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Gespräch zum Zwangsdoping in der DDR : „Wir waren ideologische Waffen im Kalten Krieg“

Ex-DDR-Leichtathletin Gesine Tettenborn fordert bei einem Fachgespräch im Bundestag eine Gleichstellung von Dopingopfern mit politisch Verfolgten in der DDR.

07.11.2025
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3 Min

Im Jahr 1984 lief Gesine Tettenborn unter ihrem Mädchennamen Gesine Walther mit der 4 x 400m-Staffel der DDR zum Weltrekord. Am Donnerstag saß sie bei einem von Evelyn Zupke, Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur, initiierten Fachgespräch im Europasaal des Paul-Löbe-Hauses und schilderte eindrücklich, wie in der DDR mit Leistungssportlern umgegangen wurde. 

Foto: Stella von Saldern

Zeitzeugin und Zwangsdopingopfer Gesine Tettenborn (m.) berichtet beim Fachgespräch der SED-Opferbeauftragten Evely Zupke über ihre Erfahrungen als Leistungssportlerin in der DDR.

"Wir waren ideologische Waffen im Kalten Krieg und das Doping war die Munition", sagte Tettenborn. Gemeinsam mit weiteren dem Fachgespräch "Gold um jeden Preis - Das systematische Zwangsdoping in der DDR und seine Folgen für die Betroffenen" beiwohnenden Dopingopfern forderte sie von der Politik bei der Frage der Entschädigung eine Gleichstellung mit den Opfern politischer Verfolgung.

Unterstützt wurde sie dabei vom Vorsitzenden des Doping-Opfer-Hilfevereins, Michael Lehner, sowie vom Vorsitzenden der Ethik-Kommission des Landessportbundes Thüringen, Hubertus Gersdorf. Sie waren sich einig, dass die Regelungen der Dopingopferhilfegesetze nicht ausreichend seien.

Opfer des DDR-Zwangsdopingsystems müssten mit politisch Verfolgten gleichgestellt werden

Gersdorf, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Leipzig, bewertete das DDR-Zwangsdopingsystem als Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie. Da der Gesetzgeber alle Formen von Menschenwürdeverstößen gleich zu behandeln habe, müsse er bei der Entschädigung die Opfer des DDR-Zwangsdopingsystems mit den politisch Verfolgten gleichstellen, betonte er. 

Sollte das Parlament keine solche "verfassungsrechtlich gebotene Gleichstellung" beschließen, empfahl Gersdorf den Gang vor das Bundesverfassungsgericht. Er zeigte sich überzeugt davon, dass dieser Weg von Erfolg gekrönt wäre.

Anerkennung als Opfer eines totalitären Systems 

Das Problem dabei: Den Opfern rennt die Zeit davon. Eine als Gast bei dem Fachgespräch anwesende ehemalige DDR-Spitzenvolleyballerin, die nach eigener Aussage als Dopingopfer nach dem ersten Dopingopferhilfegesetz anerkannt ist, brachte es bei der Diskussion auf den Punkt. Sie sei jetzt 69 Jahre alt. "Ich habe keine Zeit mehr, auf ein verfassungsrechtliches Grundsatzurteil im Jahre XY zu warten", sagte sie.


Carsten Spitzer beim Fachgespräch zum systematischen Zwangsdoping in der DDR.
Foto: Stella von Saldern
„Minderjährige zwangsgedopte DDR-Leistungssportlerinnen und Leistungssportler sind psychisch schwer, chronisch und bis heute belastet.“
Carsten Spitzer (Klinik für Psychosomatische Medizin der Uni Rostock)

Ihr - wie auch Gesine Tettenborn - geht es in erster Linie darum, als Opfer eines totalitären Systems anerkannt zu werden. Tettenborn machte bei ihrer Schilderung deutlich, dass der Begriff "mündige Sportler" auf DDR-Athleten bezogen "ein Paradoxon ist". Als junge Sportlerin sei der Trainer ihre wichtigste Bezugsperson gewesen, sagte die ehemalige Leichtathletin. Dieser habe ihr Verhalten in jeder Hinsicht ständig überwacht. Als sie sich geweigert hat, der SED beizutreten, sei sie von ihm in einer Art behandelt worden, die man heute als Mobbing bezeichnen würde, "die aber in der DDR völlig normal war".

Als 17-Jährige - und damit Minderjährige - habe sie Dopingmittel erhalten, sagte Tettenborn. Welche Mittel genau das waren, sei heute nicht mehr nachzuvollziehen, "weil die Erfurter Sportmedizin alle Unterlagen bei der Wende 1989 sofort vernichtet hat".

Betroffene leiden heute teils an Depressionen, Psychosen und Panikattacken

Tettenborn sprach auch über die gesundheitlichen Folgen des Dopings. Sie sei traumatisiert, sagte sie. Traumafolgeerkrankungen seien bei ihr Depressionen, Psychosen und Panikattacken. Zudem leide sie an einem Erschöpfungssyndrom. "Wenn ich mich belaste, werde ich sofort depressiv. Nehme ich Antidepressiva drehe ich durch und bekomme Psychosen", sagte Tettenborn.

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Derartige Gesundheitsfolgen kennt auch der ehemalige Leiter des mittlerweile abgeschlossenen Verbundprojekts "Gesundheitliche Langzeitfolgen von SED-Unrecht", Professor Carsten Spitzer. 101 Betroffene seien für die Studie rekrutiert worden, erläuterte er während der Sitzung. Schon Fünfjährigen seien Dopingmittel gegeben worden. Im Durchschnitt habe der Dopingeinsatz mit 13 Jahren begonnen. "Sie können sich ausmalen, was das für Auswirkungen auf die Entwicklung der jungen Menschen hat", sagte der Leiter der Klinik für Psychosomatische Medizin der Uni Rostock.

Bei 98 Prozent der untersuchten Athleten sei mindestens eine psychische Störung in ihrem Leben diagnostiziert worden, sagte der Studienleiter. Das sei mehr als doppelt so viel wie in der Allgemeinbevölkerung. Mit einer "überzufälligen Häufigkeit" seien auch spezifische Phobien in Bezug auf Spritzen und Verletzungen festgestellt worden. Die Posttraumatische Belastungsstörung wie auch chronische Schmerzen seien weitere Vielfach-Befunde. "Minderjährige zwangsgedopte DDR-Leistungssportlerinnen und Leistungssportler sind psychisch schwer, chronisch und bis heute belastet", lautete sein Fazit.

Für den ARD-Dopingexperten Hajo Seppelt ist klar, dass es heute in autokratischen Strukturen ähnlich wie seinerzeit in der DDR läuft. Seppelt verwies auf Recherchen in China, wo schlichtweg nicht kontrolliert werde. In Russland könne von staatlichen Strukturen des Dopings gesprochen werden. Das laufe "mit Wissen und mit Billigung von Putin", sagte Seppelt.

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