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Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler
Festakt im Berliner Regierungsviertel: Die Spitzen der deutschen Politik feiern den Geburtstag des Grundgesetzes und der Bundesrepublik.

75 Jahre Grundgesetz : "Nicht auf ewig garantiert"

Deutschland feiert mit einem Festakt in Berlin 75 Jahre Grundgesetz und 35 Jahre friedliche Revolution. Der Bundespräsident warnt vor Gefahren für die Demokratie.

24.05.2024
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5 Min

Sogar der Himmel über dem Platz zwischen Bundestag und Bundeskanzleramt war am Donnerstagmittag festlich geschmückt: Drei Fallschirmspringer der Bundespolizei, ausgestattet mit einer Deutschland-Fahne, einer Europa-Fahne und einer 75-Jahre-Fahne segelten über das Regierungsviertel und eröffneten damit den Staatsakt zum Jahrestag des Grundgesetzes. Am 23. Mai 1949, vor 75 Jahren, wurde das Grundgesetz in Bonn unterzeichnet und feierlich verkündet. Es ist ein Ereignis, das zugleich die Geburtsstunde der Bundesrepublik markiert. Und auch an ein weiteres Jubiläum soll an diesem Tag in Berlin gedacht werden: 35 Jahre friedliche Revolution in der DDR.

Bundespräsident nennt Verfassung "großartiges Geschenk" 

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte in seiner Rede das Grundgesetz als "großartiges Geschenk" für Deutschland nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und bezeichnete es als ein Modell "für das friedliche Zusammenleben in einer Gesellschaft der Verschiedenen". Steinmeier betonte, dass die Verfassung daher nicht nur geschätzt, sondern auch gefeiert werden müsse. Denn: "Diese Verfassung gehört zu dem Besten, was Deutschland hervorgebracht hat."

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Ursprünglich als provisorische Verfassung für die Bundesrepublik gedacht, sollte das Grundgesetz nur bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten gelten. Zuvor hatten die drei westlichen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, USA, Frankreich und Großbritannien, deutschen Politikerinnen und Politikern in den westlichen Besatzungszonen den Auftrag gegeben, eine politische Ordnung zu erarbeiten, die ihre Lehren aus der Weimarer-Republik und den Verbrechen des Nazi-Regimes zieht. Die heute weitgehend auf repräsentative Aufgaben beschränkte Stellung des Bundespräsidenten ist eine der Lehren, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes aus dem Scheitern von Weimar zogen.

Steinmeier: Freiheitsversprechen wurde erst mit der Wiedervereinigung für alle erfüllt

Zu diesen Lehren gehört aber auch, dass ein Bundeskanzler nur per "konstruktivem Misstrauensvotum" im Bundestag durch die Wahl eines Amtsnachfolgers gestürzt werden kann. Für das Selbstverständnis der Bundesrepublik prägend wie verpflichtend aber ist vor allem als Antwort auf die vorherigen NS-Gräuel Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."


„Wir feiern zusammen, weil wir zusammengehören.“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

In seiner etwa halbstündigen Rede erinnerte Steinmeier daran, dass das Freiheitsversprechen des Grundgesetzes erst mit der Wiedervereinigung für alle Deutschen erfüllt wurde. Er hob hervor, dass daher sowohl 1949 als auch der Mauerfall 1989 entscheidende Wegmarken in der Geschichte der Bundesrepublik seien. Heute sei das Land zusammengewachsen und das Grundgesetz schließlich die Verfassung aller Deutschen: "Wir feiern zusammen, weil wir zusammengehören", so Steinmeier. Das Grundgesetz habe sich als gesamtdeutsche Verfassung etabliert.

Deutschland muss in Sicherheit und Verteidigung investieren

Dabei gab es nach der Friedlichen Revolution in der DDR 1989 Überlegungen, das Grundgesetz durch eine gesamtdeutsche Verfassung zu ersetzen, so wie es ursprünglich in Artikel 146 vorgesehen war. Am Ende entschied man sich jedoch dafür, dass die DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beitreten solle, was eine schnellere Wiedervereinigung ermöglichte.

Die folgenden Jahrzehnte seien von Einigkeit, Demokratie, europäischer Verbundenheit und Wohlstand geprägt gewesen. Doch Steinmeier stellte die Bürgerinnen und Bürger in seiner Rede am Donnerstag auf herausfordernde Zeiten ein: "Es kommen raue, auch härtere Jahre auf uns zu", mahnte der Bundespräsident. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sei der Krieg nach Europa zurückgekehrt. Da die Bedrohung seitens Russlands in naher Zukunft nicht schwinden werde, müsse Deutschland mehr in seine Sicherheit und Verteidigung investieren, um die hiesigen Werte verteidigen zu können. "Wer die Freiheit liebt, darf vor dem Aggressor nicht weichen", sagte Steinmeier und forderte, auch die Debatte über den Wehrdienst nicht zu scheuen.

