Rente in Deutschland : Von Freiheit, Angst und Arbeitsethos
Während die einen positiv auf die Rente blicken, können sich andere den Renteneintritt nicht leisten. Drei Menschen erzählen über das Ende ihres Berufslebens.
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Der eine hat keine Lust, in Rente zu gehen, die andere würde es gerne, aber kann es sich nicht leisten und der Dritte bereut es keinen Tag, früher gegangen zu sein: Drei Menschen an Ende ihres Berufslebens berichten, wie es ihnen ergeht und mit welchen Gefühlen sie auf die eigene Rentenzeit blicken:
Uli Kopp: Arbeit gehört für mich zum Leben dazu
Ich bin jetzt 67 Jahre alt und könnte in Rente gehen, aber dagegen sträube ich mich. Arbeiten gehörte für mich zu einem glücklichen Leben eigentlich immer dazu. Ein Stück weit habe ich es mir von meinem Vater abgeguckt, der durchaus seine Zwölf-Stunden-Tage als Konstruktionsleiter im Maschinenbau hatte; meine Mutter arbeitete nicht, das wollte mein Vater nicht - die Nachbarn hätten ja denken können, er verdiene nicht genug Geld.
„Wer wie ich vorm Computer hockt, kann natürlich länger arbeiten.“
Jedenfalls habe ich schon als Schüler gejobbt, auch neben dem Zivildienst und im Studium, zum Beispiel in der Zentralannahme der Lottoscheine Baden-Württembergs, das waren Wochenend-Nachtschichten mit jeweils rund 20 Lieferwagen zum Ausladen. Nach meinem Studium der Betriebswirtschaftslehre mit einem Fokus aufs Technische hatte ich das Glück, in gut dotierten Jobs zu landen, die mir auch Spaß bereiteten und mich ausfüllten. Zuerst leitete ich das Vertriebscontrolling in einer EDV-Firma, dann arbeitete ich als Unternehmensberater und rutschte in die Werbung. Ich wurde geschäftsführender Gesellschafter einer Agentur. Vor acht Jahren hatte mein Partner dort einen Schlaganfall. Ich liquidierte die Firma, übertrug die Kunden einer anderen Agentur und arbeite jetzt noch ein paar Stunden in der Woche selbständig für sie.
Mein Arbeitsleben will ich langsam ausklingen lassen
Aber das reichte mir nicht, ich wollte auch Struktur in meinem Alltag. Also heuerte ich bei Zeitenspiegel an, einer Journalistenagentur, die sich auf Reportagen für Print- und Onlinemedien konzentriert. Dort bin ich in der Büroleitung mit einer Halbtagsstelle, also 20 Stunden in der Woche.
Finanziell gesehen könnte ich es mir leisten, nun ganz mit dem Arbeiten aufzuhören. Aber mehrere Gründe sprechen für mich dagegen. Zum einen habe ich immer sehr viel gearbeitet, nun mit einem Schlag aufzuhören - das käme mir zu abrupt vor. Mir gefällt auch ein geregeltes Leben. Ich will nicht von hundert auf Null runtergehen, sondern es lieber langsam ausklingen lassen. Zum anderen geht meine Frau erst in drei Jahren in den Ruhestand. Sie will schlicht nicht, dass sie von der Arbeit nach Hause kommt und dann keine freie Minute hat, weil sie von mir zugequatscht wird, weil ich die ganze Zeit herumgesessen haben würde. Sie will nicht, dass ich auf sie warte. Also bin ich vormittags in der Agentur und arbeite nachmittags daheim rund vier Stunden in der Woche selbständig für meine Werbekunden. Den Rest meiner Zeit fülle ich durch meine Hobbys aus: Ich singe im Chor, spiele Gitarre und gehe gern Wandern. Langeweile kommt so nicht auf.
