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Wie der Kampf für die Umwelt begann : Auf den Spuren der grünen Pioniere

Markus Brauckmann erzählt die Geschichte der deutschen Umweltbewegung und ihrer Protagonisten, die für ihre grünen Ziele Staat und Wirtschaft herausforderten.

24.07.2025
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4 Min

Mit einem Großaufgebot ist die Polizei vor Ort, Wasserwerfer werden aus nächster Nähe auf Demonstranten gerichtet, die am Boden kauern und nicht weichen wollen. Menschen schreien, als die Einsatzkräfte mit Gewalt gegen sie vorgehen und sie wegzerren.

Foto: picture-alliance / dpa / Klar

Ob gegen den Bau von Atomkraftwerken, wie 1977 in Kalkar, oder den Smog im Ruhrgebiet: In den 1970er und 1980er formiert sich vielerorts Protest - es entsteht eine breite Umweltbewegung.

Es könnte Protest von Klimaaktivisten der Organisation "Extinction Rebellion" oder der "Letzten Generation" sein, die unter anderem mit Verkehrsblockaden in den vergangenen Jahren aufmerksamkeitsstark die Politik zu mehr Klimaschutz bewegen wollten. Doch die Szene, die der Autor Markus Brauckmann in seinem Buch "Die Erste Generation" beschreibt, spielte sich so nicht etwa 2023 in Berlin ab, sondern vor 50 Jahren im südbadischen Wyhl. Dort, am Oberrhein, zwischen Weinbergen und Wald, wollte die baden-württembergische Landesregierung ein Atomkraftwerk bauen - hatte aber die Rechnung ohne die Bürgerinnen und Bürger vor Ort gemacht.

Kalkar, Gorleben, Wackersdorf - die Namen haben sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt

Bauern, Winzer und Studierende aus dem nahen Freiburg protestierten in einer ungewöhnlichen Allianz gegen die Pläne, besetzten 1975 den Bauplatz über neun Monate und schafften es so, den Bau des Kraftwerks zu verzögern und letztlich ganz zu verhindern. Es war der Ursprung der deutschen Anti-AKW- und Umweltbewegung, die sich in den 1970er- und 1980er-Jahren aus vielen lokalen Initiativen entwickelte.

Der Widerstand in Wyhl prägte auch den Protest andernorts in der Bundesrepublik: Kalkar, Gorleben, Wackersdorf, Startbahn West - die Namen der Orte haben sich ins kollektive Gedächtnis von Generationen gebrannt. Auch heute klingen sie noch vertraut. Anders als die Namen der Protagonistinnen und Protagonisten des Widerstands: Sie sind heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Das will Brauckmanns Buch ändern.


„Wenn wir dauernd von der Letzten Generation hören - gab es eigentlich auch eine ,Erste Generation', mit der die Proteste um Umwelt und Natur begannen?“
Markus Brauckmann

Die Idee, es zu schreiben, so schildert es der Drehbuchautor und Regisseur im Vorwort, sei ihm in einem Berliner Café im Frühjahr 2023 gekommen: Die Nachrichten seien damals voll von der Letzten Generation gewesen. "Von ihren Protesten, von den Sitzblockaden, vom Festkleben - aber mehr noch vom Zorn der Bürger über diese Taten", schreibt er. Da sagt die Freundin, die er zum Kaffee trifft, plötzlich etwas, das ihn elektrisiert: "Mein Opa hat schon vor 50 Jahren für die Umwelt demonstriert." 

Ihre Bemerkung wird zum Ausgangspunkt für umfangreiche Recherchen, die Brauckmann quer durch das Land führen. Eine Frage treibt ihn um: “Wenn wir dauernd von der Letzten Generation hören - gab es eigentlich auch eine ,Erste Generation', mit der die Proteste um Umwelt und Natur begannen?”

Brauckmann spricht mit Pionieren der Umweltbewegung

Auf der Suche nach Antworten hat Brauckmann Zeitzeugen besucht und sich ihre Geschichten erzählen lassen: Darunter etwa Marie-Luise Marjan, die - bevor sie als "Mutter Beimer" in der Serie "Lindenstraße" deutschlandweit Bekanntheit erlangte - 1973 eine Hauptrolle im Öko-Thriller "Smog" über Luftverschmutzung im Ruhrgebiet spielte, oder Monika Griefahn, Mitbegründerin von Greenpeace Deutschland und spätere SPD-Umweltministerin in Niedersachsen oder die grünen Bundestagsabgeordneten der ersten Stunde, Christa Nickels und Marieluise Beck.

Unter Brauckmanns Gesprächspartnern sind aber auch viele, die einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind: So etwa der Bäckermeister Bernd Nößler und die Erzieherin Irmgard Schneider, die einerseits die Sorge um die Risiken der Atomkraft, andererseits der Wunsch nach mehr politischer Partizipation auf die Straße trieb. "Wir waren die Ersten", sagt Schneider.


Markus Brauckmann:
Die erste Generation.
Wie der Kampf für die Umwelt begann.
DVA,
München 2025;
400 S., 25,00 €


Sie seien zwar nicht die Allersten gewesen, die sich für den Naturschutz engagierten, schreibt Brauckmann. Als Pioniere seien aber sie in die Geschichte eingegangen, weil sie sich nicht scheuten, "für ihre grünen Ziele die Autorität des Staates und die imposante Macht von Industrie und Wirtschaft herauszufordern".

So etwa der Gynäkologe Horst Pomp, Mitglied einer Interessengemeinschaft gegen Luftverschmutzung in Essen: Er bewies Anfang der 1980er-Jahre gemeinsam mit Medizinerkollegen gegen den Widerstand von Wirtschaft, Gewerkschaften und der im Ruhrgebiet dominierenden SPD, dass Industrieemissionen die Ursache lebensbedrohlicher Atemwegserkrankungen bei Säuglingen und Kleinkindern waren.

Viele Umweltaktivisten wurden für ihren Einsatz ausgegrenzt

Oder der Abiturient Martin Baumgärtner, der mit einer Kutterfahrt von Basel nach Rotterdam die Vergiftung des Rheins durch Industriechemikalien öffentlich machte. Oder der Bauer Josef Maas, der einen hohen Preis zahlte für seinen Kampf gegen den "Schnellen Brüter", einen Kernreaktor, der nicht nur Energie, sondern auch neues spaltbares Material liefern und Deutschland so unabhängig von Uranimporten machen sollte.

Wie er erlebten nicht wenige der Umweltaktivisten, dass sie für ihren Einsatz ausgegrenzt und als "Spinner" diskreditiert wurden. Dabei leisteten sie einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Demokratisierung Deutschlands. Womöglich sei diese erste Generation eine verkannte, so Autor Markus Brauckmann. Sein Buch jedenfalls ist eine Würdigung - und eine ebenso kurzweilige wie lehrreiche Lektüre.

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