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Foto: picture alliance / Hans Lucas
Die Frankreich-Zentrale von Microsoft bei Paris: Viele europäische Regierungen und auch die EU-Kommission wollen ihre digitale Abhängigkeit von dem Software-Riesen reduzieren.

Im Schatten der Tech-Giganten : Europas Ringen um Unabhängigkeit

Digitale Souveränität ist ein oft zu hörendes Schlagwort in Deutschland und der EU. Wie weit ist das viele Facetten aufweisende Großprojekt gediehen?

31.07.2025
True 2025-08-01T13:58:11.7200Z
4 Min

Für viele, die für die Verfügbarkeit von IT- und Kommunikationsinfrastrukturen verantwortlich sind, war es ein Weckruf: Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, musste im Februar feststellen, dass er nicht mehr auf sein Microsoft-basiertes E-Mail-Konto zugreifen konnte. Die Blockade der E-Post des Briten soll mit Sanktionen zusammenhängen, die US-Präsident Donald Trump gegen das Den Haager Tribunal verhängte. Khan sah sich deswegen gezwungen, zum Schweizer E-Mail-Anbieter Proton zu wechseln.

Die Open Source Business Alliance (OSBA) zeigte sich nach Bekanntwerden der Sperre verstört über die Hilfssheriffdienste von US-Unternehmen. Sie hält das Vorgehen von Microsoft "in diesem Kontext und dieser Auswirkung" für "beispiellos". Die umgesetzten Sanktionen zeigten: "Wir können uns nicht auf Unternehmen verlassen, die nicht unter unserer Jurisdiktion stehen." Da half es nichts, dass Microsofts Präsident Brad Smith Anfang Juni betonte, die ergriffenen Maßnahmen hätten "in keiner Weise die Einstellung der Dienste für den IStGH" umfasst.

Abhängigkeit von US-amerikanischen Tech-Konzernen bleibt Brennpunkt

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Die so erneut demonstrierte Abhängigkeit von US-amerikanischen Tech-Konzernen ist im digitalen Zeitalter ein zentraler Brennpunkt für Deutschland und Europa. Von der Cloud-Infrastruktur bis zu weit verbreiteten Betriebssystemen und Anwendungen dominieren wenige globale Player den Markt.

Wirtschaftsprüfer von PwC schlugen schon 2019 in einer Studie für das Bundesinnenministerium  Alarm: Im Softwarebereich führt ihnen zufolge vor allem die Abhängigkeit von Microsoft-Produkten "zu Schmerzpunkten bei der Bundesverwaltung, die im Widerspruch zu den strategischen Zielen der IT des Bundes stehen". Als kritisch empfanden die befragten Anwender und Strategen die eingeschränkte Informationssicherheit und rechtliche Grauzonen etwa beim Datenschutz. Die Auseinandersetzung über Cloud-Verträge der öffentlichen Hand auf Bundes- und Länderebene läuft mindestens genauso lange.

Experten mahnen zur Entwicklung eigener Schlüsseltechnologien

Nötig sind laut der OSBA "dringend Alternativen, die wir kontrollieren und gestalten können". Der Verband sieht die Bundesregierung gefordert, dies mit Hochdruck umzusetzen. Das schwarz-rote Bündnis hat im Koalitionsvertrag festgehalten: "Unsere Digitalpolitik ist ausgerichtet auf Souveränität." Dabei gehe es um "Machtpolitik". Gefragt sei ein "digital souveränes Deutschland". Neben Kanzler Friedrich Merz unterstrich Digitalminister Karsten Wildberger (beide CDU) wiederholt diesen Aspekt. Die Exekutive bekennt sich auch zur Stärkung der Open-Source-Gemeinschaft, zum Aufbau vertrauenswürdiger Cloud-Infrastrukturen und zum Reduzieren von Abhängigkeiten. Die Verwaltung soll eine Vorreiterrolle beim Einsatz freier Software und offener Standards einnehmen.


