Piwik Webtracking Image

EU verschiebt Unterzeichnung des Handelsabkommens : Mit Kartoffeln gegen Mercosur

26 Jahre wurde verhandelt. Kurz vor Abschluss des Abkommens fordern einige Mitgliedstaaten noch mehr Bedenkzeit. Experten warnen vor den Folgen eines Scheiterns.

19.12.2025
True 2025-12-19T14:58:44.3600Z
3 Min

In der Nacht von Freitag auf Samstag wollte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) nach Brasilien fliegen, um ihre Unterschrift unter das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay zu setzen. 

Doch nun verzögert sich das Abkommen nach 26 Jahren Verhandlungen erneut: Italien forderte beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel einen Aufschub in den Januar, nachdem zuvor schon Frankreich massive Bedenken angemeldet hatte. Noch zu Beginn des Gipfels gab sich Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) "zuversichtlich", dass eine Einigung möglich sei. Viele hatten gehofft, dass die EU mit einem Durchbruch bei den Mercosur-Verhandlungen ein Signal außenpolitischer Stärke senden könnte.

Foto: picture alliance / abaca / Lafargue Raphael

Mit Kartoffeln und Rauchbomben haben am Donnerstag rund 7.500 europäische Landwirte in Brüssel gegen den Abschluss des Mercosur-Handelsabkommens protestiert. Sie fürchten die Konkurrenz günstigerer Agrarprodukte aus Südamerika.

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni setzte sich in Brüssel mit ihrer Forderung durch, dass zunächst die Schutzmechanismen für Landwirte rechtskräftig werden müssen. Am Tag des EU-Gipfels hatten in Brüssel rund 7.500 Landwirte auf annähernd 1.000 Traktoren lautstark und teils gewaltsam protestiert. Allerdings ist nicht eindeutig, dass es Meloni nur um die Landwirte ging. Sie wollte mit ihrem Veto möglicherweise auch versuchen, Zugeständnisse beim nächsten EU-Haushalt durchzusetzen.

Neben Italien bremste auch Frankreich aus Sorge um die Landwirtschaft

In Brüssel wird auch spekuliert, dass Melonis Nähe zu US-Präsident Donald Trump eine Rolle gespielt haben könnte. Zuvor hatte Frankreich auch heftige Bedenken gegen das Freihandelsabkommen angemeldet. Der Vorsitzende des Handelsausschusses Bernd Lange (SPD) hatte am Dienstag Befürchtungen geäußert, dass der Handelsdeal tot sein könnte, wenn die Mitgliedsstaaten sich auf dem Gipfel nicht einigten. Der brasilianische Präsident Lula da Silva hat - entgegen früherer Äußerungen - in einem Telefonat mit Ministerpräsidentin Meloni dem Aufschub nun aber zugestimmt.


„Wenn Europa die Unterschrift nicht unter das Abkommen setzt, dann riskiert es, die Länder näher an die chinesische Einflusssphäre zu rücken.“
Agathe Desmarais (Denkfabrik European Council von Foreign Relations)

Das Mercosur-Abkommen soll eine der größten Freihandelszonen der Welt schaffen und europäischen Exporteuren den Marktzugang erleichtern. Die deutsche Wirtschaft erhofft sich große Chancen durch die Marktöffnung in Südamerika. Aktuell exportieren rund 12.500 deutsche Unternehmen in die Region, zu annähernd drei Viertel handelt es sich dabei um kleine und mittlere Betriebe. 

Die bisherigen Zölle führen für europäische Unternehmen derzeit zu Zusatzkosten von rund vier Milliarden Euro jährlich. Doch geht es nicht nur um die Wirtschaft. "Lateinamerika ist eine Region intensiven Wettbewerbs zwischen westlichen Ländern und China", argumentiert Agathe Desmarais von der Denkfabrik European Council von Foreign Relations. "Wenn Europa die Unterschrift nicht unter das Abkommen setzt, dann riskiert es, die Länder näher an die chinesische Einflusssphäre zu rücken." 

Merz dringt auf baldigen Abschluss des Handelsabkommens

Bundeskanzler Merz hatte bei seiner Regierungserklärung am Mittwoch dafür geworben, Freihandelsabkommen mit gleichgesinnten Ländern abzuschließen. "Ich setzte mich auch dafür ein, die Handelsbeziehungen der Europäischen Union weiter auszubauen und weltweit Partner zu finden, die ebenso wie wir an die Vorteile offener Märkte und des freien Handels glauben." Die Handlungsfähigkeit der EU bemesse sich daran, das Mercosur-Abkommen endlich zu einem Abschluss zu bringen.

Mehr zum Thema

Mehr zum Thema Die Mehrheit im Europäischen Parlament steht noch nicht
Mercosur-Handelsabkommen: Die Mehrheit im Europäischen Parlament steht noch nicht

Im Europäischen Parlament hatte das Freihandelsabkommen am Dienstag eine wichtige Hürde genommen. Mit einer klaren Mehrheit von 431 Jastimmen bei 161 Gegenstimmen und 70 Enthaltungen hat sich das Parlament für Schutzklauseln ausgesprochen. Die EU-Kommission hatte die Schutzklauseln vorgeschlagen, um Verwerfungen an den Agrarmärkten zu verhindern. Damit soll die EU-Kommission die Importe von sensiblen Agrargütern wie Rindfleisch und Geflügel einschränken können, wenn die Einfuhr aus den Mercosur-Staaten stark steigt.

Es sei möglich, Märkte zu öffnen und gleichzeitig Produzenten zu schützen, sagte der Mercosur-Berichterstatter im Europäischen Parlament, der spanische Christdemokrat Gabriel Mato: "Die Landwirte haben gewonnen, und die Glaubwürdigkeit des Parlaments hat gewonnen." In Verhandlungen mit den EU-Mitgliedsstaaten hatte sich das Europaparlament schließlich geeinigt, dass die EU-Kommission ab einer Importsteigerung von acht Prozent bei sensiblen Gütern eingreifen kann. 

Die Autorin ist freie Korrespondentin in Brüssel.

Auch lesenswert

Svenja Hahn im Portrait
Freihandelsdeal mit Lateinamerika: "Jedes weitere Handelsabkommen ist ein Beitrag für Wachstum"
FDP-Europapolitikerin Svenja Hahn macht sich für das umstrittene Mercosur-Handelsabkommen stark. Sie meint: Gerade die deutsche Wirtschaft würde davon profitieren.
Kuhherde auf einem Feld
Handel mit Lateinamerika: Mehrheit im Bundestag begrüßt Mercosur-Abkommen
Der Bundestag debattierte in einer Aktueller Stunde über freieren Warenverkehr zwischen der EU und Südamerika. Es gibt viel Zustimmung, aber auf heftige Kritik.
Ursula von der Leyen und Maroš Šefčovič im Gespräch
Europäische Zollpolitik: Wer in Brüssel über Zölle und Gegenmaßnahmen entscheidet
Im Handelsstreit mit den USA ist die EU-Kommission der entscheidende Spieler auf der europäischen Ebene. Das EU-Parlament spielt allenfalls eine Nebenrolle.