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Foto: picture alliance / REUTERS / Claudia Greco
Zugeständnis an US-Präsident Trump (Mitte): Die Mitgliedsstaaten müssen künftig viel tiefer in die Tasche greifen, um die Finanzforderungen der USA zu erfüllen.

Nach dem Gipfel-Treffen in Den Haag : Das Nato-Bündnis rüstet auf

Ein überraschend harmonischer Nato-Gipfel ist mit einer historischen Vereinbarung zu Ende gegangen. Die Mitgliedstaaten wollen viel mehr Geld investieren.

26.06.2025
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5 Min

Selten ist ein Nato-Gipfel mit einer solchen Spannung erwartet worden wie das Spitzentreffen in dieser Juni-Woche in Den Haag: Würde US-Präsident Donald Trump beim ersten Bündnis-Gipfel seiner neuen Amtszeit dort weitermachen, wo er vor viereinhalb Jahren aufhörte - den Verbündeten Schmarotzertum vorwerfen, vielleicht gar den Austritt aus der Allianz verkünden? 

Es kam völlig anders: Der Gipfel verlief überraschend harmonisch und lieferte trotzdem ein Ergebnis von historischer Dimension. Die Staats- und Regierungschefs der 32 Mitgliedstaaten besiegelten ein enormes Aufrüstungsprogramm, das es mindestens seit dem Kalten Krieg so nicht mehr gegeben hat. Jedes Land soll spätestens ab 2035 jährlich fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung und Sicherheit investieren. Bisher lag das Ziel bei zwei Prozent.

Europäer müssen für das Fünf-Prozent-Ziel Billionen für Sicherheit aufbringen

Die neue Vorgabe ist zweigeteilt: 3,5 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung sollen die Nato-Länder direkt in die Militäretats leiten, um "Kernanforderungen im Verteidigungsbereich" zu decken und die gerade kräftig hochgeschraubten Nato-Fähigkeitsziele zu erfüllen. Zudem sollen weitere 1,5 Prozent für verteidigungsrelevante Infrastruktur und Industrie ausgegeben werden, etwa für panzertaugliche Brücken, Zivilschutzbunker oder Cyberabwehr.

Über die nächsten Jahre werden die Europäer so einen Billionenbetrag zusätzlich für ihre Sicherheit schultern müssen. Dafür bekannten sich die USA noch einmal ausdrücklich zur Beistandspflicht, wie sie in Artikel fünf des Nato-Vertrags festgelegt ist, an der Trump aber wiederholt Zweifel geäußert hatte. "Wir bekräftigen unser unumstößliches Bekenntnis zur kollektiven Verteidigung", heißt es im ersten Absatz der Gipfelerklärung. Und: “Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle.”


„Diese Menschen lieben ihre Länder wirklich, und wir sind hier, um ihnen zu helfen, ihr Land zu schützen.“
US-Präsident Donald Trump

Auch wenn die Regierungschefs versicherten, die ehrgeizige Zielmarke zur Aufrüstung entspreche dem berechneten nationalen Militärbedarf, sei also nicht bloß eine Verbeugung vor Trump, war der Gipfelbeschluss zum Fünf-Prozent-Ziel offenkundig auch ein Zugeständnis an den US-Präsidenten. 

Trump hatte diese Vorgabe überraschend zu Jahresanfang als Forderung an die Nato verkündet und die Verbündeten unter Druck gesetzt. Nun sollte ein Eklat wie beim Treffen 2018, als der Präsident aus Ärger über angebliche Trittbrettfahrerei der Alliierten kurz davor stand, den offenen Bruch mit der Nato zu verkünden, verhindert werden. Dazu wurde Trump von den anderen Teilnehmern auf ungewöhnliche Weise umsorgt und umworben. 

Nato-Generalsekretär Rutte sorgte für ein harmonisches Gipfel-Treffen

Das begann mit einem Programm, das ihm zuliebe auf eine zweieinhalbstündige Arbeitssitzung mit extrem kurzer Abschlusserklärung zusammengestrichen war, und endete bei sehr persönlichen Redebeiträgen der Regierungschefs, die in der internen Sitzung einer nach dem anderen dankbar die US-Beiträge für die eigene Sicherheit würdigten. 

