
Gastkommentare : Ist das Fünf-Prozent-Ziel der Nato notwendig? Ein Pro und Contra
Brauchen wir wirklich eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandprodukts? Martin Ferber und Stephan Hebel mit einem Pro und Contra.
Pro
Kollektive Verteidigung bedeutet kollektive Verantwortung

Die Summe ist auf den ersten Blick unvorstellbar. Wenn Deutschland, wie auf dem Nato-Gipfel beschlossen, bis 2035 die Verteidigungsausgaben auf bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) erhöht, explodiert der Wehretat geradezu von derzeit knapp 52 Milliarden Euro auf 225 Milliarden Euro. Und das jedes Jahr.
Doch bei genauerer Betrachtung relativieren sich die Zahlen. Die Summe ist nicht nur für neue Panzer, Drohnen oder Abwehrsysteme gedacht, sondern auch für Investitionen in die Infrastruktur, die Cyberabwehr oder den Zivilschutz. Auch da ist der Nachholbedarf gewaltig. Die modernsten Panzer nützen schließlich nichts, wenn marode Autobahnbrücken die Last nicht tragen oder Schienenwege wegen defekter Weichen nicht genutzt werden können. Eineinhalb Prozent des BIP sind dafür vorgesehen.
Bleiben noch 3,5 Prozent für reine Verteidigungszwecke, also immer noch etwas mehr als 150 Milliarden Euro pro Jahr. Viel Geld, dass sinnvoll eingesetzt werden muss. Doch wir werden uns daran gewöhnen müssen. Die sogenannte Friedensdividende nach dem Ende des Kalten Krieges ist verzehrt, Frieden und Freiheit haben ihren Preis, den wir viel zu lange nicht wahrhaben und bezahlen wollten. Es war bequem, die Last den USA aufzubürden und sich wegzuducken.
Die Zeiten sind rauer geworden, härter, unberechenbarer. Krieg in Europa ist durch den Überfall Russlands auf die Ukraine zur traurigen Realität geworden. Die USA unter Trump sind nicht länger bereit, die Hauptlast für die Verteidigung Europas zu tragen und pochen ultimativ auf eine gerechtere Verteilung der Last. Kollektive Verteidigung bedeutet kollektive Verantwortung. Und das ist auch im eigenen Interesse. Denn ohne die USA wären die Kosten für die Verteidigung des Landes wie des (Rest-)Bündnisses um ein Vielfaches höher.
Contra
Ohne den tatsächlichen Bedarf zu kennen, wird mit gigantischen Summen hantiert

Anfang Juni stellten die führenden deutschen Friedensforschungsinstitute ihr Jahresgutachten vor. Daran, dass es erheblicher Rüstungsanstrengungen in Europa bedürfe, ließen die Forschenden keinen Zweifel. Aber sie gingen auch auf die Kürzungen humanitärer Hilfen durch die US-Regierung ein. Nur wenn Europa dem Beispiel nicht folge und stattdessen seiner globalen Verantwortung gerecht werde, könne "die regelbasierte Ordnung erhalten und der Frieden ein Stück weit gerettet werden".
Als diese Worte gesprochen wurden, war der Haushaltsentwurf von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) für das laufende Jahr noch nicht bekannt. Inzwischen liegt er vor, und neben der massiven Steigerung des Verteidigungsetats sind darin deutliche Kürzungen bei Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe enthalten.
Das Ziel, die Rüstungsetats der Nato-Staaten auf fünf Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen, bedeutet für Deutschland dreistellige Milliardenbeträge. Und die wenigen Milliarden, um für Kriegsvermeidung durch humanitäre Krisenprävention wenigstens die bisherigen Summen auszugeben, sollen nicht aufzutreiben sein?
Das Fünf-Prozent-Ziel beruht bekanntlich allein auf der Fantasie von US-Präsident Donald Trump. Niemand kann vorhersagen, was es kosten würde, wenn die Länder Europas sich auf Verteidigung konzentrieren und sie wirklich europäisch gestalten würden, statt sie auch als Förderprogramm für nationale Industrien zu verstehen.
Mit gigantischen Summen zu hantieren, ohne die Ermittlung des wirklichen Bedarfs auch nur zu versuchen, widerspricht dem verantwortlichen Umgang mit Geld, den sich gerade diese Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben hat. Das Fünf-Prozent-Ziel stellt ein symbolisches Sicherheitsversprechen dar, das den Blick auf ein umfassendes Verständnis von Friedenssicherung verstellt.

Außenminister Johann Wadephul (CDU) will die Verteidigungsausgaben massiv steigern. Die Weltlage sei "brandgefährlich" erklärt er im Bundestag.

Die neue Bundesregierung will die Bundeswehr massiv aufrüsten. Am Geld mangelt es nach der Aufweichung der Schuldenbremse nicht - aber an Soldaten.