Aussprache zu den Gipfeln von EU und Nato : Mit Waffen und Diplomatie zu neuer Stärke
Der Bundestag debattiert über die Kriege in der Ukraine und Nahost. Was kann Europa tun angesichts der drängenden Konflikte in der Welt?
Friedrich Merz (CDU) sieht die Welt in einer "neuen Realität" angekommen. "Die vergangenen Wochen waren in großen Teilen der Welt erneut Wochen der Krise, des Umbruchs, auch der Gewalt: in der Ukraine, im Iran, in Israel, in Gaza", sagte der Bundeskanzler am Dienstag in seiner Regierungserklärung im Bundestag, kurz bevor er sich auf den Weg nach Den Haag und Brüssel machte, um mit den Partnern in EU und Nato über Auswege und Konsequenzen zu beraten.
Merz machte klar, dass er nicht damit rechnet, dass die Welt "alsbald dauerhaft zu ruhigeren Zeiten zurückkehrt". Der richtige Schluss daraus sei, die eigenen Interessen "aktiv und unmittelbar" zu vertreten und "die geopolitische Umgebung nach Kräften selbst mitzugestalten".

Krisendiplomatie: Friedrich Merz (CDU) und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD, v.l.n.r.)) bei der Ankunft in Den Haag.
Konkret mahnte Merz diplomatische Anstrengungen an, um das iranische Nuklearprogramm zu verhindern. Er sprach sich für verschärfte Sanktionen gegen Russland aus und für die weitere Unterstützung der Ukraine. Angesichts der russischen Aggression müssten Deutschland und Europa auch deutlich mehr in die Verteidigung investieren. Die Bundeswehr will Merz zur stärksten konventionellen Armee Europas machen.
Veto der Slowakei beim EU-Gipfel verhindert neue Sanktionen gegen Russland
Zur Realität in Europa gehört allerdings auch, dass sich die Partner selten einig sind. Daran wurde Merz, für den die Gipfeltreffen von EU und Nato die ersten seiner Kanzlerschaft waren, nur Stunden später erinnert. Zwar beschlossen die Nato-Staaten am Mittwoch das bisher größte Aufrüstungsprogramm ihrer Geschichte, aber weitere militärische Hilfen für die Ukraine waren in Den Haag kein Thema.
Noch enttäuschender endete Donnerstagnacht der EU-Gipfel. Wegen eines Vetos der Slowakei konnten die 27 Staats- und Regierungschefs kein neues Sanktionspaket gegen Russland auf den Weg bringen, lediglich eine Verlängerung der bestehenden Sanktionen um weitere sechs Monate war konsensfähig. Auch Maßnahmen gegen Israel wegen des Vorgehens in Gaza, wie sie insbesondere Spanien gefordert hatte, fanden keine Mehrheit. Unter anderem lehnte die Bundesregierung die geforderte Aussetzung des Partnerschaftsabkommens der EU mit Israel klar ab. Wegen Ungarn konnte der EU-Gipfel außerdem zum dritten Mal in Folge keine gemeinsamen Beschlüsse zur Unterstützung der Ukraine fassen.
Linke nennt Aufrüstungsprogramm "Irrsinn"
Dieser Ausgang dürfte auch im Bundestag für Frust sorgen. Denn in der Aussprache nach der Regierungserklärung des Kanzlers hatte nicht nur Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) betont, dass die aktuelle Weltlage jetzt "Handlungsfähigkeit und Führung" erfordere. Spahn nannte die Erhöhung des Verteidigungshaushalts "folgerichtig" und stellte sich klar an die Seite der Ukraine und Israels. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch nannte als Priorität einen Dreiklang aus Diplomatie, Verteidigungsfähigkeit und der Einhaltung des Völkerrechts. Deutschland und Europa hätten ein "Rieseninteresse, dass es in dieser Welt einvernehmliche Regeln gibt".
Von notwendigen Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit sprach die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann. Zugleich warnte sie vor einer weiteren militärischen Eskalation zwischen Israel und dem Iran. “Ich sehe mit großer Sorge auf die Spannungen und auch die Angegriffenheit des Völkerrechts in diesen Zeiten.”
