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Dirk Wiese im Interview : "Ich sehe viele Gemeinsamkeiten"

Der SPD-Politiker Dirk Wiese über das Regieren mit knappen Mehrheiten und den Willen, wichtige Projekte noch vor der Sommerpause auf den Weg zu bringen.

16.05.2025
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5 Min

Herr Wiese, als Parlamentarischer Geschäftsführer haben Sie jetzt eine Schlüsselrolle für die Organisation der Parlamentsarbeit und damit auch für das Gelingen der Koalition. Mit wie viel Respekt gehen Sie diese Aufgabe an?

Dirk Wiese: Mit einem gehörigen Maß an Respekt tatsächlich. Es ist ein wichtiges Amt in den Fraktionen, insbesondere in den Regierungsfraktionen, gerade auch in einer Situation, in der wir als schwarz-rote Koalition nur noch eine Zwölf-Stimmen-Mehrheit haben. Ich weiß um die Verantwortung, und, ehrlich gesagt, freue ich mich auch auf die Aufgabe.

Foto: picture-alliance/photothek.de/Thomas Imo

Noch vor der Sommerpause müssten erste wichtige Entscheidungen fallen, drängt Wiese. Unter anderem über eine Verlängerung der Mietpreisbremse oder über Entlastungen bei den Energiepreisen.

Die weltpolitische wie die wirtschaftliche Lage ist schwierig, und die neue Koalition startet Umfragen zufolge nicht gerade mit einem großen Vertrauensvorschuss. Was sollte Ihrer Meinung nach jetzt vordringlich angepackt werden?

Dirk Wiese: Ich glaube, wir erleben einen grundsätzlichen Vertrauensverlust in politische Entscheidungen. Dazu haben auch die Streitereien in der Ampelkoalition, insbesondere von Grünen und FDP, beigetragen. Von daher sind wir uns als neue Koalition dieser Verantwortung sehr bewusst und werden uns den außen- und innenpolitischen Herausforderungen stellen. Das haben auch Bundeskanzler Friedrich Merz und Lars Klingbeil in ihren Antrittsreden im Bundestag gerade noch einmal deutlich gemacht. Und wir haben als Handlungsgrundlage einen guten Koalitionsvertrag. Jetzt ist es wichtig, sich an die Arbeit zu machen, erste Entscheidungen noch vor der Sommerpause auf den Weg zu bringen und den Bürgerinnen und Bürgern zu zeigen, dass wir entschlossen sind, diese Herausforderungen anzupacken.

Die vorangegangene Koalition ist ja auch mit guten Vorsätzen gestartet, hat aber dann anders geendet. Was macht Sie zuversichtlich, dass es diesmal besser wird?

Dirk Wiese: Ein wichtiger Punkt kann tatsächlich sein, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen aus vorangegangenen Großen Koalitionen schon kennen in unterschiedlichsten Funktionen. Wir haben einen zugespitzten Wahlkampf gesehen, aber danach, in den Sondierungsgesprächen und den Koalitionsgesprächen, ist auch Vertrauen erwachsen. Und das klare Votum der SPD-Mitglieder von 85 Prozent für den Koalitionsvertrag ist auch eine deutliche Unterstützung. Von daher bin ich zuversichtlich, weiß aber auch: Es wird nicht einfach, es wird sicher auch mal ruckeln. Aber die Bürgerinnen und Bürger haben die klare Erwartungshaltung, dass das jetzt funktioniert und wir liefern.


„Migration stärker steuern und ordnen, illegale Migration zurückdrängen, aber gleichzeitig offen sein und ein Einwanderungsland bleiben.“
Dirk Wiese (SPD)

Es hat ja auch schon geruckelt mit dem Vorstoß der neuen Arbeitsministerin Bärbel Bas zur Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung und der prompten Ablehnung durch den Koalitionspartner. Geht es nicht doch schon wieder los?

Dirk Wiese: Nein, das würde ich nicht sagen. Mitunter wird das auch herbeigeschrieben. Wir haben als Koalition vereinbart, eine Reform der Sozialversicherungssysteme vorzunehmen. An dem Punkt muss man natürlich auch die Frage stellen, ob die Einzahlerbasis verbreitert wird. Und dazu hat die zuständige Ministerin Stellung genommen. Das ist auch ihre Aufgabe. Nehmen wir mal die Beamten beiseite und stellen uns einfach mal die Frage, warum nicht auch Bundestagsabgeordnete in die Rentenversicherung einzahlen oder auch Solo-Selbstständige und Selbstständige, die vielleicht in ihrem Berufsleben nicht vorgesorgt haben, das vielleicht nicht im Blick hatten oder nicht vorsorgen konnten. Wenn die dann in das Alter kommen, muss sowieso der Steuerzahler einspringen. Die Diskussion kann man durchaus führen, und man sollte sie mit etwas Gelassenheit führen. Zumal über die Reform der Sozialversicherungssysteme zu sprechen, sie zukunftsfähig zu machen, eine klare Verabredung im Koalitionsvertrag ist.

