Sascha Müller im Interview : "Steuern und Abgaben sind keine Strafe"
Die geplante Aktivrente sei verfassungsrechtlich bedenklich und ihre Wirkung gering, kritisiert Grünen-Finanzpolitiker Sascha Müller.
Herr Müller, die Regierung will mit der Aktivrente Rentnern ermöglichen, 2.000 Euro pro Monat steuerfrei zusätzlich zu ihrer Rente dazu zu verdienen. Ein guter Ansatz?
Sascha Müller: Das Ziel teilen wir als Fraktion, nämlich Anreize zu geben, damit Menschen, die schon das Rentenalter erreicht haben, länger arbeiten. Das ist übrigens auch jetzt schon möglich. Viele Ältere wissen gar nicht, dass sie auch beim Bezug einer Rente unbegrenzt dazu verdienen dürfen.
Einigen dürfte aber schlicht zu wenig sein, was netto vom brutto übrig bleibt, um auch im Alter zu arbeiten.
Sascha Müller: Wir haben Arbeitskräftemangel, wir haben Fachkräftemangel. Aber leider wird die Wirkung der Aktivrente, wie sie jetzt von der Koalition geplant ist, wohl nicht sehr hoch sein. Eine Feldstudie der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Schluss, dass gerade mal 30.000 Vollzeit-Arbeitsplätze gewonnen werden, und nicht 168.000, wie die Bundesregierung in ihrer optimistischen Schätzung angibt. Aufgrund des demografischen Wandels verlieren wir pro Jahr 400.000 Erwerbstätige. Die Aktivrente löst das Problem also bei Weitem nicht. Dazu kommt: Der jetzige Gesetzentwurf bewegt sich verfassungsrechtlich auf sehr dünnem Boden.
Sascha Müller ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und Obmann im Finanzausschuss.
Weshalb?
Sascha Müller: Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat das auf meine Bitte hin herausgearbeitet. Es ist schwierig, Steuern nach Kriterien wie Alter oder Beschäftigungsart zu erheben. Die Frage, ob jemand 40, 50 oder älter als 65 oder 67 ist, darf für die Höhe der Steuern nicht entscheidend sein, auch nicht, ob er abhängig beschäftigt ist oder selbstständig.
Das heißt, man sollte die Selbstständigen mit reinnehmen?
Sascha Müller: Das wäre eine Option, macht es aber deutlich teurer. Allerdings bleibt dann immer noch die Diskriminierung nach dem Alter. Unser Vorschlag ist deshalb, nicht an den Steuern anzusetzen, sondern an den Beiträgen, und Beschäftigten im Rentenalter die Beiträge des Arbeitgebers zur Rentenversicherung auszuzahlen. Das wäre verfassungskonform und böte einen echten Anreiz, im Alter weiterzuarbeiten. Insbesondere Rentner mit geringen Einkommen, die ohnehin keine oder relativ geringe Steuern zahlen, würden so profitieren. Und für die Unternehmen ergäbe sich auch in diesem Modell keine Mehrbelastung.
Selbstständige hätten davon nichts.
Sascha Müller: Das stimmt - aber unser Vorschlag ist verfassungskonform, weil er an den Beiträgen ansetzt, die zu keinen Leistungen führen, und nicht an den Steuern. Und er konzentriert sich ebenso auf abhängig Beschäftigte, wie jener der Regierung.
Wäre es nicht fairer, allen unabhängig vom Alter und Beschäftigung zu ermöglichen, 2.000 Euro steuer- und abgabenfrei zu verdienen, etwa über eine höhere Minijob-Grenze?
Sascha Müller: Wichtiger wäre es doch, Menschen von Minijobs in reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bekommen. Steuern und Abgaben sind zudem keine Strafe. Sie sind der Garant für die Funktionsfähigkeit unseres Gemeinwesens und sichern die wesentlichen Lebensrisiken ab.
„Die gesetzliche Rente wird die Hauptsäule der Altersvorsorge bleiben, aber die anderen Säulen müssen wir stärken.“
Nur die Älteren länger arbeiten zu lassen, wird das Problem des Fachkräftemangels nicht lösen.
Sascha Müller: Eine entscheidende Frage lautet: Wie kriegen wir Zugewanderte schneller in Arbeit? Wir konnten in der Ampel-Koalition leider das Gesetzgebungsverfahren nicht mehr abschließen, dass der Antrag eines Geflüchteten auf eine Arbeitsgenehmigung nach einer bestimmten Frist automatisch erteilt ist, wenn er nicht vorher ausdrücklich abgelehnt wurde. Ein weiteres Vorhaben, das dann mit der Ampel-Koalition platzte, war die Reform der Steuerklassen.