Spitzen der deutschen Politik versammeln sich in Berlin

Weitere Herausforderungen seien der Klimawandel und die Wirtschaftskrise sowie zunehmender Antisemitismus, Angriffe auf Mandatsträger und politisch Engagierte oder Fake News. Spannungen zwischen der Verfassung und der Verfassungswirklichkeit seien nicht zu übersehen. Steinmeier warnte daher, das Grundgesetz sei "nicht auf ewig garantiert". Jeder Einzelne in Deutschland sei nun gefordert, sich für die Freiheit und Demokratie einzusetzen - eine starke Gesellschaft brauche das Land. Steinmeiner forderte auch die demokratischen Parteien zur Zusammenarbeit auf, um gegen Bedrohungen gegen die Demokratie vorzugehen. Am Ende appellierte der Bundespräsident: "Stehen wir heute zusammen gegen die Feinde der Demokratie, halten wir aus, was uns trennt, aber stärken das, was uns verbindet".

Rund 1.100 geladene Gäste hatten sich auf dem Platz zwischen Bundestag und Bundeskanzleramt versammelt, darunter die ranghöchsten Politikerinnen und Politiker des Landes und die Spitzen der fünf Verfassungsorgane: Neben dem Bundespräsidenten sind dies die Präsidentinnen und Präsidenten von Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht - Bärbel Bas (SPD), Manuela Schwesig (SPD) und Stephan Harbarth - sowie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Unter den rund 1.100 Gästen waren auch die früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Angela Merkel (CDU) sowie Altbundespräsident Joachim Gauck. Auch Spitzen aus Gesellschaft, Kultur und Kirche waren angereist. Darunter beispielsweise die 102-jährige Holocaust-Überlebende Margot Friedländer. Um die Sicherheit der Veranstaltung zu gewährleisten, waren rund 1.000 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz.

Katharina Thalbach und Andreja Schneider präsentieren musikalische Zeitreise

Musikalisch untermalt wurde der Festakt von den Berliner Philharmonikern unter Dirigent Yannick Nézet-Séguin. Die Sängerinnen und Schauspielerinnen Katharina Thalbach und Andreja Schneider präsentierten ein Medley deutscher Lieder aus den Jahren 1949 bis 1989, das große Freude bei den Gästen auslöste. Ihre musikalische Zeitreise reichte unter anderem von "Über den Wolken" von Reinhard Mey über "Du hast den Farbfilm vergessen" von Nina Hagen bis hin zu "Wenn ein Mensch lebt" von den Puhdys.

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Für eine deutsche Verfassung sind die 75 Jahre, die das Grundgesetz nun in Kraft ist, in der jüngeren Geschichte eine lange Zeit. Die Paulskirchen-Verfassung von 1849 war, was ihre Gültigkeitgsdauer anbetrifft (nicht ihre Wirkmächtigkeit), quasi eine Totgeburt, trat sie doch nach der Ablehnung der Preußens König Friedrich Wilhelm IV. angebotenen Kaiserkrone nie in Kraft. Bismarcks Verfassung des Kaiserreichs von 1871 fand nach rund 47 Jahren mit der Reform vom Oktober 1918 noch zur Umwandlung der konstitutionellen Monarchie in eine parlamentarisch regierte, war aber mit der Ausrufung der Republik zwölf Tage später Vergangenheit. Die Weimarer Verfassung von 1919 wurde mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten von 1933 bereits nach 14 Jahren Geschichte; Hitlers Terrorherrschaft erst nach zwölf Jahren.

Grundgesetz steht vor neuen Herausforderungen

Seit der Verkündung des Grundgesetzes vor 75 Jahren hat sich viel getan: Statt der ursprünglich 146 Artikel umfasst es mittlerweile 203 Artikel. Der Gesetzestext gehört nun schon zu den älteren geltenden Verfassungen der Welt und diente als Vorbild für Verfassung anderer demokratischer Staaten. Dennoch wird immer wieder diskutiert, welche Änderungen oder Anpassungen das Grundgesetz hinsichtlich der sich verändernden Weltlage und neuen Herausforderungen benötigt.

Die Feierstunde am Donnerstag ist der Auftakt zu einem dreitägigen Demokratiefest, das vom 24. bis zum 26. Mai in Bonn und Berlin stattfindet. Zu dem Fest sind alle Bürgerinnen und Bürger eingeladen.

Weitere Infos zum Programm auf der Website der Bundesregierung