Die gestiegene Lebenserwartung macht längere Arbeit möglich
Lieber wollen meine Frau und ich gemeinsam dieses neue Lebenskapitel "Rente" aufschlagen. Wir planen, dann viel zu reisen. Wir wollen immer wieder für zwei bis drei Monate im Ausland wohnen, uns irgendwo einmieten und dann dort in einen Alltag reinkommen. Außerdem haben wir eine Patchwork-Familie, brachten unsere eigenen Kinder in die Ehe, insgesamt fünf. Die sind weltweit, teilweise mit Enkelkindern, verteilt. Alle wollen natürlich besucht werden. Wenn ich in Rente gehe, habe ich ausgesorgt. Als Selbständiger habe ich immer freiwillig in die Rentenversicherung eingezahlt und privat vorgesorgt, und zwar über eine Lebensversicherung und den Kauf einer Wohnung, die ich vermiete. Wir werden als Paar also ein sorgloses Rentnerleben führen.
Ich sehe es eh auf alle zukommen, dass länger gearbeitet wird. Der demografische Wandel hat die klare Richtung, dass es immer weniger Einzahler ins Rentensystem für immer mehr Pensionsbezieher geben wird. Dies wird naturgemäß darauf hinauslaufen, dass die Leute nicht mehr bis 67, sondern bis 69 oder 70 arbeiten werden. Die gestiegene Lebenserwartung macht es ja auch möglich. Das gilt natürlich nicht für Leute in körperlich herausfordernden Berufen, also für den klassischen Dachdecker: Wer mit den Händen hart schuftet, muss früher aufhören können. Wer aber wie ich vorm Computer hockt, kann natürlich länger arbeiten. Außerdem hält es geistig fit.
Roberta Marchionni: Ich kann mir nicht leisten, früher aufzuhören
Obwohl ich meine Arbeit liebe, würde ich gern vor 67 in Rente gehen - was ich mir allerdings aus finanziellen Gründen nicht leisten kann. Ich arbeite als Latinistin beim weltweit größten Wörterbuch für die Lateinische Sprache. Wir sind im Grunde Wortdetektive, die die gesamte Literatur von den Anfängen des Lateins bis ins siebte nachchristliche Jahrhundert durchpflügen - um die Biographien der Wörter zu rekonstruieren, mit ihren Abenteuern und Wandlungen, die imstande sind, uns die Kultur von damals, aber auch von heute zu erklären.
Ich bin bei einer tollen Institution angestellt, nämlich der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, wo unser Wörterbuchprojekt Thesaurus linguae Latinae angesiedelt ist. Nur gibt es ein großes Problem.
„Die Angst, dass mein Vertrag nicht verlängert wird, begleitet mein Berufsleben.“
Ich habe einen Termin vor mir, und zwar in vier Jahren. Dann steht wieder die Frage an, ob mein Arbeitsvertrag verlängert wird. Noch nie hatte ich in meinem Leben einen unbefristeten Vertrag, obwohl ich immer gearbeitet habe. Immer wieder musste ich bangen, ob meine Arbeit verlängert oder abgebrochen wird; und dies hat nichts mit meiner beruflichen Leistung zu tun, sondern schlicht mit einem Gesetz.
Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz begleitet Marchionnis Berufsleben
Das 2007 vom Bundestag beschlossene Wissenschaftszeitvertragsgesetz ermöglicht wissenschaftlichen Arbeitgebern, befristete Verträge abzuschließen, und das tun sie bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern fast ausschließlich. Ursprünglich diente das Gesetz dem Ziel, Leuten an den Universitäten eine Orientierung zu geben: Sie haben eine bestimmte Zeit lang die Chance, sich durch Promotion und Habilitation zu qualifizieren. Wer diese Abschlüsse nicht schafft, soll auch keine Perspektive kriegen; das macht einen gewissen Sinn, auch wenn es selbst für die Hochschulen nicht ganz durchdacht ist.
