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Vor 35 Jahren : Schicksalstag für "Kohls Kronprinzen"

Bei einer Wahlkampfveranstaltung wird der damalige Bundesinnenminister schwer verletzt, ist fortan querschnittsgelähmt. Doch er kämpft sich zurück in die Politik.

10.10.2025
True 2025-10-10T17:39:30.7200Z
3 Min

"Ich habe kein Gefühl mehr in den Beinen", flüsterte Wolfgang Schäuble (CDU) kurz bevor er das Bewusstsein verlor. Der 12. Oktober 1990 war ein Schicksalstag für den damaligen Bundesinnenminister: Nach einer Wahlkampfveranstaltung in seinem Wahlkreis in der badischen Ortenau wurde der 48-Jährige niedergeschossen und war fortan querschnittsgelähmt.

Schäuble Attentäter hatte mir Wahnvorstellungen zu kämpfen

Die deutsche Wiedervereinigung, an der Schäuble maßgeblichen Anteil hatte, war erst wenige Tage endgültig vollzogen worden. Die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen standen an. Schon einmal wurde 1990 der Wahlkampf von einem Attentat überschattet: Im April hatte eine Frau SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine in Köln niedergestochen. Er überlebte nur knapp.

Foto: picture alliance/AP/Fritz Reiss

Nach fünf Wochen zurück in der Öffentlichkeit: Am 22. November 1990 gab Wolfgang Schäuble seine erste Pressekonferenz nach dem Attentat.

Ein halbes Jahr später sprach Schäuble im Gasthaus "Brauerei Bruder" im südbadischen Oppenau. Ein Heimspiel für den CDU-Politiker, der als "Kohls Kronprinz" gehandelt wurde. Die rund 250 Zuhörer waren "begeistert" von ihrem Abgeordneten, erinnerte sich ein Reporter des Magazins "Stern", der an jenem Abend vor Ort war.

Im hinteren Teil des Saals, so der Reporter, saß "ein mittelgroßer dunkelhaariger Mann mit einer schwarzen Lederjacke". Den ganzen Abend habe er Schäuble ruhig zugehört. Einigen sei er lediglich aufgefallen, weil er nie geklatscht habe. Es handelte sich um den späteren Attentäter Dieter K., ein 36-Jähriger, der immer wieder mit Wahnvorstellungen zu kämpfen hatte.

Drei Schüsse trafen den CDU-Politiker und Bundesinnenminister

Am Ende der Veranstaltung sprach Schäuble noch mit Parteifreunden und gab Autogramme. Auf dem Weg zum Ausgang bildeten die Anwesenden ein Spalier. Als Schäuble nur wenige Schritte von der Tür entfernt war, drängte sich Dieter K. zu dem Politiker durch.

Um 22.04 Uhr fielen drei Schüsse. Schäuble wurde unterhalb des rechten Ohres und in den Rücken getroffen. Der dritte Schuss verletzte einen Leibwächter, der die Kugeln abfangen wollte.


„Schon als ich langsam aus dem Koma aufwachte, habe ich gewusst - weiß der Himmel woher - dass ich jetzt im Rollstuhl sein werde, dass ich gelähmt bin.“
Wolfgang Schäuble (CDU)

Die ganze Nacht kämpften Ärzte in der Universitätsklinik Freiburg um Schäubles Leben - mit Erfolg. Doch der Politiker blieb vom dritten Brustwirbel an abwärts gelähmt. Später sollte er sich erinnern: "Schon als ich langsam aus dem Koma aufwachte, habe ich gewusst - weiß der Himmel woher - dass ich jetzt im Rollstuhl sein werde, dass ich gelähmt bin." Seine Frau Ingeborg hat er damals gefragt: "Warum habt ihr mich nicht sterben lassen?"

Bereits acht Wochen nach dem Attentat kehrt Schäuble in die Politik zurück

Doch Schäuble kämpfte sich zurück ins Leben. Schon fünf Wochen nach dem Attentat zeigte er sich erstmals öffentlich im Rollstuhl, acht Wochen nach dem Attentat arbeitete er wieder. Unterstützung hatte er dabei von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). "Sie können auch im Rollstuhl weiter Innenminister unseres Landes sein", hatte der ihm Mut gemacht.

Und Schäuble machte weiter Karriere in der Politik. Nach der Bundestagswahl wurde er CDU-Fraktionsvorsitzender, später Partei-Chef, erneut Innenminister, dann Finanzminister und schließlich Bundestagspräsident. Schäuble starb am 26. Dezember 2023 im Alter von 81 Jahren. Er hatte dem Bundestag 51 Jahre und 13 Tage angehört - so lange wie kein anderer Abgeordneter.

Attentäter Dieter K. wurde 1991 im Prozess für schuldunfähig erklärt und in eine Psychiatrie eingewiesen.

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