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Parlamentarisches Profil : Die Aufholjägerin: Ines Schwerdtner

Parteichefin Ines Schwerdtner hat Die Linke mit aus der Krise geführt. Das Plenumsleben erinnert die Bundestag-Novizin ein bisschen ans Theater.

16.05.2025
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5 Min

Bei ihrer ersten Rede im Bundestag halfen ihr eine Stoppuhr und Jens Spahn. "Ich fand sie zuerst nicht", erinnert sich Ines Schwerdtner einige Stunden später mit Blick auf die im Rednerpult eingebauten roten Ziffern. Und dann setzte sich der frisch gewählte Unionsfraktionschef ihr gegenüber, und sie legte los. Es ist kurz vor zwölf, in einem Besprechungsraum des Jakob-Kaiser-Hauses nippt sie an einem Kaffeebecher; ein paar Minuten bleiben noch, dann erwartet sie hier eine Gruppe von Gewerkschafterinnen und Betriebsrätinnen. "Bei meiner Rede konnte ich dann Jens Spahn anschauen, das half der Konzentration."

Foto: Olaf Krostitz

Zusammen mit dem Co-Vorsitzenden Jan van Aken bildet Ines Schwerdtner ein erfolgreiches Duo an der Spitze der vor Kurzem noch totgesagten Partei.

Für Schwerdtner, direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises Berlin-Lichtenberg und Co-Vorsitzende der Linken, ist es der erste richtige Parlamentsalltag heute: Die Fraktion hat sich zusammen organisiert, die Infrastruktur in der neuen Legislatur steht nahezu, "ein paar Abgeordnete arbeiten wie ich noch in einem provisorischen Büro, ich werde bald umziehen". Gerade fehlten noch etwa Mappen und Briefumschläge. Wie fand sie das Plenumsleben? "Es kam mir ein wenig vor wie im Theater", sagt sie lächelnd. "Jeder klatscht, wann es sein muss. Und man schaut auf die Mienen." Das klingt nicht abwertend, eher reflektiv. Das scheint sie auszumachen. 

Schwerdtner redet bedächtig, aber nicht ausschweifend. Ruhig sortiert sie ihre Gedanken. Friedrich Merz jedenfalls brachte sie in seiner ersten Rede als Kanzler nicht auf die Barrikaden. "Ich fand sie überraschend langatmig. Entweder hatte er Kreide gegessen und wollte nach den turbulenten Wochen Demut zeigen - oder er spart sich das für später auf." Einen hohen Puls habe sie während der einstündigen Rede nicht gehabt.

Für Schwerdtner besteht das Leben nicht nur aus Händchenhalten

Die letzten Monate kann man für Schwerdtner auch als turbulent bezeichnen. Seit Oktober 2024 führt sie mit Jan van Aken die Linkspartei, begann mit ihr eine fulminante Aufholjagd und kehrte den negativen Umfragetrend im Bundestagswahlkampf in einen Triumph um. Viele sprachen da vom Erfolg der Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek. Weniger Leute dagegen erkannten, dass sich die Partei unter Schwerdtners Co-Führung neu aufstellte, Konflikte beiseitestellte und mit einer Graswurzelstrategie die Basis mobilisierte. Im Vorfeld ihrer Wahl hatte sie gefordert, es gehe darum, "revolutionäre Freundlichkeit" und Solidarität zu leben. Dass das Leben nicht nur aus Händchenhalten besteht, erzählten ihr die Brüche der frühen Neunziger, sie machten sie zu einem "Wendekind". 


„Ich spürte die Ungerechtigkeiten und wollte etwas dagegen unternehmen.“
Ines Schwerdtner (Die Linke)

Im sächsischen Werdau geboren, zog sie mit dreieinhalb Jahren nach Hamburg; ihre Eltern hatten in der Heimat ihre Jobs verloren, Schwerdtner wuchs in Harburg auf. "Die graue Platte dort war auch nicht schöner als die Platte im Osten." Glück habe sie mit der sozialdemokratisch geprägten Gesamtschule gehabt, die in ihr die Lust auf Bildung weckte. Daheim gab es kaum Bücher, Politik spielte im Leben ihrer Eltern eine untergeordnete Rolle - der Vater, ein Schiffskoch, wurde Gerichtsbeamter, und die Mutter, eine Spinnerin, ging in die Altenpflege.

Eine Zehnjährige, die Politiker-Bilder ausschneidet

Ihre Tochter jedenfalls begeisterte sich für Politik. Verfolgte als Zehnjährige die Bundestagsdebatten bei Phoenix, schnitt Politiker-Porträts aus der "Bild"-Zeitung aus. Sie merkte: Bildung ist eine Frage der Gerechtigkeit, bei der alle die gleichen Chancen erhalten sollten. Schwerdtner ergriff sie. Wurde Schulsprecherin, engagierte sich für Reformen.

Wenn Politiker über ihre Motive sprechen, warum sie mit einem politischen Engagement begannen, reden sie oft von der Faszination der Gestaltung, des Machens. Schwerdtner dagegen sagt: "Ich spürte die Ungerechtigkeiten und wollte etwas dagegen unternehmen."

Nach einem Master in Politischer Theorie und der Arbeit für sozialistische Zeitschriften, die sie leitete, dann also die volle Verantwortung in der Politik. Bei der ersten Rede übrigens halfen die Stoppuhr und Jens Spahn nur bedingt. "Ich überzog ein wenig, und irgendwann blickte ich hinauf zu den Zuschauern - um sie zu erreichen." Das sieht man im Bundestag selten.

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