Wirklich fatal aber ist, dass dieses Gesetz auch in den sogenannten außeruniversitären Forschungsinstitutionen angewendet wird. Die Folge: Wir beginnen unsere Arbeit zwar als bereits fertig qualifiziert und haben während unserer Arbeit auch keine Zeit, uns noch weiter zu qualifizieren - fallen aber unter die gleichen Befristungen. Gute Mitarbeiter können also entlassen werden; und dann werden neue reingebracht, die diese Arbeit erst lernen müssen und nach ein paar Jahren ebenfalls vor die Tür gesetzt werden können.
Für uns Latinisten ist der Arbeitsmarkt nicht gerade groß
Auffällig ist, dass es auf dem privaten Arbeitsmarkt so etwas nicht gibt. Bei der staatlich finanzierten Wissenschaft ist es aber mittlerweile so, dass nach dem Vertrag vor dem Vertrag ist - und man in kurzen Abständen immer wieder aufs Neue bangen muss, ob einem die mit Erfolg versehene Tätigkeit und die damit verbundene finanzielle Sicherheit bleiben. Das alles vermischt die Freude an der Arbeit mit Sorgen und Ängsten. Was, wenn der Vertrag nicht verlängert wird, wo soll man Arbeit finden, wenn es mal nicht klappt? Für uns Latinisten ist der Arbeitsmarkt nicht gerade groß. Daher kommt mein Gedanke, dieses Warten auf eine Klärung meiner Vertragssituation zu umgehen und einfach früher in Rente zu gehen. Die Abschläge aber wären zu groß, das kann ich mir nicht leisten.
Schon einmal verlängerte man meinen Vertrag nach zehn Jahren Arbeit nicht. Das war in einem anderen Projekt, und zwar an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Damals gab es Veränderungen in der Personalpolitik, und das Auslaufen meines Vertrages erlaubte schlicht, Geld zur Disposition zu haben. Zum Glück fand ich dann Arbeit in München. Da der Vertrag aber nur eine Laufzeit von zwei Jahren hatte, begann ich zu pendeln. Denn meine Familie lebt in Berlin. Damals ging mein Sohn in die erste Klasse und meine Tochter in die Kita. Weil das Leben in München teurer als in Berlin ist, scheuten wir den Umzug - es war ja nicht klar, ob sich meine Arbeit verstetigt. All dies war natürlich für die Familie eine große Belastung. Und eben dazu die Demütigung, immer aufs Neue bangen zu müssen, ob es weiter gehen wird. Inzwischen bin ich 60 geworden und hätte gern mehr Ruhe - wenn nicht bei der Arbeit, dann in einem vertragsfreien Ruhestand.
Thilo Remus: Ich bereue den früheren Rentenbeginn nicht
Offiziell bin ich mit 63 Jahren in Rente gegangen, aber die aktive Phase meiner Altersteilzeit bei der Mercedes-Benz AG endete bereits im September 2020, als ich 60 wurde. Ich bereue keinen einzigen Tag seitdem, im Gegenteil: Ich bin jetzt 65 und genieße die Freiheit und die Möglichkeit, mehr über meine Lebenszeit zu bestimmen.
Ich bin gelernter Maschinenschlosser und habe Fahrzeugtechnik studiert. 1987 ging ich zu Daimler und wollte eigentlich nur zwei Jahre bleiben. Aber die Aufgaben wurden immer interessanter, und ich habe meinen Beruf geliebt. Zuerst bin ich als Rheinländer ins Ländle gependelt, war in den ersten vier Jahren keine zehn Wochenenden hier. Mit der Geburt von zwei Töchtern habe ich mich dann doch mehr im Schwabenland integriert, lebte aber für den Job und war nicht wirklich in das Nachbarschaftsleben meines Wohnorts eingebunden.
„Meine Leidenschaft für Motorräder ist nun mein 'Beruf' - für 550 Euro im Monat.“
Ich arbeitete fast 34 Jahre in After-Sales-Aufgaben und wurde nach den ersten fünf Jahren Teamleiter: Nach neun Jahren im Technikbereich wechselte ich ins Marketing und habe international Themen zur Umsatzsteigerung und Kundenzufriedenheit erarbeitet. Das hat mir unglaublich viel Spaß gemacht, ich hatte immer ein tolles Team in Deutschland um mich herum, konnte mit viel Selbständigkeit Themen entwickeln.
