Veränderte Weltordnung : Die zweite Revolution gegen den Westen
Daniel Marwecki stellt in seinem Buch "Die Welt nach dem Westen" dar, dass Europäer und die USA die Geschicke des Globus nicht mehr allein bestimmen können.
Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine habe sich Russland international vollständig isoliert, versicherten Europäer und US-Amerikaner. Doch diese Einschätzung sollte sich als eine Illusion erweisen. Zwar verurteilte eine große Mehrheit der Länder in der UNO-Vollversammlung Moskaus Bruch des Völkerrechts. Aber an den Sanktionen gegen Russland oder an den Waffenlieferungen für die Ukraine beteiligten sich nur diejenigen Staaten, die zum politischen Westen zählen.
Das ist für den Politikforscher Daniel Marwecki ein weiteres Indiz dafür, dass die seit zwei Jahrhunderten andauernde Weltdominanz des Westens schwindet. Der Anteil der westlichen Länder an der Weltwirtschaft schrumpft. Zugleich verlieren sie an politischer Gestaltungsmacht. "Der Abstieg des Westens geht einher mit dem Aufstieg der Anderen," stellt der Autor fest. Neben den USA positioniert sich China als zweite Weltmacht. Mit neuem Selbstbewusstsein pochen Länder des globalen Südens von Brasilien über Indien bis Indonesien auf Mitsprache.
Entkolonialisierung als “erste Revolte gegen den Westen”
In seiner Studie skizziert Marwecki zunächst, was die westliche Herrschaft auf der Welt begründet hat. Es war die Kombination von Industrialisierung und Nationalstaat - plus die Plünderung unterworfener Länder. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Kolonien in Afrika und Asien unabhängig wurden, kam es zur "ersten Revolte gegen den Westen". Ghanas Gründer-Präsident Kwame Nkrumah erklärte, durch internationale Unternehmen und korrupte einheimische Eliten würden dieselben ausbeuterischen Interessen verfolgt wie in der Kolonialzeit. Dies sei "Neokolonialismus".
Tatsächlich verharrte ein großer Teil der postkolonialen Welt in Armut und Abhängigkeit. Nur asiatische "Tigerstaaten" wie Japan, Südkorea oder Taiwan schafften den Aufstieg zur Industrienation, ehe China durch die konsequente Anwendung des europäischen Erfolgsrezepts zum wirtschaftlichen Giganten wurde.
Daniel Marwecki:
Die Welt nach dem Westen.
Über die Neuordnung der Macht im 21. Jahrhundert.
Ch. Links,
Berlin 2025;
288 S., 24,00 €
Heute wird das koloniale Erbe für die westlichen Staaten zu einem Hindernis beim Werben um Zustimmung im globalen Süden. China etwa verweist beim Ringen um globalen Einfluss bewusst auf die einst mit den Ex-Kolonien geteilte Gegnerschaft zum westlichen Imperialismus. Das ist zu spüren in den aktuellen Konflikten - in der Ukraine und im Nahen Osten. Der Westen stand nach dem Hamas-Massaker auf der Seite Israels, die nicht-westliche Weltmehrheit hielt wegen des Gaza-Kriegs zu den Palästinsensern. Es ist die "zweite Revolte gegen den Westen".
Trumps Abrücken von Allianzen als Machtmultiplikator
Für das westliche Lesepublikum tischt Marwecki unbequeme Wahrheiten auf. Es ist von Vorteil, dass der an der Universität von Hongkong lehrende Experte vielfach Stimmen zu Gehör bringt, die in unserem politischen Diskurs wenig bekannt sind. Allerdings ist zu bemerken, dass er den Westen viel kritischer beurteilt als die Rivalen China und Russland. Im Fall des Ukraine-Kriegs etwa folgt er insbesondere dem von Moskau verbreiteten Narrativ, dass Russland auf die Ost-Erweiterung der Nato habe reagieren müssen. Inzwischen aber ist klar geworden, dass nationalistische Ideen und imperialistische Ambitionen bei dieser Aggression eine größere Rolle spielen.
Das Nein zu einer westlichen Vorherrschaft wird immer lauter. Stattdessen gibt es den Ruf nach einer multipolaren Weltordnung. US-Präsident Donald Trump scheint mit seinem Kurs - dem Abrücken von Allianzen als Macht-Multiplikator und der Schwächung von Amerikas "weicher Macht" - den Abstieg des Westens zu besiegeln. Europa wirkt wie "der politische Akteur, der am orientierungslosesten in die neue Welt stolpert".
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