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Foto: picture alliance/dpa/Lars Penning
Bohrinsel in der Nordsee: Vor Borkum will der niederländische Konzern One-Dyas mit Erlaubnis der Bundesregierung künftig Erdgas fördern.

Das Geschäft mit der Energieversorgung : Deutschland in der fossilen Falle

In "Die Milliarden-Lobby" analysieren Susanne Götze und Annika Joeres, wer die deutsche Abhängigkeit von Öl und Gas zementiert und die Energiewende ausbremst.

16.10.2025
True 2025-10-16T11:13:47.7200Z
3 Min

Die Nachricht ist erst wenige Tage alt und macht Hoffnung: Erstmalig ist weltweit mehr Strom aus erneuerbaren als aus fossilen Energieträgern wie Kohle, Gas und Öl produziert worden. Das zeigen Berechnungen der Denkfabrik Ember. Demnach stieg der Anteil der Erneuerbaren bei der Stromerzeugung auf 34,4 Prozent, der Kohleanteil sank auf 33,1 Prozent. 

Das seien die "ersten Anzeichen eines entscheidenden Wendepunkts", so Stromanalystin Malgorzata Wiatros-Motyka, Mitverfasserin der Studie. Die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen habe "ihren Höhepunkt erreicht oder bereits überschritten". Nun gelte es, ambitioniert zu handeln und die Energiewende zu beschleunigen.

Wirtschaftsministerin Reiche setzt auf neue Gaskraftwerke

Die Bundesregierung jedoch plant neue Gaskraftwerke. Bis zu 20 Gigawatt, etwa 40 neue Anlagen, brauche es, damit Deutschlands Energieversorgung sicherer und günstiger werde, erklärt Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche. Einen kürzlich veröffentlichten Monitoring-Bericht zum Stand der Energiewende nahm die CDU-Politikerin zum Anlass, um Subventionskürzungen für private Solaranlagen anzukündigen. 

Um Versorgungssicherheit und den Gasmarkt zu stärken, stimmte die Bundesregierung zudem einem Abkommen mit den Niederlanden zur gemeinsamen Erdgasförderung vor der Nordseeinsel Borkum zu.


Susanne Götze, Annika Joeres:
Die Milliarden-Lobby.
Wer uns von Öl und Gas abhängig macht.
Piper,
München 2025;
288 S., 22,00 €

 


Zwei Milliarden Kubikmeter Gas will der niederländische Konzern One-Dyas dort unweit des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer jährlich fördern - das entspräche etwa zwei bis zweieinhalb Prozent des deutschen Bedarfs. Heimisches Erdgas sei ein kleiner, aber wichtiger Beitrag, um die Abhängigkeit von Importen zu verringern, verteidigt Niedersachsens Ministerpräsident Olaf Lies (SPD) das Vorhaben gegen Kritik von Umwelt- und Klimaschützern.

Import von Brennstoffen aus Staaten wie Russland als Sicherheitsrisiko

Tatsächlich ist Deutschlands Abhängigkeit von Öl und Gas groß. Warum das so ist - und wer Verantwortung dafür trägt, analysieren Susanne Götze und Annika Joeres in ihrem faktenreichen und spannenden Buch "Die Milliarden-Lobby". Der Import von Brennstoffen aus Staaten wie Russland, den USA, Saudi-Arabien oder Katar sei nicht nur teuer und umweltschädlich, warnen sie, sondern auch ein Sicherheitsrisiko. 

Was passiert, wenn Lieferketten durch geopolitische Konflikte oder Sabotageakte gestört werden, hat die Energiekrise 2022 infolge des Ukrainekriegs vor Augen geführt: Leere Gasspeicher und eine gesprengte Nordstream-Pipeline brachten Deutschland an den Rand einer Gasmangellage. Viel Steuergeld musste die damalige Ampelkoalition in die Hand nehmen, um teures Flüssiggas (LNG) auf dem Weltmarkt zu kaufen, in Windeseile neue LNG-Terminals zu bauen und rapide steigende Energiepreise für die Bürger abzufedern.


„Die Anti-Klimaschutz-Lobby hat zwar noch viel Macht, kann jedoch eine flächendeckende Nutzung alternativer Energiequellen nur noch verzögern, nicht mehr gänzlich verhindern.“
Investigativjournalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres

Diese Erfahrung hätte eine Wende bedeuten können. Die auf Energie- und Klimapolitik spezialisierten Investigativ-Journalistinnen zeigen in ihrer inzwischen vierten gemeinsamen Publikation, wie Deutschland die Chance jedoch verstreichen ließ. Dabei decken sie die verborgenen Akteure und Netzwerke mächtiger Industrien auf und scheuen sich auch nicht, die beim Namen zu nennen, die ein finanzielles Interesse daran haben, den Status quo zu zementieren und Reformen auszubremsen.

Verbände und Medien des Springer-Verlags machten Stimmung gegen das Heizungsgesetz

Wie ihnen das konkret etwa beim sogenannten Heizungsgesetz gelang, rekonstruieren die Journalistinnen minutiös. Eigentlich hatte die Ampel mit dem Gebäudeenergiegesetz, so der offizielle Name, die Wärmewende einleiten wollen. Doch eine breite Kampagne, orchestriert von einflussreichen Medien des Springer-Verlags und Verbänden der Gas- und Immobilienwirtschaft, brachte die Koalition dazu, zentrale Beschlüsse wie etwa zur Beschränkung des Einbaus von Gasheizungen zu verwässern oder zu verschieben. Zu Lasten des Klimas und der Finanzen all jener Bürger, die so länger auf die - durch den neuen EU-Emissionshandel für Gebäude und Verkehr ab 2027 - teureren Gasheizungen setzen können.

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Es ist nicht der einzige Schauplatz des Ringens um die Energiepolitik, den die Autorinnen beleuchten. Sie blicken auch hinter die Kulissen des Streits um das Verbrenner-Aus, thematisieren die Kontroverse um den “grünen Hoffnungsträger Wasserstoff” und erklären die Abhängigkeit der Landwirtschaft von aus Erdgas gewonnenem Dünger und Diesel - und damit auch die Wut der Bauern über die Streichung von Agrardiesel-Subventionen. Auch Einfluss und Strategien von Rechtspopulisten und Denkfabriken kommen zu Wort.

Doch Götze und Joeres machen trotzdem Hoffnung: Ein unabhängigeres Deutschland sei möglich, schreiben sie. “Die Anti-Klimaschutz-Lobby hat zwar noch viel Macht, kann jedoch eine flächendeckende Nutzung alternativer Energiequellen nur noch verzögern, nicht mehr gänzlich verhindern."