
Hohe Erwartungen, neues Mindset : Start-up-Rhetorik trifft auf Behördenrealität
Digitalminister Wildberger will Deutschland digitalisieren und verspricht Tempo, Veränderung, Innovation – doch das neue Ministerium startet ohne eigenen Haushalt.
Der neue Digitalminister Karsten Wildberger (CDU) hat sein Ministerium mehrfach öffentlich für dessen Start-up-Mentalität gelobt und sich bei allen an der Digitalisierung beteiligten Akteuren in Bund und Ländern für "die große Unterstützung" bedankt. Das tat er auch in der Haushaltsdebatte zum Etat des Bundesministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS) am Donnerstagabend wieder. Nicht ohne Grund, denn der ehemalige Manager aus der Wirtschaft will "den Staat neu denken" und eine neue, lernende Arbeitsweise etablieren. Mithilfe von Testregionen in einzelnen Bundesländern soll künftig mehr ausprobiert werden auf der ihm übertragenen Mission, Verwaltung und Staatsapparat zu modernisieren.
Minister kündigt Modernisierungsagenda noch in diesem Jahr an
Noch in diesem Jahr wolle er konkrete Vorschläge für eine "Modernisierungsagenda der Bundesverwaltung" vorlegen, kündigte Wildberger an. Der Politik-Neuling will ins Machen kommen: Entscheidend sei, was bei den Bürgerinnen und Bürgern ankomme, skizzierte Wildberger seine Vision für ein modernes und digitales "Next Germany".

Spricht von einer "großen Unterstützung" aus den anderen Ressorts der Bundesregierung bei der Querschnittsaufgabe Digitalisierung: Minister Karsten Wildberger (Mitte).
Der Aufbau seines neuen Hauses und die Umbauarbeiten bei den Zuständigkeiten der ehemaligen Ressorts mit ihren jeweiligen Geldtöpfen zum ersten echten Digitalministerium verlangen einiges an Kraftanstrengung. Nebenbei muss Wildberger definieren, welche Punkte auf der Digitalisierungsagenda für die Bundesrepublik Priorität haben. Die Liste der Wünsche ist lang, die Erwartungen vieler Akteure sind hoch: Es gilt voranzukommen bei den digitalen Infrastrukturen, bei Regulierungsfragen, Cybersicherheit, digitaler Souveränität und den digitalen Schnittstellen des Staates mit den Bürgern.
Dazu passt, dass es zwar bereits eine Nummer für den Etatansatz des BMDS (die 24) gibt, einen eigenen Einzelplan sucht man im Regierungsentwurf für den Haushalt 2025 allerdings vergeblich. Die Haushaltsposten finden sich noch in anderen Etats sowie im Wirtschaftsplan des neuen Sondervermögens Infrastruktur und Klimaneutralität. "Ein echter Möglichmacher", wie Wildberger das Sondervermögen in der Debatte nennt.
Grüne kritisieren Kürzungen bei Zukunftstechnologien wie KI
Im laufenden Jahr können Wildberger und seine Mitarbeiter, die aus sechs anderen Häusern kommen, mit ähnlich hohen Mitteln für die digitalpolitischen Vorhaben rechnen wie im Vorjahr. Der flächendeckende Breitbandausbau bleibt der Ausgabenschwerpunkt: Dafür sind im Wirtschaftsplan des neuen Sondervermögens 2,93 Milliarden Euro vorgesehen, für den Mobilfunkausbau sind 366,8 Millionen Euro veranschlagt. Im Bereich der Digitalisierung der Verwaltung, einer der neuen Zuständigkeiten, stehen im Wirtschaftsplan für das europäische Identitätsökosystem rund 131 Millionen Euro zur Verfügung, für das Bürgerkonto und die Infrastruktur sind 243 Millionen Euro veranschlagt. Dazu kommen 263 Millionen Euro für die Modernisierung der Registerlandschaft sowie 45 Millionen Euro für Transformation und IT-Dienstleistungen.
Im bisher für digitalpolitische Projekte relevanten Kapitel 1204 ("Digitale Infrastruktur") des Bundesverkehrsministeriums (vormals: Bundesministerium für Digitales und Verkehr) stehen laut Regierungsentwurf noch 213 Millionen Euro (2024 Soll: 2,31 Milliarden Euro) für den Ausbau digitaler Infrastrukturen zur Verfügung. Die Zuweisungen und Zuschüsse sinken hier überwiegend.