Nun gibt es auch bei anderen Themen schon, gelinde gesagt, unterschiedliche Akzente, zum Beispiel zum Lieferkettengesetz. Hätte man sich bei den Koalitionsverhandlungen mehr Zeit lassen und detailliertere Verabredungen treffen müssen?

Dirk Wiese: Ich finde, wir haben einen guten Koalitionsvertrag. Thorsten Frei, der Chef des Kanzleramtes, hat gerade in dieser Woche bei der Regierungsbefragung deutlich gemacht, dass wir das deutsche Lieferkettengesetz abschaffen wollen, weil es die Unternehmen wirklich belastet und bei diesen ganzen Berichtspflichten zurecht die Frage gestellt wird, wer das eigentlich liest. Aber er hat auch klar gesagt, dass wir uns als Bundesregierung dafür einsetzen wollen, dass auf europäischer Ebene ein handhabbares und bürokratiearmes Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht wird. Das ist im Koalitionsvertrag vereinbart und dahinter wollen wir uns versammeln. Von daher: Es wird schon wieder geguckt, wo gibt es Meinungsverschiedenheiten, wo gibt es Streitereien. Ich sehe aber ehrlicherweise viele Gemeinsamkeiten und den Willen, wichtige Projekte vor der Sommerpause auf den Weg zu bringen

Foto: Thomas Koehler/photothek.de
Dirk Wiese (SPD)
ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Der Jurist aus Brilon war zuletzt Co-Sprecher der Landesgruppe NRW in seiner Fraktion und Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium. Seit Mai 2025 ist Wiese Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag.
Foto: Thomas Koehler/photothek.de

Sie haben das klare Votum der SPD-Mitglieder schon angesprochen. Aber gerade in der Migrationspolitik dürften viele Sozialdemokraten nur mit der Faust in der Tasche zugestimmt haben. Könnte hier nicht früher oder später doch noch ein echter Konflikt aufbrechen?

Dirk Wiese: Es waren keine leichten Gespräche mit CDU und CSU in den Koalitionsverhandlungen zu diesem Kapitel. Das ist gar keine Frage, weil das Thema auch im Wahlkampf sehr polarisiert hat. Ich glaube, uns ist es als Koalition gelungen, von den Schwarz-Weiß-Debatten wegzukommen. Und das ist wichtig, denn: Ja, wir haben Herausforderungen, ja, wir wollen beide, SPD und Union, die irreguläre Migration zurückdrängen. Aber wir wollen auch ein weltoffenes Land bleiben, weil wir Zuwanderung von Fach- und Arbeitskräften in den nächsten Jahren brauchen - und zwar händeringend. Darauf sind wir angewiesen, um diesen Wirtschaftsstandort erfolgreich zu halten. Gerade bei den demografischen Herausforderungen müssen wir diesen Spagat hinbekommen: Migration stärker steuern und ordnen, illegale Migration zurückdrängen, aber gleichzeitig offen sein und ein Einwanderungsland bleiben. Und wir werden einen vernünftigen Spagat hinkriegen, da bin ich sehr sicher.

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Es gibt jetzt eine relativ lange Zeit ohne Landtagswahlen bis nächsten März. Liegt darin eine Chance, innerhalb der Koalition noch strittige Themen zu einer Einigung zu bringen?

Dirk Wiese: Ach, das ist unerheblich. Es gibt immer eine Wahl, wir haben im September schon wieder Kommunalwahlen im größten Bundesland, in Nordrhein-Westfalen. Wichtig ist jetzt voranzukommen, erste wichtige Entscheidungen noch vor der Sommerpause auf den Weg zu bringen, insbesondere die Verlängerung der Mietpreisbremse, die Investitionsbooster für Unternehmen oder auch die Entlastungen bei den Energiepreisen, die Deckelung der Netzentgelte. Wenn wir diese Vorhaben auf den Weg bringen, und wenn wir die Haushalte für 2025 und 2026 in diesem Jahr verabschieden, dann werden die Bürgerinnen und Bürger sehen: Wir packen an, wir sind am Ball, wir gehen die Dinge an, die ihr Leben spürbar einfacher und besser machen.

In den Fraktionen ist derzeit die Vorbereitung der Ausschussarbeit in vollem Gange. Sollten, anders als bisher, auch AfD-Abgeordnete zu Ausschussvorsitzenden gewählt werden, befürchten Sie nun, dass es in dieser Frage zu uneinheitlichem Abstimmungsverhalten der Koalitionspartner kommen könnte?

Dirk Wiese: Nein. Die Koalition stimmt zusammen ab.

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