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Das Auto hat in Deutschland nicht nur einen hohen wirtschaftlichen Stellenwert, sondern verkörpert auch ein Stück Kultur dieses Landes.

Deutschland und seine Autos : Ein Autoland im Umbau

Deutsche Automobilhersteller profitierten lange vom Export. Heute fordern neue Antriebstechniken und frische Marken die Hersteller und ihre Kunden heraus.

19.07.2024
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6 Min

Das Auto ist der Deutschen liebstes Kind: Dieser Grundsatz hat viele Jahre gegolten, vor allem in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland. Kaum eine Erfindung hat das Land ab den 1950er Jahren dermaßen geprägt wie das Auto. Die wirtschaftliche Bedeutung der Autoindustrie ist bis heute enorm, etwa 780.000 Menschen arbeiten bei den großen deutschen Autoherstellern Volkswagen, Mercedes Benz, BMW und Porsche sowie bei zahlreichen Zulieferern wie Bosch, Conti und ZF Friedrichshafen. Außerdem hat das Auto die Menschen mobil und unabhängig gemacht, damit galt es als Inbegriff persönlicher Freiheit und des Wohlstands. Nichts verdeutlicht das mehr als der Käfer von VW, der als das Symbol des Wirtschaftswunders der 1950er Jahre gilt.

Doch das Auto wird immer mehr in Frage gestellt. Vor allem seit 2015 die Abgas-Affäre weltweit für Aufsehen sorgte und beim Klimagipfel in Paris politische Ziele für ein Umsteuern in der Antriebstechnik formuliert wurden. Seit fast zehn Jahren treibt die Hersteller und die Verbraucher nun die Frage um, ob das Auto in Deutschland weiterhin zu Wohlstand, Arbeitsplätzen und Selbstbewusstsein beiträgt und ob sich die deutschen Autobauer mit ihren Produkten an der Spitze des Weltmarkts behaupten werden.

Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit

Das Auto hatte vor Jahrzehnten der vom Krieg gebeutelten Gesellschaft ein neues, modernes Leben versprochen und damit den Nerv der Zeit getroffen. Mit dem Führerschein kamen individuelle Freiheit und Unabhängigkeit. Der erste Wagen wurde zwar mühsam zusammengespart, doch als das Auto dann vor der Haustür stand, waren die frischgebackenen Besitzer stolz auf die Anschaffung. Das Gefühl, etwas geschafft zu haben, und die bewundernde Blicke trugen zu einem neuen Selbstwertgefühl bei. Das Statussymbol wurde am Samstagnachmittag beim Autowaschen in der Nachbarschaft präsentiert.

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Autowaschen am Samstag war bei vielen Familien in den 1950er und 1960er Jahren eine der beliebtesten Freizeitaktivitäten.

Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre begann dann eine neue Generation ihren individuellen "Aufbruch" - Menschen wie Dieter und Juliana Kreutzkamp, die 1975 mit einem VW-Bus auf Weltreise gingen. Das junge Paar kaufte sich ein zehn Jahre altes Fahrzeug, baute es um und brach damit auf in den Nahen Osten, nach Asien und Afrika: damals das reinste Abenteuer. Der Motor und die Technik streikten immer wieder und wurden eigenhändig vor Ort repariert. In der Erinnerung daran sagte Dieter Kreutzkamp in einer ZDF-Sendung, solche Herausforderungen hätten den Menschen und den VW-Bus erst richtig zusammengeschweißt. Das Auto ist eben nie ein rein rationales Objekt gewesen, auch wenn es von der Politik als solches gewollt wird.

Lange Lieferzeiten für Trabi und Wartburg

Auch in der DDR war das Auto mehr als nur ein Fortbewegungsmittel. Dort verliehen Trabi und Wartburg das Gefühl, autark und selbstständig zu sein, was auch ein Entkommen aus der verordneten Einheitsgesellschaft war. Das Warten auf einen Neuwagen dauerte mehr als zehn Jahre, für einen Trabant am Ende sogar 15 Jahre. Wenn das Auto dann tatsächlich ausgeliefert wurde, hatte das Datum oft einen Stellenwert vergleichbar mit dem eigenen Hochzeitstag.

Was der Trabant 601, gebaut von 1964 bis 1990, für die DDR-Bürger war, stellte in der Bundesrepublik dann neben dem Käfer vor allem der VW Golf dar. Das 1973 wegen eingebrochener Absatzzahlen als Nachfolgemodell für den Käfer präsentierte Auto war optisch mit seiner Kompaktkarosserie und der großen Heckklappe sowie mit Frontantrieb und Wasserkühlung völlig anders als der Käfer. Heute ist der VW Golf mit mehr als 37 Millionen ausgelieferten Exemplaren eines der meistverkauften Autos der Welt.

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Auch andere deutsche Autohersteller wie Mercedes, BMW oder Porsche erreichten damals durch technische Innovationen, exzellente Technik und hohe Qualität immer mehr Käufer. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kamen neue Märkte in Osteuropa und Asien hinzu. Der Export gewann für die Automobilindustrie Deutschlands stark an Bedeutung. Als die wichtigsten Märkte neben den EU-Staaten gelten die USA und China. Dort siedelten sich die deutschen Autobauer auch mit eigenen Werken an und verkauften vor allem Fahrzeuge aus dem Premiumbereich, was in den beiden ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhundert zu enormen wirtschaftlichen Erfolgen führte.