„Der Bedarf für Europas Unabhängigkeit war nie größer als heute. An Europas Souveränität darf nicht gespart werden.“
Das monierte unter anderem die Grünen-Politikerin Ricarda Lang: Mit dem Sondervermögen habe Schwarz-Rot die besten Bedingungen, um in Zukunftstechnologien zu investieren und zu verhindern, dass Europa abgehängt werde. "Umso verwundernder" sei es, wenn mit der Begründung, der Bedarf sei geringer, bei der Künstlichen Intelligenz gekürzt werde. "Der Bedarf für Europas Unabhängigkeit war nie größer als heute. An Europas Souveränität darf nicht gespart werden", sagte Lang mit Blick auf die Marktmacht von Big Tech. Scharf kritisierte sie, dass Transparenzpflichten der Regierung und die Informationsrechte des Parlaments abgebaut würden. Dafür habe ihre Fraktion kein Verständnis. Ebenso dürfe es keinen Abbau bei sozialen und ökologischen Standards geben.
Auch von der Linksfraktion kam Kritik: Sascha Wagner sagte, ein funktionsfähiger Staat, der Dienstleister für seine Bürgerinnen und Bürger sei, sei elementar für die Demokratie und das Vertrauen in den Staat. Er habe jedoch Zweifel daran, dass es mit dem neuen Digitalministerium anders laufe als in den vorherigen Legislaturperioden. "Wir hoffen, dass es Ihnen endlich ernst ist und Sie die über Jahrzehnte angestauten Aufgaben unbürokratisch anpacken und lösen", betonte Wagner.
AfD vermisst einen "Hauch von Elon Musk als Digitalminister"
AfD-Politiker Ruben Rupp sagte, ein Ministerium ohne einen eigenen Einzelplan sei kein Ministerium. Wildberger habe "keinen Plan, keine Kompetenzen und kein Geld". Zwar seien gute Ansätze sichtbar und der Fokus liege nicht "auf Meinungszensur und linken Projekten", sondern auf Wachstum und Digitalisierung. Allerdings fehle es Wildberger an Begeisterung. "Was wir bräuchten in Deutschland, wäre ein Hauch von Elon Musk als Digitalminister", sagte Rupp.
Zudem sei ein Wandel in der Energiepolitik hin zu "Kernenergie, Kohleverstromung und günstigem Gas aus Russland" geboten, um den wachsenden Strombedarf zu decken. Ohne eine Antwort darauf, wie der Bedarf gedeckt werden könne, seien alle Planungen überflüssig.
Martin Gerster (SPD) gab zu, dass eine Debatte über einen Einzelplan, der noch gar nicht vorliegt, auf den ersten Blick "etwas kurios" wirke. Allerdings stimme die Behauptung, es gebe kein Geld, nicht. Er habe großen Respekt vor der Herkulesaufgabe des Ministers, der erst seit neun Wochen im Amt sei. Denn es gebe viel zu tun, sagte Gerster mit Blick auf die Registermodernisierung, Nachrüstungen von IT-Lösungen sowie Fragen sicherer Identitäten und von Standards. Es müsse Schluss sein mit Insel- und Parallellösungen in der öffentlichen Verwaltung. Die Menschen erwarteten zurecht eine Verwaltung, die Anträge online entgegennehme, Informationen bei anderen Behörden einhole und proaktiv über Möglichkeiten aufkläre.
Auch lesenswert

Der Ex-Bundesinnenminister hat mit Mitstreitern die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ gegründet. Mitte Juli legt sie ihren Abschlussbericht vor.

Für ihre Investitions-Offensive will die Koalition tief in die roten Zahlen gehen. Die AfD spricht von einem "Amoklauf", Grüne und Linke sehen eine verpasste Chance.

300 Milliarden Euro sollen aus dem neuen Sondervermögen in die Infrastruktur fließen. Knapp ein Drittel davon sind laut Plänen der Bundesregierung bereits verplant.