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Verfassungsrichter-Wahlen im Bundestag : Die Linke wird zum Zünglein an der Waage

In diesem Jahr stehen drei Verfassungsrichterwahlen im Bundestag an. Für die Zwei-Drittel-Mehrheit werden künftig wohl auch die Stimme der Linken benötigt.

15.05.2025
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6 Min

Die Hälfte der 16 Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts wird vom Bundestag gewählt - und in diesem Jahr stehen gleich drei Richterwahlen im Parlament an. Das dürfte politisch interessant werden, denn CDU/CSU, SPD und Grüne kommen im Bundestag nicht auf die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Die Fraktionen brauchen Unterstützung, voraussichtlich von der Linken.

Foto: picture alliance/dpa/Uli Deck

Die Richter Ulrich Maidowski (links) und Doris König (Mitte) hören in diesem Jahr auf. Ihre Nachfolger werden vom Bundestag gewählt.

In den letzten zwei Wahlperioden reichten für die Mehrheit die Stimmen von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP. Informell wurden daher die Vorschlagsrechte nach der Formel 3:3:1:1 verteilt. Das heißt: CDU/CSU und SPD durften für jeden der beiden achtköpfigen Senate je drei Verfassungsrichter vorschlagen, Grüne und FDP je einen Richter. Die vorgeschlagenen Kandidaten werden von den anderen Parteien jeweils mitgewählt, wenn keine unüberwindbaren Bedenken bestehen.

Der Wahlmodus mit Zwei-Drittel-Mehrheit sichert eine pluralistische Besetzung des Bundesverfassungsgerichts. Auch die Opposition ist in die Richterwahl eingebunden. Wenn sich die Karlsruher Richter einig sind, dann ist das wirklich eine überparteiliche Entscheidung. Dass die Richter nach der Wahl völlig unabhängig agieren, versteht sich von selbst. Es ist ohnehin keine Wiederwahl möglich.

Drei Wahlen stehen in den nächsten Monaten an

Seit der Bundestagswahl funktioniert der bisherige Proporz allerdings nicht mehr. Die FDP ist aus dem Bundestag ausgeschieden. CDU/CSU, SPD und Grünen fehlen sieben Stimmen. Die müssen von der Linken kommen, wenn die Wahl gelingen soll. An eine Einbindung der AfD denkt derzeit niemand.

Zufälligerweise müssen die nächsten drei Verfassungsrichterwahlen alle im Bundestag erfolgen: Die Amtszeit von Verfassungsrichter Josef Christ endete bereits am 30. November. Er ist nur noch geschäftsführend im Amt. Das Vorschlagsrecht hat die CDU/CSU-Fraktion.


Clara Bünger im Portrait
Foto: Clara Bünger/Ben Gross
„Perspektivisch sollte auch die Linke ein Vorschlagsrecht für neue Verfassungsrichter und -richterinnen bekommen.“
Clara Bünger (Die Linke)

Vizepräsidentin Doris König muss ab dem 30. Juni ersetzt werden. Das Vorschlagsrecht hat die SPD. Diese Wahl ist besonders wichtig, denn Königs Nachfolger wird vermutlich 2030 Präsident des Bundesverfassungsgerichts, wenn der jetzige Amtsinhaber Stephan Harbarth aufhören muss. Der Richter Ulrich Maidowski will aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig am 30. September ausscheiden. Das Vorschlagsrecht hat auch hier die SPD.

Skeptische Haltung zu Unions-Personalie

In allen drei Fällen wird also erwartet und gehofft, dass die Linke den Vorschlägen für eine Nachfolge zustimmt. Doch das dürfte einen Preis haben. "Perspektivisch sollte auch die Linke ein Vorschlagsrecht für neue Verfassungsrichter und -richterinnen bekommen", sagte Linken-Rechtspolitikerin Clara Bünger, "wir wissen, dass es auch auf unsere Stimmen ankommt." Im Vordergrund stünde allerdings eine gute Besetzung der freiwerdenden Posten am Bundesverfassungsgericht, betont die Abgeordnete.

