Piwik Webtracking Image

Parlamentarisches Profil : Der fleißige EU-Vize: Jan-Christoph Oetjen

Melken, Strohpressen, Kühe umtreiben: Der Vize-Präsident des Europäischen Parlaments weiß selbst nur zu gut, von was die demonstrierenden Landwirte sprechen.

22.05.2024
True 2024-06-04T12:42:12.7200Z
3 Min

Am Tag, als Jan-Christoph Oetjen sein Büro als Vize-Präsident des Europäischen Parlaments bezog, flogen von außen Eier an die Fensterscheiben. Damals, Anfang Februar, demonstrierten Landwirte in Brüssel gegen die europäische Agrarpolitik und beließen es nicht nur bei lautstarkem Protest. Im Europäischen Parlament roch es noch Tage später nach verbrannten Autoreifen.

Foto: Laurence Chaperone

Jan-Christoph Oetjen sitzt seit 2019 für die FDP im Europäischen Parlament. Seit diesem Jahr ist er dessen Vizepräsident.

Die aufgebrachte Menge wusste nicht, dass die europäische Volksvertretung gerade einen Vize-Präsidenten bekommen hatte, der sehr gut weiß, wie es in der Landwirtschaft zugeht. Auf einem Hof in der niedersächsischen Tiefebene zwischen Hamburg und Bremen aufgewachsen, war es für Oetjen in der Jugend normal mit anzupacken. Melken, Strohpressen, Kühe umtreiben - damit kennt sich der heute 46-Jährige aus. Sein jüngerer Bruder führt den Familienbetrieb in achter Generation mittlerweile weiter und lässt den Politiker in der Familie gerne wissen, wenn er nicht zufrieden ist mit dem, was da "in Brüssel" wieder entschieden wurde. Außerhalb der EU-Hauptstadt werden Kompetenzen ja oft nicht so genau unterschieden.

Oetjen schaffte 2019 den Sprung nach Europa

Oetjen, seit 2019 EU-Abgeordneter, übernahm im Februar den Vizeposten im Europäischen Parlament von seiner liberalen Parteifreundin Nicola Beer, die zur Europäischen Investitionsbank wechselte. Von Beer übernahm er das Büro mit dem Blick auf die Place du Luxembourg und die Zuständigkeiten für Übersetzer- und Dolmetscherdienste im Europäischen Parlament sowie die Rolle als Sonderbeauftragter für die Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der Religion, die Antisemitismus einschließt.

Während seiner zehn Jahre im niedersächsischen Landtag hatte Oetjen gemerkt, dass bei seinen Schwerpunktthemen - Agrar und Migration - die wirklich wichtigen Entscheidungen in Brüssel fielen. Er war zu Zeiten der Syrien-Krise innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, hatte sich tief eingearbeitet. Als Gesine Meissner 2019 nicht mehr für das Europäische Parlament kandidierte, ergriff Oetjen die Gelegenheit und schaffte auf Listenplatz fünf der FDP den Sprung nach Europa.


„Wenn man vom Hof kommt, dann weiß man, was Arbeit ist.“
Jan-Christoph Oetjen

Geholfen hat ihm bei dem Wechsel seine Verbindung zu Frankreich. Mit 13 Jahren landete er bei einem Austausch mit der Partnerstadt Sainte-Foy-la-Grande in der Nähe von Bordeaux bei einer Gastfamilie, die weder Englisch noch Deutsch sprach. Bei einem weiteren Austausch lernte er später seine französische Frau kennen. Mit ihr und den beiden Töchtern, acht und 12 Jahre alt, lebt er in Brüssel.

Einigung auf Pakt für Migration für Oetjen ein "großer Fortschritt"

Sein Wirtschaftsstudium in Hannover hat Oetjen abgebrochen, als er mit 24 Jahren in den niedersächsischen Landtag gewählt wurde. "Zu früh", wie er heute sagt, weil er Berufserfahrung für positiv hält. Gleichzeitig hat er auf dem Hof der Eltern gelernt, wie es sich anfühlt, den Lebensunterhalt mit den eigenen Händen zu erwirtschaften: "Wenn man vom Hof kommt, dann weiß man, was Arbeit ist." Bevor er in der Kreisstadt Rotenburg den Ortsverein der FDP gründete, hatte sich Oetjen als Jugendlicher bei den Grünen umgesehen, doch das war nicht seine Welt. Bei der Jungen Union wurde viel gefeiert. "Die Partys waren gut, aber das war mir zu wenig", erinnert er sich.

Mehr zur Europawahl

Das Besucherzentrum des Europäischen Parlaments
Ortstermin in Brüssel: Europa im Parlamentarium erleben
Auf Reise durch Europa: Das Parlamentarium in Brüssel erklärt interaktiv die Aufgaben und Arbeitsweise der Europäischen Union und stellt spannende Europäer vor.
Tauziehen - zwei Paar Hände ziehen an den beiden Enden eines Seils
Gastkommentare: Soll der Kommissionspräsident direkt gewählt werden?
Einige Wähler haben nicht das Gefühl, dass ihre Stimme wirklich zählt. Am Schluss entscheiden andere über das Personal. Würde Direktwahl helfen? Ein Pro und Contra.
Collage der Spitzenkandidaten auf blauem Hintergrund
Kandidatur für Europawahl: Deutschlands Leute für Europa
Die großen Parteien schicken ihre politischen Schwergewichte ins Rennen um die Mehrheit im EU-Parlament. Die fünf Spitzenkandidaten im Porträt.

Im Europäischen Parlament hat sich Oetjen in der abgelaufenen Legislaturperiode erneut mit Migration beschäftigt, ein Thema, das die Fraktion bisher gespalten hat. Er wertet es als Erfolg, dass sich dort alle hinter sein Papier stellten. Dass sich Parlament und Mitgliedsstaaten nach jahrelanger Debatte auf einen Pakt für Migration geeinigt haben, sei ein großer Fortschritt.

Das späte Veto der FDP beim Verbrenner-Aus hält er für richtig: "Andere Länder blockieren genauso spät, darüber wird nur nicht berichtet." Für die FDP betreut Oetjen weiter die Landwirtschaft. Ob Bauern künftig wieder vor dem EU-Parlament demonstrieren werden, hänge davon ab, betont er, ob EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) ihre Versprechen auch in die Tat umsetzen werde.