Mit 56 bekam ich ein Altersteilzeitangebot und konnte mich sehr schnell mit der Idee anfreunden - denn mein Kopf ist eh voll mit Ideen, was ich alles anstellen könnte. Mein Modell lief sechs Jahre lang, ich arbeitete aber nur die ersten drei Jahre in der aktiven Phase. In der passiven Phase, den drei Jahren danach, ist man zwar noch angestellt und 95 Prozent der Rentenversicherungsbeiträge werden auch weiterhin eingezahlt, man muss aber nicht mehr arbeiten. Über den gesamten Zeitraum verdient man zirka 80 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens, das gelingt durch einen Zuschuss des Arbeitgebers und niedrigerer Einkommenssteuer. Finanziell konnte ich es mir leisten. Meine Monatsrente beträgt jetzt netto 2.300 Euro. Wenn ich bis 67 gearbeitet hätte, wären es 2.700 Euro. Hinzu kommen eine Betriebsrente von Mercedes, eine Riesterrente und zwei Mieteinkünfte.
Aus der Liebe zu Motorrädern wurde irgendwann "Thilo's Bike Service"
Ich wollte damals etwas Neues machen und vor allem nicht mehr im Büro arbeiten. Da ich begeisterter Kite-Surfer bin, dachte ich zuerst, irgendwo in fernen Ländern eine Kitestation zu leiten. Aber das ergab sich nicht, und 2020 hatte Corona eh alles mit Reisen und Veranstaltungen zunichte gemacht. Dann fragte mich eine Ex-Kollegin, ob ich nicht das alte Motorrad ihres Mannes wieder fit machen könne, es war eine legendäre Yamaha R1.
Bereits mit 15 hatte ich meine große Leidenschaft für Motorräder entdeckt und bin dann später auch 40 Jahre lang Rennen im nationalen und internationalen Wettbewerb gefahren. Schon als Student hatte ich auch immer an Autos getüftelt und mit Kumpels eine Werkstatt gemietet. Wir liebten es, Unfallautos aufzukaufen und aufzumöbeln; ein bisschen Geld verdiente man mit dem Verkauf auch. Die Arbeit an der Yamaha R1 hatte mir sehr viel Spaß gemacht, und am Ende sah sie wie neu aus. Dann kam immer mehr ins Rollen. Freunde und Nachbarn fragten mich, ob ich nicht ihre alten Bikes reparieren könne - hier in der Umgebung gibt es keinen Service mehr für Motorräder. Also ließ ich mich in die Handwerksrolle eintragen, entwickelte zusammen mit meiner Tochter eine Website und gründete "Thilo's Bike Service".
Das alte Hobby wurde zur neuen Berufung
Bei meiner Selbständigkeit bin ich mein eigener Chef und wende viel Knowhow an, das ich im Berufsleben gesammelt hatte. Natürlich ist das alles nur ein Kleingewerbe, mehr als 550 Euro kann ich ja nicht hinzugewinnen.
Aber es ist eben Passion. Zudem lerne ich dadurch viele neue Menschen mit der gleichen Leidenschaft kennen und freue mich jedes Mal über das positive Feedback zu meiner Arbeit - eigentlich wollte ich ja schon immer selbständig sein. In meinem Wohnort bin ich jetzt dadurch noch besser integriert und fühle mich sehr wohl. Man könnte sagen: Alles richtig gemacht, und jetzt auch noch das alte Hobby zur neuen Berufung gemacht!
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Ökonomin Dominika Langenmayr begrüßt steuerliche Anreize für Mehrarbeit. Sie warnt gleichzeitig davor, das Steuersystem noch bürokratischer zu machen.