
Wirtschaft und Energie : Reiches Strategie heißt Wachstum
Sinkende Strompreise, neue Freihandelsabkommen: Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche stellt ihren Plan vor, mit dem sie die Wirtschaftswende schaffen will.
Mit mehr Wirtschaftswachstum will die neue Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, Katherina Reiche (CDU), die "längste Krise in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" bekämpfen. Deutschland erlebe das dritte Jahr in der Rezession und stecke in einer strukturellen Krise, die an die Substanz gehe. "Ohne Wachstum verlieren wir die Mitte der Gesellschaft", warnte sie - und überließen diese “den Populisten von rechts und links, die mit vermeintlich einfachen Lösungen Stimmenfang machen”
„Vorschriften, Richtlinien und Berichtspflichten lähmen die Unternehmen.“
Reiche begann ihre Rede am Freitag im Bundestag mit einer ernüchternden Analyse zum Zustand des Industriestandorts Deutschland: "Deutschland steckt in einer historischen Wachstumskrise". Rezession, fehlendes Wirtschaftswachstum, Fachkräftemangel, steigende Arbeitslosigkeit, zunehmende Insolvenzen und Investitionsmangel aus dem Ausland - die Liste sei lang, aber neu sei sie nicht. Für ihre Wirtschaftsagenda der nächsten vier Jahre skizzierte Reiche vor allem mehr Wachstum.
Reiche kündigt pragmatische Energiepolitik an
Höchste Priorität habe dabei die Energiepolitik. Die Versorgungssicherheit und die Preisgestaltung seien entscheidend. Die Strompreise sollen pro Kilowattstunde um mindestens fünf Cent fallen. Für einige energieintensive Unternehmen ist ein Industriestrompreis vorgesehen. Die Ministerin will schnell den Weg frei machen für neue Gaskraftwerke, die ausgleichen sollen, wenn Erneuerbare nicht genug Energie liefern, und die auf Wasserstoff umgerüstet werden können. Dazu sollen mindestens 40 neue Kraftwerke - mit zusammen 20 Gigawatt Leistung - "ganz schnell" ausgeschrieben werden.
"Vorschriften, Richtlinien und Berichtspflichten lähmen die Unternehmen", so Reiche. "Wir müssen vereinfachen, straffen, streichen." Das deutsche Lieferkettengesetz soll gestrichen werden. Pflichten für Firmen daraus könnten sofort wegfallen. Zwei Jahre lang sollen von Unternehmen auch keine neuen Statistiken verlangt und alle bestehenden Pflichten überprüft werden. Dass der Bürokratieabbau und die Staatsmodernisierung erstmals ein eigenes Ministerium erhalten, begrüßte die Ministerin ausdrücklich.
Freihandelsabkommen sollen Wirtschaft resilienter machen
Reiche will den Außenhandel stärken und breiter aufstellen und sich für neue Freihandelsabkommen einsetzen. Vor allem in Zeiten geopolitischer Spannungen, instabiler Lieferketten und unsicherer Märkte sei das nötig. Deutschland brauche einen regelbasierten Welthandel - besonders mit den USA. Dafür solle Deutschland mit der Europäischen Union zusammen eine Lösung suchen.
Leif-Erik Holm (AfD) rief die Bundesregierung dazu auf, "den wirtschaftlichen Abstieg dieses Landes zu beenden". Die neue Wirtschaftsministerin übernehme "eine schwere Aufgabe". Der Koalitionsvertrag mache die Pläne Reiches zunichte, weil "die SPD die Union bei den Verhandlungen über den Tisch gezogen hat". Anstatt eine Abkehr von der grünen Transformationspolitik zu vollziehen, gehe es mit dem Verbrennerverbot, dem CO2-Preis und dem Aus der Atomkraft weiter.
Armand Zorn (SPD) widersprach dem vehement. Er versicherte, dass die Regierung von Union und SPD "Wirtschaftspolitik gestalten wird". Deshalb werde man "im großen Stil und zielgerichtet investieren", dazu stehe das Sondervermögen zur Verfügung. Zweitens werde man "die Bürokratie energisch abbauen und Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen". Außerdem werde man für "günstige Energiepreise kämpfen", dazu werde die Stromsteuer gesenkt und die Netzentgelte würden gedeckelt. Daneben stehe der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien.
Andreas Audretsch (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte Reiches Vorhaben, 40 Gaskraftwerke bauen zu wollen. "Dieser Gas-Boom" sei der falsche Weg. Er warnte davor, "Klimaschutz" und "Wirtschaftswachstum" gegeneinander auszuspielen. Die Automobilfirmen, die Chemie- und Stahlkonzerne hätten sich auf dem Weg gemacht, um auf klimaneutrale Produktion umzustellen. "Gehen Sie diesen Weg weiter", forderte Audretsch. Zudem warnte er vor einer neuen Debatte um Nord Stream 2 und langfristige Gaslieferverträge, das seien falsche Instrumente.
Linke will Industriebetriebe enteignen
Noch mehr Kritik kam von Janine Wissler (Die Linke). Sie warf der Bundesregierung vor, Arbeitnehmer und Arbeitnehmerrechte zu vernachlässigen. Bundeskanzler Merz habe in seiner Regierungserklärung verlangt, "dass den Menschen etwas abverlangt werden müsste". Doch das gelte offenbar nur für Arbeitnehmer, "weder Multimillionäre noch Großkonzerne wie Amazon" würden dazu aufgerufen, bemängelte Wissler.
Während Amazon Milliarden Euro Gewinne mache, bräuchten viele Erzieher, Pflegekräfte oder Busfahrerinnen einen Zweit- oder Drittjob, "um überhaupt über die Runden zu kommen". Wissler plädierte deshalb für die Enteignung großer Konzerne, dazu zählten auch jene aus dem Energiesektor.
"Enteignungen haben noch nie wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme gelöst", antwortete Sepp Müller (CDU). Das Gegenteil sei der Fall, wie die Geschichte gezeigt habe. Vielmehr müsse sich das Land zur sozialen Marktwirtschaft bekennen. Die neue Regierung wolle Vertrauen, Verlässlichkeit und Versorgungssicherheit. Arbeitgeber und Arbeitnehmersollten wieder nach vorne kommen. Verlässlichkeit wollten Union und SPD herstellen, damit es gelinge, die Vorhaben des Koalitionsvertrages umzusetzen. Müller warb für die Absenkung des Strompreises und für die Einführung eines Industriestrompreises.
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