Illegale Abschalteinrichtung bei Dieselmotoren von VW markieren Zeitenwende 

Der 18. September 2015 stellte für die deutsche Automobilindustrie dann eine Zeitenwende dar. An dem Tag veröffentlichte die US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) einen Bericht, wonach VW eine illegale Abschalteinrichtung bei Dieselmotoren eingebaut hat und somit Abgaswerte manipuliert. VW gab daraufhin bekannt, die betreffende Software sei weltweit in elf Millionen Fahrzeugen verbaut worden. In Folge der als "Dieselskandal" und "Abgas-Affäre" beschriebenen Vorgänge kam es im VW-Konzern zu Rücktritten bei der Führung von Audi, Porsche und Volkswagen. 

Der damalige VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn und andere Konzern-Führungskräfte wurden in Deutschland und in den USA angeklagt, Millionen betroffene Fahrzeuge zurückgerufen, Kunden wurden Entschädigungen angeboten. Der Skandal zog sich über Jahre hin, am Ende war nicht nur der Ruf von VW beschädigt, sondern auch der Verbrennungsmotor in Verruf geraten.

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Gegen den ehemalige Volkswagen-Chef Martin Winterkorn (Mitte) laufen weiter Strafverfahren. Ihm werden Betrug, Falschaussage und Marktmanipulation vorgeworfen.

Parallel zum VW-Skandal entwickelte das im Jahr 2003 gegründete Unternehmen Tesla mit dem Model S einen Nachfolger des Roadsters, des ersten elektrischen Serienfahrzeugs. Mit dem Model S wollte die US-Firma von Elon Musk mit Sitz in Austin, Texas, ein Auto erschaffen, das weltweit in großer Stückzahl verkauft werden und ausschließlich mit Batterieantrieb angeboten werden sollte.

Während vom Diesel-Skandal auch andere deutsche und europäische Hersteller betroffen waren, begann anderswo der Wettlauf um die Führungsposition bei der neuen elektrischen Antriebstechnik. Vor allem Tesla und der chinesische Automobilkonzern BYD stritten um den ersten Platz. 2019 hatte Tesla mit 800.000 produzierten E-Fahrzeugen BYD überholt und war weltweit der größte Hersteller. Vier Jahre später übernahm BYD von Tesla die Spitzenposition und gilt derzeit als Marktführer.

Neue Marken und große Vorbehalte

In Deutschland dürfte der Name BYD spätestens mit der Fußball-Europameisterschaft der breiten Öffentlichkeit bekannt sein. Ausgerechnet ein Autobauer aus China hat VW als Sponsor bei der Heim-EM abgelöst. Ob es BYD wirklich gelingt, den deutschen Automarkt zu erobern, ist aber offen. Im Jahr 2023 waren zwar erst 4.140 BYD-Wagen beim Kraftfahrt-Bundesamt gemeldet, das dürfte sich aber ändern. Ab 2025 will BYD ein Werk in Ungarn eröffnen und dort jährlich 150.000 Fahrzeuge für den EU- Markt bauen.

Bisher haben sich deutsche Autokäufer jedoch selten für ein E-Auto entschieden. Die Vorbehalte sind groß, als Gründe für den schleppenden Absatz gelten hohe Anschaffungspreise, fehlende Ladestationen, Preisverfall bei Wiederverkauf und unklare politische Vorgaben. Dazu kommt, dass das Durchschnittsalter von privaten Haltern bei Pkw-Neuzulassungen in Deutschland bei 52,6 Jahren liegt. Bei jüngeren Kunden fehlt neben den Mitteln für den Kauf eines neuen E-Autos oft auch die Überzeugung, überhaupt ein eigenes Auto besitzen zu müssen. Wenn sich Menschen aus der Generation Y und Z, also die ab 1981 Geborenen, doch für ein solches Fahrzeug entscheiden, dann nicht unbedingt von einem der deutschen Hersteller.

Nio, Polestar, VinFast oder Genesis: Werben in bester Innenstadtlage

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Mittlerweile bieten neben Tesla und BYD zahlreiche Firmen, vor allem aus China und anderen asiatischen Ländern, Modelle an. Ein Blick in die Innenstädte Hamburgs, Düsseldorfs oder Berlins genügt. Dort werden in den allerbesten Lagen Autos mit Namen wie Nio, Polestar, VinFast oder Genesis präsentiert. Die Kunden können dort nicht nur Testfahrten vereinbaren, sondern ihnen stehen auch Co-Working-Spaces, Spielplätze für die Kinder und Cafés zur Verfügung. So empfängt das chinesische Start-Up Nio Interessenten im sogenannten Nio-House am Berliner Kurfürstendamm direkt neben der Gedächtniskirche. Das 2014 gegründete Unternehmen wirbt mit E-Autos, deren Antriebsbatterie innerhalb weniger Minuten gewechselt werden kann, zeitaufwändiges Laden entfällt.

Die neuen Markennamen und die Technik sprechen vor allem junge Menschen an, die bisher kein Auto gefahren sind und auch keines besessen haben. Da Mobilität und Unabhängigkeit weiterhin auf viele Menschen eine große Anziehungskraft ausüben dürften, ist die Frage nicht, ob das Auto auch in Zukunft noch attraktiv sein wird, sondern, welche Hersteller sich am Ende durchsetzen werden.