Das klingt sachlich-höflich, könnte aber auch eine Warnung sein. Denn für die Nachfolge von Josef Christ liegt bereits ein Personalvorschlag der Union auf dem Tisch: Robert Seegmüller, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, ein ziemlich konservativer Asylskeptiker. Die Grünen meldeten voriges Jahr Gesprächsbedarf an, die CDU/CSU ging darauf vor der Bundestagswahl nicht mehr ein. Nun wartet Seegmüller schon seit Monaten auf seine Wahl. Und das wird nicht einfacher: "Beim Vorschlag Robert Seegmüller haben auch wir noch Gesprächsbedarf", sagt Clara Bünger.

Die Richterwahl auf einen Blick

🎓 16 Richterinnen und Richter gibt es am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Sie verteilen sich auf zwei Senate mit jeweils acht Sitzen.

⚖️ Für die Richterwahl sind Bundestag und Bundesrat zuständig. Die beiden Verfassungsorgane wählen jeweils die Hälfte der Richterinnen und Richter. Es ist jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich.

🔄 Ein im vergangenen Jahr eingeführter Ersatzwahlmechanismus regelt, dass im Fall einer Blockade der Richterwahl in einem Wahlorgan das jeweils andere Wahlorgan die Wahl vornehmen kann. 



Falls eine Wahl im Bundestag nicht gelingt, könnte notfalls auch der Bundesrat einspringen. Das sieht ein Ersatzwahl-Mechanismus vor, der erst im Dezember mit Blick auf eine mögliche Blockade durch die AfD in Artikel 93 Abs. 2 Grundgesetz verankert wurde. Davon wollen die etablierten Parteien aber nach Möglichkeit nicht Gebrauch machen, es sähe zu sehr nach Unregierbarkeit und Kontrollverlust aus.

Union hat Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken

Ob die CDU/CSU der Linken ein Vorschlagsrecht zugesteht, ist allerdings noch völlig offen. Nach Unions-Verständnis verbietet es ein Unvereinbarkeitsbeschluss eigentlich, Anträgen der Linken zuzustimmen oder gemeinsame Anträge mit der Linken einzubringen. Derzeit gerät allerdings manches in Bewegung, nachdem Friedrich Merz am 6. Mai nur dank eines gemeinsamen Geschäftsordnungsantrags von CDU/CSU, SPD, Grünen und Linken noch einen zweiten (und diesmal erfolgreichen) Kanzler-Wahlgang erhielt.

Ein eleganter Kompromiss könnte sein, dass die Linke zunächst kein eigenes Vorschlagsrecht für eine Verfassungsrichter-Position erhält, dass aber die SPD die Linke bei ihrem Vorschlag mitentscheiden lässt. Es wäre dann formal immer noch ein Vorschlag der SPD, aber die Linke hätte faktisch ein Vetorecht.

Gemeinsame Wahl von drei Richtern ist eine Möglichkeit

In Betracht käme hierfür vor allem die Nachfolge von Richter Maidowski. Diese Wahl ist zwar als letzte der drei Wahlen erst am Ende des Sommers fällig. Laut Gesetz kann sie aber vorgezogen werden und wäre bereits ab dem 1. Juli möglich. Im Juli könnten der Bundestag dann alle drei neuen Verfassungsrichter zusammen wählen, was die Kompromissfindung vermutlich erleichtern dürfte.

Noch aber haben die Verhandlungen nicht ernsthaft begonnen. Die Fraktionen sind erst dabei zu bestimmen, wer jeweils Unterhändler für die Verfassungsrichterwahl sein soll. Auch der 12-köpfige Wahlausschuss, der im Bundestag die Wahlen formal vorbereitet, ist noch nicht konstituiert.

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