Piwik Webtracking Image

Gesetz für faire Arbeitsbedingungen : Bund soll nur noch Unternehmen mit Tarifbindung beauftragen

Mit dem Tariftreuegesetz soll der sinkenden Tarifbindung begegnet werden. Grüne und Linke kritisieren zu niedrige Schwellenwerte, die AfD ein Bürokratiemonster.

10.10.2025
True 2025-10-10T17:17:17.7200Z
4 Min

Es ist nicht so, als hätten vergangene Bundesregierungen nichts versucht. Die Tarifbindung, ein Garant für gute Arbeitsbedingungen und anständige Löhne, sinkt in Deutschland seit Jahren deutlich. Nicht in allen Regionen gleichermaßen und auch nicht in allen Branchen auf dieselbe Weise. Aber die Tatsache, dass in absoluten Zahlen immer weniger Beschäftigte zu Bedingungen eines Tarifvertrages arbeiten, alarmiert Sozialpolitiker schon lange. 

Foto: picture-alliance/ dpa

Blick in das Innere des Bundespräsidialamtes in Berlin. Ab 2026 wird dieser Anbau und das Schloss Bellevue, Sitz des Bundespräsidenten, komplett saniert. Das Tariftreuegesetz kommt für diese Auftragsvergabe aber zu spät.

Die Liste der parlamentarischen Initiativen ist dementsprechend lang und am Freitag um einen weiteren Punkt ergänzt worden. Dieser wäre bei erfolgreicher Umsetzung allerdings sehr folgenreich für die deutsche Tariflandschaft - so jedenfalls erhofft es sich die Bundesregierung und hier vor allem die SPD, deren Herzensanliegen das Tariftreuegesetz schon lange ist.

Gesetz soll Dumpinglöhne als Wettbewerbsvorteil künftig verhindern

Der Entwurf der Bundesregierung für ein Tariftreuegesetz sieht nun vor, dass öffentliche Aufträge des Bundes künftig nur noch an Unternehmen mit Tarifbindung vergeben werden. Warum die Regierung ein solches Gesetz für nötig hält, erläutert sie im Entwurf so: Die autonome Ordnung des Arbeitslebens durch Tarifvertragsparteien sei trotz Änderungen am Tarifautonomiestärkungsgesetz, Tarifvertragsgesetz und am Mindestlohngesetz weiter zurückgegangen. Dazu beigetragen habe auch der Umstand, dass nicht tarifgebundene Unternehmen bisher grundsätzlich bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen gegenüber tarifgebundenen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil hätten. 

"Wer keine tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen gewährt, kann aufgrund geringerer Personalkosten Angebote zu günstigeren Konditionen erstellen. Das Vermeiden tariflicher Arbeitsbedingungen korrespondiert daher grundsätzlich mit der Möglichkeit, kompetitivere Angebote im Vergabeverfahren abzugeben. Dies gilt insbesondere für Lohnkostenvorteile durch untertarifliche Vergütung", führt die Regierung weiter aus.


Ricarda Lang im Portrait
Foto: Stefan Kaminski
„Es ist komplett unverständlich, Aufträge an die Rüstungsindustrie aus dem Geltungsbereich rauszunehmen.“
Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen)

Mit dem Gesetz sollen die Nachteile tarifgebundener Unternehmen im Wettbewerb um öffentliche Aufträge und Konzessionen des Bundes beseitigt und der Verdrängungswettbewerb über die Lohn- und Personalkosten eingeschränkt werden. Unternehmen sollen ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern künftig, wenn sie öffentliche Aufträge und Konzessionen des Bundes ausführen, tarifvertragliche Arbeitsbedingungen gewähren müssen. Während Arbeitgebervertreter gegen das Projekt schon Sturm laufen, ähnlich wie beim Mindestlohngesetz, fordern Gewerkschaften, dass es nicht nur in der Theorie gut klinge.

Tariftreuegesetz soll laut Koalition so bürokratiearm wie möglich werden

Bärbel Bas (SPD), Bundesministerin für Arbeit und Soziales, betonte in der Debatte, der Bund nehme 500 Milliarden Euro für eine Modernisierung des Landes in die Hand, das schaffe Jobs und dafür brauche es anständige Arbeitsbedingungen. "Es geht um transparente und faire Verfahren und dazu gehört, dass wir mit Steuergeld kein Lohndumping betreiben." Sie versprach, das Gesetz solle "so bürokratiearm wie möglich" umgesetzt werden. So sollen sich Unternehmen von vornherein zertifizieren lassen können, um nicht bei jedem Auftrag ein neues Verfahren durchlaufen zu müssen.

Wilfried Oellers (CDU) sprach gar vom Ziel des "minimalistischen Bürokratieaufwands". Dazu gehöre unter anderem, "dass der Staat zunächst auf die Informationen, die er schon hat, wie Beitragszahlungen zur Rentenversicherung, zurückgreift, bevor die Unternehmen Belege einreichen müssen".