Mit dieser Reform wollten Sie ans Ehegattensplitting ran.
Sascha Müller: Nein, es ging nicht um die endgültige Besteuerung von Ehegatten, sondern um das laufende Nettoeinkommen. Wir wollen Anreize dafür, dass Frauen noch stärker erwerbstätig sind. Dazu gehört übrigens auch eine weitere Verbesserung der Betreuungssituation für Kinder. Ich sage aber auch, dass das Ehegattensplitting grundsätzlich reformiert werden muss.
Da setzt das Grundgesetz Grenzen.
Sascha Müller: Ich rede bewusst von einer Reform, nicht der Abschaffung. Es gibt Beispiele aus anderen Ländern. Anstelle des Ehegattensplittings könnte man beispielsweise Ehepartnern, die nicht oder weniger arbeiten, ermöglichen, ihren Freibetrag auf den anderen Partner zu übertragen.
Selbst wenn mehr Ältere, Zuwanderer und Frauen arbeiten, löst das nicht die finanziellen Probleme in der Rentenversicherung.
Sascha Müller: Wir müssen gerade Menschen, die noch nicht unmittelbar vor der Rente stehen, ehrlich sagen, dass sie auch den Kapitalmarkt nutzen sollten, um vorzusorgen. Dafür haben wir als Grüne einen öffentlich verwalteten Fonds nach skandinavischem Vorbild vorgeschlagen. Dort sollen Menschen einzahlen können, um im Alter ihren Lebensstandard halten zu können. Die gesetzliche Rente wird zwar die Hauptsäule der Altersvorsorge bleiben, aber die anderen Säulen müssen wir stärken. Damit Arbeitnehmer aber überhaupt zusätzlich vorsorgen können, dürfen sie nicht mit steigenden Beitragssätzen belastet werden.
Sollte es eine Pflicht geben, in diesen Staatsfonds zu investieren?
Sascha Müller: Ich bin offen dafür, dass Menschen in einem liberalen Sinn sagen, ich brauche das nicht, ich kann für mich selbst vorsorgen. Eine Opt-out-Regel kann sinnvoll sein.
Halten Sie auch eine finanzielle Förderung solcher mehr oder weniger freiwilligen Beiträge für sinnvoll?
Sascha Müller: Das ist ein bei Riester etabliertes System. Ich sehe keinen Grund, das prinzipiell in Frage zu stellen. Aber klar ist, die Riester-Rente braucht eine Generalüberholung.
Wenn Menschen heute privat vorsorgen, etwa über Investmentfonds, dann droht im Alter eine dicke Steuerrechnung auf die Erträge.
Sascha Müller: Das stimmt so nicht. Renten - auch wenn diese aus Kapitalanlagen resultieren - werden wie Einkommen versteuert. Da in der Regel die Renten niedriger sind als das Gehalt, ist die Steuer dann im Alter auch niedriger. Das ist das System der nachgelagerten Besteuerung. Und wenn jemand sein Depot nach und nach auflöst, greift die so genannte Abgeltungssteuer auf die Erträge, die im Übrigen mit 25 Prozent wesentlich niedriger ist als die Steuer auf Erwerbsarbeit. Und diese - jetzt wird es etwas technisch - wird dann noch mit der Vorabpauschale verrechnet.
Wie steht Ihre Partei zur ziemlich einhelligen Forderung aus der Wissenschaft, das wir länger arbeiten müssen, damit die Beitragssätze in den Sozialsystemen stabil bleiben?
Sascha Müller: Hier geht es ja um die Frage der Kopplung des abschlagsfreien Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. Und da sehen wir, dass sich der Anstieg der Lebenserwartung zuletzt deutlich abgeflacht hat. Von daher ist diese Frage vielleicht gar nicht mehr so virulent. Um die Beiträge stabil zu halten, könnten auch mehr Mittel aus dem Bundeshaushalt zum Ausgleich versicherungsfremder Leistungen fließen. Über die Details reden wir derzeit noch in meiner Fraktion. Zur Gegenfinanzierung wäre beispielsweise eine höhere Besteuerung von Kapitalerträgen bei gleichzeitiger Anhebung des Sparerpauschbetrages denkbar.
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