollten die demokratische Grundordnung überwinden, dagegen müssten alle Demokraten aufstehen und kämpfen. Es sei daher auch richtig, Rechtsextremisten unter Beobachtung zu stellen. Wer von Remigration fantasiere, knüpfe an die menschenverachtenden Rassengesetze der Nazis an. Die Ministerin versicherte: "Diese Demokratie weiß sich zu wehren."