Gasförder-Verbot in Meeresschutzgebieten : Sachverständige kritisieren geplantes Gesetz
Große Differenzen beim Meeresschutz offenbart eine Anhörung. Umweltverbände bemängeln offene Schutzlücken, Wirtschaftsvertreter sehen Grundrechte verletzt.
Die Bundesregierung will dem niederländischen Konzern One-Dyas erlauben, grenzüberschreitende Gasvorkommen zu erschließen. Im Juli stimmte sie einem Abkommen mit den Niederlanden zur gemeinsamen Erdgasförderung vor der Nordseeinsel Borkum zu. Ausgenommen sein sollen jedoch Bohrungen in Meeresschutzgebieten. Ein Gesetzentwurf, den Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) dafür vorgelegt hat, stößt jedoch auf breite Kritik, wie eine öffentliche Anhörung im Umweltausschuss am Mittwoch gezeigt hat. Die als Sachverständige von den Oppositionsfraktionen der Grünen und Linken geladenen Umweltverbände und Vertreter der betroffenen Insel Borkum bemängelten die geplanten Regelungen als lückenhaft, die vom Koalitionspartner Union benannten Experten aus der Wirtschaft erhoben gar verfassungsrechtliche Bedenken.
Öl- und Gasunternehmen monieren Ungleichbehandlung
Ein Verbot der Gas- und Ölförderung bei gleichzeitiger Erlaubnis der Sand- und Kiesgewinnung greife in die unternehmerische Freiheit ebenso wie in die Eigentumsrechte der Unternehmen ein, die bereits über bergrechtliche Berechtigungen verfügten, und verstoße zudem gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes, sagte der Verwaltungsrechtsexperte Fritz von Hammerstein, der als Einzelsachverständiger Stellung zum Gesetzentwurf nahm. Er sehe zudem keinen Handlungsbedarf. Es gebe bereits ein "sehr strenges Schutzregime", das in marinen Schutzgebieten nachteilige Auswirkungen der Rohstoffgewinnung verhindere. Das Gesetz sei also "weder geeignet noch erforderlich".
„Der mögliche Verlust unersetzlicher Naturräume und der Lebensgrundlagen der Anwohner ist nicht akzeptabel.“
Ähnlich argumentierte Ludwig Möhring vom Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie. Er betonte, dass Deutschland noch für viele Jahre große Mengen Erdgas benötigen werde. Wer die Förderung hierzulande reduziere, müsse wissen, dass dadurch mehr LNG-Gas importiert werde, das einen "um bis zu 30 Prozent schlechteren CO2-Fußabdruck" habe als Gas aus heimischer Produktion. Das bedeute geringere Versorgungssicherheit und höhere Preisrisiken.
Der als Einzelsachverständiger eingeladene Robert Dörband vom niedersächsischen Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie lobte zudem Einzelfallprüfungen durch Fach- und Umweltbehörden. Ein Interessenausgleich zwischen Meeresschutz und Rohstoffversorgung lasse sich damit "sehr gut" herstellen. Ein Verbot der Rohstoffförderung werde aber dazu führen, dass mit der Einzelfallprüfung auch dieser Abwägungsprozess künftig wegfalle.
Experte moniert fehlende Planung für den Meeresuntergrund
Gravierende verfassungsrechtliche Probleme sah Gerold Janssen vom Leibnitz-Institut für ökologische Raumentwicklung nicht: Der Gesetzentwurf verstoße aus seiner Sicht nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Als Manko betonte Janssen aber, dass es keine Planung für den Meeresuntergrund gebe. Zu viele bergbauliche Nutzungen würden zugelassen, ohne dass überhaupt die Frage nach den Umweltauswirkungen gestellt würde, so der Experte.
Der Biologe Sven Koschinski drängte auf einen besseren Schutz der Meeresschutzgebiete in Nord- und Ostsee. Diese befänden sich in einem schlechten Zustand, weil gesetzlichen Vorgaben noch viele Nutzungen erlaubten. Belastungsfaktoren addierten und verstärkten sich. Insbesondere die Gas- und Ölförderung belaste Meeressäugetiere wie Schweinswale, aber auch Vögel und Fische stark und schränke ihren Lebensraum ein. Die Politik müsse Meeresschutzgebiete höher priorisieren, forderte der Einzelsachverständige. Es brauche Nutzungseinschränkungen zum Schutz der Biodiversität.
Die Wirksamkeit der geplanten Einschränkungen stellte Eike Hinrichsen von der Deutschen Umwelthilfe jedoch in Frage: Dem Entwurf gelinge es nicht, die "Schutzlücke" für Meeresschutzgebiete" zu beseitigen. Um die "Hintertür für neue fossile Förderprojekte" zu schließen, müssten neben Ausnahmemöglichkeiten auch naturschutzrechtliche Befreiungen ausgeschlossen werden. Aufsuchung und Gewinnung von Kohlenwasserstoffen dürften nie das Interesse des Meeresschutzes überwiegen. Kritisch beurteilte Hinrichsen zudem, dass der Abbau von Kiesen und Sanden oder der Bau von Windkraftanlagen in Meeresschutzgebieten weiterhin nicht ausgeschlossen sein sollen.
Borkumer Bürgermeister warnt vor Havarien und Bodenabsenkungen
Die Forderung nach einem mindestens gleichrangigen Interesse an der Unversehrtheit von Schutzgebieten und einer sauberen, gesunden Umwelt äußerte auch der Bürgermeister der Stadt Borkum, Jürgen Akkermann. Der mögliche "Verlust unersetzlicher Naturräume und der Lebensgrundlagen der Anwohner" sei nicht akzeptabel. Er verwies auf die Gefahren der Gasförderung für das UNESCO-Welterbe Wattenmeer. Es sei dort bereits zu Havarien, Erdbeben und Bodenabsenkungen gekommen.
Deren Risiko sei zuvor in Studien stets niedriger als real eingeschätzt worden. Die Abwägung müsse daher auf "pessimistischen Annahmen beruhen", verlangte Akkermann. Das könne bedeuten, dass Fördervorhaben eben nicht mehr genehmigt werden.
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