„Wir hoffen, dass das Vorgehen Israels und der USA in den letzten Tagen den Iran dauerhaft davon abbringt, seinem zerstörerischen Ziel noch näher zu kommen.“
AfD und Linke erteilten den Nato-Beschlüssen eine Absage. "Wir müssten zuerst einmal wissen, wie die aktuellen Investitionen genutzt werden. Für was und gegen wen rüsten wir uns? Wohin steuert eigentlich die Nato insgesamt?", fragte AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla (AfD). Sören Pellmann, Fraktionsvorsitzender der Linken, nannte das Aufrüstungsprogramm "Irrsinn". Während die Menschen sich "berechtigterweise die Frage stellen, was der Staat noch kann und was er für sie konkret tut, reden Sie hier von fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Rüstung".
Existenzrecht Israels steht für die Abgeordneten außer Frage
Die humanitäre Lage in Gaza und der zwölftägige Krieg zwischen Israel, den USA und dem Iran, der am 24. Juni vorerst mit einer Waffenruhe endete, beschäftigte den Bundestag in dieser Woche noch ein weiteres Mal. In einer von den Koalitionsfraktionen angesetzten Aktuellen Stunde zeigten sich die Fraktionen einig in zwei Punkten: Iran darf ihrer Meinung nach keine Atomwaffen besitzen, und das Existenzrecht des Staates Israel steht außer Frage.
Aber war der Angriff Israels auf den Iran völkerrechtswidrig oder notwendig, um sich gegen eine unmittelbare atomare Bedrohung zu verteidigen? Und was ist jetzt die richtige deutsche Politik? Außenminister Johann Wadephul (CDU) erinnerte an die "unerträglichste Bedrohung, die vom Iran ausgeht", mahnte aber auch die Rückkehr zur Diplomatie an. Siemtje Möller (SPD) hob hervor, dass das Selbstverteidigungsrecht "felsenfest im Völkerrecht verankert" sei, während ihre Fraktionskollegin Derya Türk-Nachbaur (SPD) sagte, Selbstverteidigung dürfe "nicht zu Entgrenzung führen".
Fraktionen fordern Beweise von Israel wegen Angriff auf Iran
Alexander Wolf (AfD) sieht den Iran in der Pflicht, sich wieder der Aufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde zu unterwerfen. Aber auch Israel müsse glaubhaft darlegen, dass die Fertigstellung von Atomwaffen im Iran unmittelbar bevorstand und es daher zu einem Präventivschlag berechtigt war.
Diese Forderung kam auch aus anderen Fraktionen, etwa von der Grünen-Abgeordneten Deborah Düring. Sie richtete an die Bundesregierung die Erwartung, sich jetzt konsequent für eine Zwei-Staaten-Lösung im Palästina-Konflikt einzusetzen.
Für Cansu Özdemir (Die Linke) steht fest, dass Netanjahu und Trump den Iran "völkerrechtswidrig bombardiert" haben. Die Aussage von Merz, Israel mache im Iran die "Drecksarbeit für uns alle", kritisierte sie als "zynisch". Die Bundesregierung sollte alle Rüstungsexporte in die Nahost-Region stoppen.
Merz hatte sich im Bundestag schon am Dienstag auf die Seite Israels gestellt. "Wir hoffen, dass das Vorgehen Israels und der USA in den letzten Tagen den Iran dauerhaft davon abbringt, seinem zerstörerischen Ziel noch näher zu kommen." Jetzt müsse die Lage mit diplomatischen Mitteln stabilisiert werden.
Mehr dazu lesen

Im Konflikt zwischen Israel und dem Iran steht die EU bisher am Rand, im Umgang mit Israel sind die Partner uneins. Was bedeutet das für den EU-Gipfel am Donnerstag?

Beim Kampf gegen die Hamas in Gaza wird Israel gemahnt, das humanitäre Völkerrecht zu achten. Doch was heißt das genau? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Angesichts der katastrophalen humanitären Lage in Gaza werden im Bundestag die Rufe nach Einschränkungen von Waffenexporten nach Israel lauter.