SPD: Trend der sinkenden Tarifbindung umkehren

Dagmar Schmidt stellte für die SPD-Fraktion klar: Tarifverträge dürften nicht nur Thema in Sonntagsreden sein, “denn sie sind das Rückgrat für gute Arbeit in unserem Land. Wir zeigen mit dem Gesetz, dass wir die Alarmsignale ernst nehmen. Denn wir müssen den Trend der sinkenden Tarifbindung umkehren.”

Sinn, Zweck und Verbreitung von Tarifverträgen

📑 Tarifverträge regeln Bezahlung, Arbeitszeiten und weitere Arbeitsbedingungen. Für Beschäftigte in Betrieben mit Tarifbindung gelten Mindeststandards, allerdings ermöglichen Branchentarifverträge auch zahlreiche Öffnungsklauseln.

📉 Besonders niedrig ist die Tarifbindung von Unternehmen in den ostdeutschen Bundesländern: Sie galt dort 2024 für 42 Prozent der Arbeitnehmer (1998: 63 Prozent); in den westdeutschen Bundesländern haben 50 Prozent der Arbeitnehmer zu Bedingungen eines Tarifvertrages gearbeitet (1998: 76 Prozent).

📊 Die Tarifbindung unterscheidet sich stark nach Wirtschaftszweigen. In Branchen mit starker gewerkschaftlicher Organisation liegt sie deutlich über dem Durchschnitt: Im Öffentlichen Dienst bei 98 Prozent; in den Bereichen Finanz- und Versicherungsdienstleistungen sowie Erziehung bei 72 Prozent. Im Bereich Information und Kommunikation liegt sie dagegen nur bei 14 Prozent.



Hans-Jürgen Goßner (AfD) ließ dagegen kein gutes Haar an dem Vorhaben. Es sei ein Paradebeispiel der Bürokratiepolitik, das "Betriebe gängelt und Beamtenstellen sichert". Die Bundesregierung rede von Fairness, meine aber Misstrauen, so Goßner. Sein Fazit: “Das Gesetz ist ein Anschlag auf die Freiheit des Unternehmers und die Vernunft. Die Leidtragenden sind die kleineren mittelständischen Betriebe.”

Richarda Lang (Grüne) griff die AfD-Fraktion daraufhin scharf an: "Sie hetzen hier gegen die Rechte der Arbeitnehmer und inszenieren sich dann im Wahlkreis als Partei des kleinen Mannes." Sie begrüßte den Entwurf, aber dieser habe noch "einige Lücken", so Lang. Sie kritisierte unter anderem den Schwellwert von 50.000 Euro als viel zu hoch. Dadurch würden 30 Prozent aller Aufträge aus dem Gesetz herausfallen. Außerdem sei es komplett unverständlich, Aufträge der Bundeswehr aus dem Geltungsbereich rauszunehmen.

Tarifverträge gelten nur noch für 49 Prozent der Beschäftigten

Das Gesetz dürfe nicht nur gut klingen, sondern müsse in der Praxis wirken, betonte Pascal Meiser (Die Linke). Auch er kritisierte die festgelegten Schwellenwerte und nannte es "absurd", dass Aufträge an die Rüstungsindustrie ausgenommen sind. Meiser mahnte außerdem an, der geplanten Kontrollstelle mehr Spielraum zu geben und verdachtsunabhängige Kontrollen einzuführen.

Nach neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes war im vergangenen Jahr nur noch für 49 Prozent der Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis durch einen Tarifvertrag geregelt. 1998 galt das noch für rund 75 Prozent. Besonders niedrig ist die Quote seit 1990 in Ostdeutschland, weshalb hier auch das Arbeiten zum Niedriglohn deutlich verbreiteter ist als in den westdeutschen Ländern und damit auch das Problem der Altersarmut.

Eine wichtige Rolle für die Tarifbindung spielt die Größe des Betriebes - mit der Mitarbeiterzahl steigt auch die Tarifbindung. So sind in Firmen mit 10 bis 20 Mitarbeitern maximal 29 Prozent durch einen Tarifvertrag abgedeckt. In Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten sind dagegen 74 Prozent unter Branchentarifvertrag angestellt. Und auch differenziert nach Branchen gibt es eine mehr oder weniger starke Tarifbindung.

Mehr zum Thema

Jobcenter in Berlin Lichtenberg
Arbeitsmarkt und Sozialpolitik: Bas kündigt zwei Kommissionen zu Rente und Sozialstaat an
Die Koalitionsfraktionen bemühen sich in der Debatte über die Arbeits- und Sozialpolitik, ihren Dissens zur Zukunft von Rente und Mindestlohn nicht zu vertiefen.
Illustration einer Taschenuhr.
Debatte um Arbeitszeiten: Linke fordert Erhalt des Acht-Stunden-Tages
In der Debatte über den Antrag zum Acht-Stunden-Tag kommt Rückenwind von den Grünen. Die Koalition verteidigt ihre Pläne von einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit.