Rechtslage : Bei der Suizidhilfe ändert sich vorerst nichts
Mit dem Scheitern der beiden Gesetzentwürfe zur Suizidhilfe bleibt es bei der vom Bundesverfassungsgericht geprägten Rechtslage.
Die Entscheidung der Abgeordneten in der vergangenen Woche, die beiden fraktionsübergreifenden Gesetzentwürfe abzulehnen, bedeutet: An der Rechtslage zum assistierten Suizid in Deutschland ändert sich vorerst nichts. Genauere Regeln, unter welchen Voraussetzungen Ärztinnen und Ärzte einer suizidwilligen Person ein tödlich wirkendes Medikament verschreiben dürfen oder unter welchen Bedingungen Sterbehilfe-Organisationen agieren sollten, gibt es damit weiterhin nicht. Ebenfalls ungeregelt bleibt der Zugang zu diesen Medikamenten.
Karlsruher Urteil: Richter hatten mit dem Verbot ein grundlegendes Problem
Wesentlich geprägt hat die aktuelle Rechtslage das Bundesverfassungsgericht mit einem Urteil aus dem Februar 2020 (2 BvR 2347/15). Die Richterinnen und Richter erklärten das 2015 nach mehrmonatiger Beratung fraktionsübergreifend beschlossene Gesetz "zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" für verfassungswidrig - und nichtig. Mit dem Gesetz war im Strafgesetzbuch ein neuer Paragraf 217 aufgenommen worden, der eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorsah. Geschäftsmäßig bedeutet in diesem Zusammenhang eine auf Wiederholung angelegte Tätigkeit, die aber nicht unbedingt kommerzieller Natur sein muss. Im Blick hatten die Abgeordneten damals beispielsweise Sterbehilfe-Vereine.
Die Karlsruher Richterinnen und Richter hatten mit diesem Verbot ein grundlegendes Problem. Sie argumentierten, dass das Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende auch die Freiheit bedeute, sich das Leben zu nehmen, und ebenso die Freiheit umfasse, dafür Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das vom Gesetzgeber formulierte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verengte aus Sicht der Richterinnen und Richter allerdings "die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung in einem solchen Umfang, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibt".
Das Urteil hatte auch für die Ärzteschaft Konsequenzen. Im Lichte der Entscheidung strich der Deutsche Ärztetag im Mai 2021 das strikte Verbot der Suizidhilfe aus der Muster-Berufsordnung, betonte aber, dass es nicht zum Aufgabenspektrum der Ärzteschaft gehöre, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten.
Politik diskutiert über Neuregelung
In der Politik wurde seit dem Urteilsspruch über eine Neuregelung diskutiert. In dieser Wahlperiode lagen schließlich drei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe vor, die unterschiedliche Konsequenzen zogen. Zwei eher liberale Entwürfe betonten vornehmlich das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und die Möglichkeit, dafür Hilfe in Anspruch zu nehmen, während der dritte eher repressive Entwurf vor allem den Schutz des Lebens und der autonomen Entscheidung in den Mittelpunkt stellte.

Zwei Gruppen von Abgeordneten wollten die Suizidhilfe neu regeln. Doch ihre Gesetzentwürfe fanden im Bundestag keine Mehrheit.

Das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe wurde gekippt. Rainer Woratschka und Kerstin Münstermann im Pro und Contra, wie der Staat mit dem heiklen Thema umgehen soll.

Ihnen geht es um das gute Sterben - ein Sterbehelfer, eine Sterbebegleiterin aus der Hospizarbeit und ein Betroffener im Porträt.
Alle Entwürfe einte, dass sie - in unterschiedlichen Ausmaß - Untersuchungs- und Beratungspflichten vor einer assistierten Selbsttötung, um festzustellen, ob die Entscheidung freiverantwortlich getroffen und von gewisser Dauerhaftigkeit ist, und Regelungen zum Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten normieren wollten. Dazu wurden auch bestimmte Fristen vorgeschlagen. Härtefallregelungen für vor allem Schwerstkranke sahen alle Entwürfe ebenso vor.
Gruppenanträge verfolgen unterschiedliche Ansätze
Die Gruppe um Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU) und Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen) schlug erneut ein Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung im Strafgesetzbuch vor - allerdings mit Ausnahmen, unter denen die Förderungshandlung nicht rechtswidrig sein sollte. Dazu gehörten mindestens zwei Untersuchungen etwa bei einem Facharzt für Psychiatrie sowie ein Beratungstermin. Eine erneute strafrechtliche Regelung hatte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich für möglich erachtet, gehe es doch auch um den Schutz der Autonomie und des Lebens.
Die beiden Entwürfe der Gruppe um Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) und Nina Scheer (SPD) und der Gruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP) und Petra Sitte (Die Linke) setzten hingegen nicht aufs Strafrecht, sondern schlugen neue Gesetze zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung vor. Letztlich legten die beiden Gruppen ihre Entwürfe zusammen und schlugen ein "Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung" vor. Es sah den Aufbau von staatlich anzuerkennenden Beratungsstellen vor, in der jeder ein Recht haben sollte, sich zu Fragen des Suizids beraten zu lassen. Eine solche Beratung sollte Voraussetzung für die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments sein.
Die "Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention" listet zahlreiche Hilfsangebote für Menschen in suizidalen Krisen auf.
Die Telefon-Seelsorge ist unter der Rufnummer 0800 1110111 erreichbar.