Trump sagte bewegt, er verlasse das Treffen mit einer anderen Einstellung als zuvor. Die Nato sei "keine Abzocke", erklärte der Präsident. "Diese Menschen" - gemeint waren offenbar die Regierungschefs - liebten ihre Länder wirklich, und die USA seien hier, "um ihnen zu helfen, ihr Land zu schützen". Trump feierte den Beschluss als "großen Sieg", Nato-Generalsekretär Mark Rutte sprach von einem "Quantensprung".

Merz: Deutschland hat eine Führungsrolle übernommen

Rutte vor allem war der Erfolg zu verdanken: Der Niederländer hatte in monatelanger Vorarbeit die europäischen Verbündeten und die US-Regierung gleichermaßen für den Prozente-Kompromiss gewonnen und alles gestrichen, was bei dem Treffen noch Streit hätte auslösen können. Damit wirklich nichts schief gehen konnte, umgarnte der Generalsekretär Trump beim Treffen mit Lobhudeleien, die in Teilen der Öffentlichkeit als peinlich empfunden wurden.

Die Bundesregierung, die schon Anfang Juni im Kreis der Nato-Außenminister Zustimmung zum Fünf-Prozent-Ziel signalisiert hatte, nimmt allerdings für sich in Anspruch, mit ihrer frühen Festlegung andere Nato-Staaten auf den richtigen Weg gebracht zu haben. Deutschland habe eine Führungsrolle übernommen, sagte Kanzler Friedrich Merz (CDU) in Den Haag. Die Bundesregierung hatte nur einen Tag vor dem Gipfelbeschluss Finanzpläne vorgelegt, nach denen Deutschland das 3,5-Prozent-Ziel für das Militär schon 2029, deutlich vor der Zeit, erreicht - der Wehretat soll bis dahin von bislang 53 Milliarden Euro auf 153 Milliarden Euro angehoben werden, finanziert auch durch neue Schulden. 

Bereits im Spätsommer steht die nächste Bewährungsprobe für das Bündnis an

Nur der spanische Premier Pedro Sanchez blieb - offenbar auch aus innenpolitischen Gründen - störrisch und ließ sich eine Ausnahmeklausel zusichern. Nicht nur Trump fürchtet, dass sich später andere Staaten ein Beispiel an Spanien nehmen und die Umsetzung eher lax angehen. Die Regierungen sollen aber regelmäßig berichten, wie sie sich den neuen Zielen annähern. Trumps Nato-Botschafter Matthew Whitaker drohte, Bummler würden zur Rechenschaft gezogen.

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Schon wegen der schwierigen Umsetzung dürften die Spannungen nicht beendet sein. Die nächste Bewährungsprobe steht bevor: Im Spätsommer will die US-Regierung entscheiden, wie viele ihrer Soldaten sie aus Europa abzieht, um Spielraum für eine stärkere Militärpräsenz in Asien zu schaffen. 80.000 US-Soldaten sind bislang in Europa stationiert, allein 35.000 in Deutschland. Trump ließ sich beim Gipfel nicht in die Karten schauen. 

Die Europäer fordern, er müsse den Rückzug wenigstens schrittweise so vollziehen, sodass keine Sicherheitslücken entstehen. Merz warnte, Russland bedrohe nicht nur die Ukraine, sondern den Frieden in ganz Europa. Der Kanzler drängte Trump bei einem bilateralen Treffen zu schärferen Sanktionen gegen Russland. Doch der US-Präsident blieb zurückhaltend, er warnte vor Schäden für die eigene Wirtschaft.

Um Streit zu vermeiden, wurden der Ukraine-Krieg und Russland weitgehend ausgeklammert. In der Abschlusserklärung beschränkt sich die Solidarität mit der Ukraine auf einen Satz: "Die Verbündeten bekräftigen ihre dauerhaften einzelstaatlichen Zusagen zur Unterstützung der Ukraine, deren Sicherheit zu unserer Sicherheit beiträgt". Die Europäer mühten sich nach Kräften, der Ukraine den Rücken zu stärken, mit Gesprächen am Rande und Zeichen der Solidarität. Trump traf sich zwar mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij, ließ aber nicht erkennen, dass er an eine Kursänderung denkt. 

Der Autor ist EU-Korrespondent der Funke-Mediengruppe .

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