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Parlamentarisches Profil : Der Offene: Alaa Alhamwi

Er bezeichnet sich selbst scherzhaft als "jüngsten Deutschen im Parlament". 2018 wurde Alaa Alhamwi eingebürgert, nun sitzt er im Bundestag und macht Energiepolitik.

22.05.2025
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6 Min

Es scheint nur weniges zu geben, das den unerschütterlich wirkenden Optimismus und Stolz des neu gewählten Abgeordneten Alaa Alhamwi erschüttert, aber dazu später mehr. "Ein Highlight in dieser Sitzungswoche ist die Aktuelle Stunde zu Hitze und Dürre", sagt er am Telefon. "Wir sehen ja die Trockenheit jeden Sommer. Wir müssen uns vorbereiten." Es ist Dienstagmittag. Alhamwi, 41, ist aus dem Nordwesten Deutschlands reisend in Berlin angekommen. 

Im syrischen Damaskus geboren, im Sommer 2018 die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten

Der Abgeordnete der Grünen ist der "jüngste Deutsche im Parlament", wie er scherzhaft meint: weil er im Sommer 2018 die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt.


„Die Wirtschaftsministerin lobbyiert für Öl und Gas, sie will irre Ansätze fördern.“
Alaa Alhamwi (Bündnis 90/Die Grünen)

Alhamwi ist Energieexperte, das wird auch einer seiner Schwerpunkte im Bundestag werden. "Ich bin wegen der Energiewende nach Deutschland gekommen", sagt der im syrischen Damaskus Geborene, "aber jetzt geht es mit der neuen Regierung in die falsche Richtung." Was meint er konkret? "Die Wirtschaftsministerin lobbyiert für Öl und Gas, sie will irre Ansätze fördern." Kritisch sieht er die Ankündigung von Katherina Reiche (CDU), das Betriebsverbot für bestimmte Heizkessel zurücknehmen zu wollen, "das wurde 2020 unter einer CDU-Regierung von einem CDU-Wirtschaftsminister eingesetzt". Oder die angedachten Gasimporte - "woher soll das Gas denn kommen, aus Fracking oder aus Russland?"

Alhamwi hat zur Optimierung städtischer Energiesysteme promoviert

In Aleppo hatte er ein Maschinenbaustudium begonnen, "2011 erlebte ich noch die ersten Demonstrationen gegen das Regime, marschierte auch mit." Einmal hätten ihn dabei Agenten des Geheimdienstes an die Hauswand gedrängt und ihn auf Waffen hin untersucht. "Dabei hatte ich nur meinen Laptop dabei." Es war die Zeit, in der er kein Wort Englisch oder Deutsch sprach, wegen seiner Leistungen aber Stipendienmöglichkeiten in Großbritannien und Kanada hatte; er entschied sich 2012 für Kairo und Kassel, wo er mit der Förderung des DAAD einen doppelten Master of Science (M.Sc.) in erneuerbaren Energien und Energieeffizienz absolvierte.

Foto: Fraktion Bündnis 90/Die Grünen/Stefan Kamniski

Alaa Alhamwi (Grüne) sitzt seit dieser Legislaturperiode für den Wahlkreis Oldenburg-Ammerland im Bundestag.

"Energiepolitisch zog mich Deutschland mit seiner eingeleiteten Wende magnetisch an", erinnert er sich. Seitdem lebt er in Oldenburg, trat 2014 den Grünen bei, weil: "Die haben bei Energiepolitik den klarsten Blick." 2018 promovierte er zur Optimierung städtischer Energiesysteme, arbeitete in Teilzeit als Postdoc für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

Neu im Bundestag und gleich als Schriftführer gemeldet

Als Alhamwi dann vor wenigen Wochen erstmals im Plenarsaal des Bundestags Platz nahm, habe er Ehre und Stolz gespürt, aber auch eine Erschöpfung. "Ich kriege Gänsehaut, während ich darüber rede." Sehr hart habe er in den vergangenen Jahren gearbeitet. Er sah im Plenarsaal die Leute, die herumliefen und riefen, die Architektur ("die Glaskuppel ist energietechnisch super, da kommt so viel Sonne durch") - "all meine Leidenschaft werde ich dafür geben, um das Grundgesetz hochzuhalten". Er habe sich im Bundestag gleich als Schriftführer gemeldet, "damit ich die Geschäftsordnung besser lerne. Keine Ahnung, warum dieser Parlamentsjob bei anderen Abgeordneten eher unbeliebt ist".

In Syrien war Alhamwi der erste in einer großen Familie, der studierte. Die Mutter Krankenschwester, der Vater Beamter - in seiner Verwandtschaft war akademische Bildung nicht Alltag, auch über Politik sprach man kaum. Doch Alhamwi scheint ein Macher zu sein, arbeitete neben dem Studium in zahlreichen Jobs, mal als Zeitungsausträger, mal als Müllsammler. Und begeisterte sich in jungen Jahren für nachhaltige Energien und Umweltschutz. Er sah mitunter selbst, dass in seiner Heimatstadt irgendwann die Frösche wegen der Trockenheit verschwanden und dass Migranten aus dem Nordosten Syriens in die Region kamen.

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In Oldenburg zog er in den Stadtrat ein, wurde 2023 Co-Landesvorsitzender der niedersächsischen Grünen. Dann der Bundestag.

Was auch dazu führt, dass sein Optimismus zuweilen kleine Risse kriegt. Er stockt einen Moment. "Rassismus ist leider Teil meines Alltags." Da waren die "Hau ab"-Rufe im Wahlkampf, Beschimpfungen. "Ich gebe alles, damit wir uns integrieren, aber eine gewisse Reserviertheit spürt man stets." Doch dann redet er weiter über Sonne, Wind und Strom.


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