Piwik Webtracking Image

Ostsee-Raum : Ängste an der Nato-See

Der britische Publizist Oliver Moody zeigt, wie der Ostsee-Raum zu einer Konfliktzone wurde. Vor allem die Balten fürchten einen Angriff Russlands.

30.06.2025
True 2025-06-30T14:28:21.7200Z
4 Min

Die Ostsee ist von neun Ländern umgeben, alle mit eigener Sprache, Identität und Geschichte. Wenig ausgeprägt ist bei den Anrainern das Gefühl gewesen, gemeinsam der Region Ostsee anzugehören. Aber Russlands Krieg gegen die Ukraine schweißt die Staaten in diesem Gebiet zusammen. Gleichzeitig rückt damit ein eher peripherer Teil Europas in den Fokus der Geopolitik.

Foto: picture alliance / Fotostand

Die Fregatte „Bayern“ fuhr am 5. Juni dieses Jahres bei Warnemünde/Rostock in die Ostsee ein und schloss sich dem Nato-Manöver „Baltops“ (Baltic Operations) an.

"Es war daher nie wichtiger, den Ostseeraum zu verstehen," meint der britische Publizist Oliver Moody. Das belegt die Fülle an Fakten, die er in seinem aus Reportage und Analyse zusammengesetzten Buch ausbreitet. Es heißt "Konfliktzone Ostsee", weil diese "verletzliche" Region längst zum Schauplatz des "hybriden Krieges" geworden ist, den Russland gegen den Westen angezettelt hat. Wir erleben Desinformationskampagnen und Cyberangriffe, Störmanöver und Sabotageakte. Russische Bomber spielen Katz und Maus mit Nato-Flugzeugen. Schiffe von Russlands "Schattenflotte" zerreißen Datenkabel.

Die baltischen Staaten fürchten die Bedrohung durch Russland

Moody zeigt, wie sehr die baltischen Staaten Russland als Bedrohung wahrnehmen - und wie stark sie zugleich die Ressourcen von Demokratien gegen diese Gefahr mobilisieren. Estland etwa ist nach dem Abschütteln der sowjetischen Besatzung zum wirtschaftlich erfolgreichen "Tigerstaat" und zur führenden Internet-Nation Europas avanciert. Aber geblieben ist in diesem Land eine "nervöse Sorge" um seine Sicherheit, ja um seine Existenz.

Estland drängte wie Lettland und Litauen entschieden auf eine Verankerung im Westen, in den Strukturen von Nato und EU. Die baltischen Republiken haben laut Moody mittlerweile "einen Einfluss gewonnen, der weit über ihre wirtschaftliche Bedeutung hinausgeht, vor allem in geopolitischen Fragen". Estland führte, unterstützt von seinen Nachbarn, eine diplomatische Initiative an, die Zielvorgabe für die Verteidigungsausgaben der Nato-Staaten zu steigern. Zusammen mit Polen waren die Balten maßgeblich daran beteiligt, im Jahr 2023 die Unterstützung der Europäischen Kommission für einen EU-Beitritt der Ukraine zu erlangen.


Oliver Moody:
Konfliktzone Ostsee.
Die Zukunft Europas.
Klett-Cotta,
Stuttgart 2025;
528 S., 28,00 €


Aber überall im Baltikum gibt es die Befürchtung, dass Moskau als "Schutzmacht" der russischen Minoritäten auftreten und zur Gewalt greifen könnte. Auch Lettland ist eine geteilte Nation: Rund ein Viertel der Bevölkerung sind ethnische Russen; die Russischsprachigen machen gar 35 Prozent der Bevölkerung aus. 

Seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine im Februar 2022 leben diese Menschen in einer Art Ausnahmezustand. Lettland hat die meisten der vom russischen Staat finanzierten TV-Sender verboten. Es hat für 2025 das Ende des auf Russisch erteilten Sprachunterrichts verfügt. Tausende Russen müssen einen Lettisch-Sprachtest bewältigen, um ihre Aufenthaltserlaubnis zu behalten.

Viele Russen-Letten schauen argwöhnisch auf die Absichten Putins

Diese kulturell mit Russland verknüpften Menschen haben in einer parallelen Medienwelt gelebt und sich "gefährlich fremd" gefühlt. Um so erstaunlicher ist Moodys Kunde von der alltäglichen Integration sogar in der östlichsten Region des Landes: Russischsprachige identifizieren sich demnach deutlicher mit Lettland als mit Russland. Viele Russen-Letten schauen argwöhnisch auf die Absichten des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Mehr zum thema

Mehr zum Thema Schattenkrieg im Nato-Meer
Spannungen mit Russland im Ostsee-Raum: Schattenkrieg im Nato-Meer

Allerdings ist der Ausblick des Autors düster. Zwar habe sich mit dem Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands die strategische Lage in der Region deutlich verändert, stellt Moody fest. Aber trügerisch ist nach seiner Ansicht der Eindruck, dass die Ostsee damit definitiv zu einer "Nato-See" geworden sei. Real ist laut Moody vielmehr das Risiko, dass es bis zum Jahr 2030 tatsächlich zu einem Angriff Russlands an der Ostflanke der Nato kommt.

Viel hängt daher von der Entwicklung des Kriegsgeschehens in der Ukraine ab. Der Westen habe das größte Interesse daran, dass die Ukraine der russischen Attacke standhalten könne, argumentiert der Autor. Die beste Möglichkeit, einen direkten bewaffneten Konflikt mit Russland zu verhindern, sei eine glaubwürdige Abschreckung. Finnlands Präsident Alexander Stubb sagt es so: "Man muss auf das Schlimmste vorbereitet sein, wenn man es vermeiden will." Kaja Kallas, früher Estlands Ministerpräsidentin und heute Außenbeauftragte der EU, befürwortet eine "intelligente Eindämmung" Russlands.

Der Süden Europas schaut eher auf das Mittelmeer

Aber entscheidend ist der Zusammenhalt des Westens. Die USA sind für die Sicherheit im Ostseeraum unverzichtbar. Moody erwähnt nicht einmal explizit Bruchlinien innerhalb der EU. Aber für die südlichen Mitgliedsländer ist die Ukraine noch immer weit weg; sie schauen eher auf das Mittelmeer statt auf die Ostsee. Moody zeigt sich schockiert darüber, dass sich Präsident Donald Trump im Ukraine-Konflikt mit Moskau abstimmen und gegen die Nato-Partner wenden könnte. Niemand in Europa habe eine Welt vorausgesagt, in der die US-Regierung die ideologischen Pole des Westens so radikal umkehren würde.

Mehr dazu lesen

Öltanker Eagle S auf dem Wasser
Hybride Kriegsführung: Wenn Anker und Algorithmen zur Waffe werden
Cyberattacken und Sabotage: Immer öfter ist kritische Infrastruktur Ziel hybrider Angriffe. Doch wie lassen sich Seekabel, Pipelines und digitale Netze schützen?
Ein Abbild von A bis Z
Glossar: Von Cyberangriffen bis zu Sabotageaktionen
Die kritische Infrastruktur ist im Fadenkreuz neuer Kriegsformen. Wie hybride Machtmittel zentrale Bereiche unseres Alltags bedrohen und was dagegen geplant ist.
LNG Tanker wird auf der Ostsee von Tankern begleitet
Gas- und Öl-Importe: Umstrittene Fracht aus Russland
Durch Schlupflöcher im Sanktionssystem und Ausnahmen exportiert Russland nach wie vor Öl und Gas in die Europäische Union – und nach Deutschland.