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Gastkommentare : Löst die Aktivrente das Fachkräfteproblem? Ein Pro und Contra

Taugt die Aktivrente zur Eindämmung des Fachkräftemangels? Gastkommentator Thomas Sigmund sieht darin einen konstruktiven Ansatz, Wolfgang Mulke hält dagegen.

14.11.2025
True 2025-11-14T09:06:15.3600Z
3 Min

Die Aktivrente ist ein konstruktiver Ansatz gegen den Fachkräftemangel

Foto: Privat
Thomas Sigmund
ist Leiter des "Handelsblatt"-Meinungsressorts.
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In Deutschland haben wir eine seltsame Autoimmunreaktion gegen alles, was gut und konstruktiv ist. Kaum wird ein Ansatz vorgestellt, der den Fachkräftemangel mildern und erfahrene Arbeitnehmer länger im Berufsleben halten könnte, beginnt das große Kleinreden. Die Aktivrente, die es Rentnern ermöglichen würde, bis zu 2.000 Euro monatlich steuerfrei hinzuzuverdienen, ist ein solcher Ansatz. Natürlich warnen die einen vor Bürokratie, andere vor sozialen Ungerechtigkeiten oder einer "Belastung des Arbeitsmarktes". Und ja, nicht jeder erfahrene Arbeitnehmer wird weitermachen wollen, und das muss auch niemand.

Aber ist das ein Grund, gar nicht erst anzufangen? Laut einer Studie von The Stepstone Group könnte Deutschland durch freiwillige Weiterbeschäftigung Älterer bis zu 570.000 Vollzeitäquivalente pro Jahr gewinnen - ein wirtschaftliches Potenzial von bis zu 28 Milliarden Euro jährlich. Im Schnitt wollen sie freiwillig vier Jahre länger im Job bleiben und 24 Wochenstunden arbeiten.

Gerade kleinere und mittlere Unternehmen kämpfen täglich darum, erfahrene Kräfte zu halten. Viele erzählen, wie sehr sie die älteren Mitarbeitenden brauchen, um Wissen zu sichern und Teams zu stabilisieren. Die Aktivrente könnte hier ein wertvoller Baustein sein.

Statt reflexartig alles zu kritisieren, sollten wir uns wieder ins Gelingen verlieben. Es geht darum, kleine Schritte auszuprobieren. Natürlich wäre eine große Rentenreform besser oder gar der ganz große Zustrom von Fachkräften aus dem Ausland. Darauf müssen wir aber noch leider lange warten. Vielleicht entdecken wir ja, dass konstruktive Ansätze wie die Aktivrente gegen den Fachkräftemangel gar nicht so kompliziert sind, wenn wir aufhören, alles im Vorfeld kleinzureden.

Contra

Der Vorschlag geht an den tatsächlichen Problemen der Alterssicherung vorbei

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Wolfgang Mulke
arbeitet als freier Journalist in Berlin.
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Die Einführung der Aktivrente ist seitens der Bundesregierung mit unrealistischen Erwartungen verknüpft. Der kostspielige Steuernachlass soll dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Diese Hoffnung verkennt die in Studien längst gewonnenen Erkenntnisse. Freiwillig im Beruf bleiben demnach vor allem Unternehmer und Selbständige. Wenn Arbeitnehmer regulär weiterarbeiten, ist das vielfach keine Frage des Verdienstes. Den Beschäftigten geht es eher um den Erhalt sozialer Kontakte, den Spaß an ihrer Tätigkeit oder vielleicht auch um fehlende anderweitige Perspektiven.

Auch erscheint das Interesse von Unternehmen an der Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer eher gering. Deren Suche nach einem neuen Job ist zumeist eine zähe Angelegenheit, weil die Betriebe doch lieber junge Bewerber anheuern. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft hier bei den Arbeitgebern noch eine große Lücke.

Schließlich fehlen Fachkräfte vor allem in solchen Branchen, in denen auch körperlich hart gearbeitet wird. Es fehlt etwa Pflegepersonal, es gibt zu wenig Nachwuchs im Handwerk. In diesen Berufen ist der Verschleiß so groß, dass eine Tätigkeit über das Rentenalter hinaus im gleichen Beruf in aller Regel gar nicht mehr machbar ist.

Möglich ist das längere Arbeiten vor allem in Berufen, die vergleichsweise lange ausgeübt werden können. Darin finden sich in der Regel gut qualifizierte und entsprechend gut bezahlte Beschäftigte. Deren Altersversorgung wiederum ist meist schon so auskömmlich, dass ein Steueranreiz kein entscheidendes Motiv für einen Verbleib im Job bietet.

Konsequenter wären politische Entscheidungen über das künftige Renteneintrittsalter und die Armutssicherung für jene, die nicht bis zur Altersgrenze durchhalten können. An den tatsächlichen Problemen der Alterssicherung setzt die Aktivrente leider nicht an.

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