„Im Durchschnitt hat jeder EU-Bürger 329 Euro für Lizenz- und Cloudzahlungen an Big Tech in 2024 geleistet.“
Informatikprofessor Harald Wehnes

Auf europäischer Ebene ist digitale Souveränität ein Eckpfeiler der strategischen Autonomie. Die EU-Kommission hat klare Ziele formuliert: Die Gemeinschaft soll nicht nur ein attraktiver Markt sein, sondern auch die Fähigkeit besitzen, eigene digitale Infrastrukturen und Schlüsseltechnologien zu entwickeln und zu kontrollieren. Dies geht Hand in Hand mit dem Ziel der Datensouveränität und fairen Wettbewerbsbedingungen.

Großprojekte sollen diese Ambitionen greifbar machen. Das europäische IT-Großprojekt Gaia-X hat sich vorgenommen, ein föderiertes, interoperables Daten- und Cloud-Ökosystem auf Basis europäischer Werte zu schaffen. Schatten fielen auf das Vorhaben, als bekannt wurde, dass auch US-amerikanische und chinesische Cloud-Größen wie Amazon, Alibaba, Google und Microsoft sowie die eng mit US-Geheimdiensten kooperierende Big-Data-Firma Palantir von Anfang an mitmischten. Mitte Juli sagte der CISPE-Verband europäischer Cloudanbieter aber zu, bis November rund 3.000 europäische Infrastrukturdienste in den Rechnerwolken verfügbar zu machen, die den Gaia-X-Anforderungen entsprechen.

Die EU-Kommission überlegt derweil dem Vernehmen nach, ihre Cloud-Dienste von Microsoft Azure zur französischen Firma OVHcloud oder einem anderen europäischen Anbieter zu verlagern. Ein solcher Schritt wäre ein Rückschlag für den Tech-Giganten. Microsoft versucht seit Monaten, seine europäischen Kunden zu beruhigen.

Kaum Fortschritte beim Etablieren alternativer IT-Infrastrukturen

Das Prinzip, Institutionen mehr Kontrolle über ihre digitale Infrastruktur und Daten zu geben, steht auch im Zentrum der EuroStack-Initiative. Die EU soll demnach Milliarden in gemeinsame IT-Plattformen, Datenräume, Standards und koordinierte Strategien investieren und sich ein "Europa zuerst"-Mandat zu eigen machen. 

Digitalminister Wildberger hat sich in diesem Sinne auch für einen DeutschlandStack ausgesprochen. Dieser soll eine offene, modulare und sichere IT-Plattform für die öffentliche Hand bereitstellen. Ziel auch hier: von proprietären Lösungen wegkommen.

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Trotz vieler Ankündigungen sind Fortschritte beim Etablieren alternativer IT-Infrastrukturen rar. Schleswig-Holstein treibt zwar den flächendeckenden Einsatz von Open Source voran. Ferner stellt das Zentrum für digitale Souveränität der öffentlichen Verwaltung (Zendis) das cloudbasierte OpenDesk für die Verwaltung als direkt einsetzbare Lösung bereit. Es gilt als Alternative für das Office-Paket Microsoft 365. Nutzer und Nachahmer finden sich aber noch recht wenige. Gründe sind etwa die Dominanz etablierter Akteure, Fragmentierung und fehlende Koordination, kulturelle und psychologische Barrieren sowie befristete Förderprogramme.

Experte: Alternativen zu Monopolprodukten sind da, politisches Handeln fehlt noch

Die aktuelle Monopolsituation am digitalen Markt ist auch eine Kostenfrage. "Im Durchschnitt hat jeder EU-Bürger 329 Euro für Lizenz- und Cloudzahlungen an Big Tech in 2024 geleistet", erklärt Informatikprofessor Harald Wehnes. Die Folge seien rasant steigende IT-Ausgaben, Verteilungskämpfe und gigantische Schulden. 

Dabei gebe es viele Alternativen zu Monopolprodukten wie Linux, Firefox, Nextcloud, Libre Office oder Open-Xchange. Der flächendeckende Einsatz von OpenDesk in der Verwaltung biete zudem enorme Einsparpotenziale. Auch europäische datenschutzkonforme Cloud-Anbieter gebe es viele. Nötig sei daher "mutiges politisches Handeln": Digitale Souveränität müsse "als Staatsaufgabe verantwortungsbewusst wahrgenommen", das IT-Einkaufsverhalten geändert werden.

Der Autor arbeitet als freier Journalist in Berlin.