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Rechtskonservativer wird Polens neuer Präsident : Mit Nawrocki weht der Wind aus Warschau rauer

Das Regieren wird für Donald Tusks Mitte-Links-Koalition schwieriger. Auch für Deutschland, die EU und nicht zuletzt die Ukraine hat die Wahl Nawrockis Folgen.

04.06.2025
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4 Min
Foto: picture alliance / Anadolu

Karol Nawrocki (vorne) wird neuer polnischer Präsident. Am Abend der Stichwahl ließ er sich zusammen mit seiner Familie in Warschau von Anhängern feiern.

Erst am Montagabend tauchte Donald Tusk nach fast 24-stündiger Abwesenheit mit einer Ansprache an die Nation im polnischen Fernsehen wieder auf. 15 Stunden zuvor war bekannt geworden, dass der von seiner Regierung unterstützte liberale Präsidentschaftskandidat Rafal Trzaskowski in der Stichwahl gegen den Kandidaten der oppositionellen, rechtskonservativen PiS, Karol Nawrocki, knapp verloren hatte. 

Nur rund 370.000 Wählerstimmen trennten am Schluss die beiden Kandidaten. Nach Auszählung aller Wahllokale erhielt der 42-jährige EU-Skeptiker Nawrocki 50,9 Prozent der Stimmen; auf den pro-europäischen Warschauer Bürgermeister Traskowski von der Bürgerplattform (PO) entfielen 49,1 Prozent.

Die Koalition des pro-europäischen Premiers Tusk ist geschwächt

Für Tusk und seine Mitte-Links-Koalition bedeutet das eine harte Niederlage. Das Drei-Parteien-Bündnis ist politisch angeschlagen - unklar, ob es unter den neuen Bedingungen überhaupt bis zum Ende der Legislaturperiode Ende 2027 halten kann. In seiner Fernsehansprache versuchte der Premier so auch gleich, die Reihen zu schließen, indem er ankündigte, am kommenden Mittwoch im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen. Die Regierungsarbeit unter dem neuen Präsidenten erfordere "Einheit und Mut", sagte Donald Tusk. Die Vertrauensabstimmung im Sejm, dem polnischen Parlament, solle dafür ein Test sein.

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Gleichzeitig kündigte er an, mit dem neuen Präsidenten "wo dies notwendig und möglich ist" zusammenarbeiten zu wollen. Die Reformen würden weiter vorangetrieben, versprach der Regierungschef. Eigentlich hatte Tusk gehofft, mit einem liberalen Präsidenten endlich zentrale Vorhaben seiner Koalition umzusetzen: vor allem die Wiederherstellung des Rechtsstaats, nach dem dieser durch die Justizreform der PiS-Vorgängerregierung erheblich Schaden genommen hatte. Entsprechende Gesetzentwürfe wurden jedoch bislang von dem ursprüngliche aus den Reihen der PiS stammenden amtierenden Präsidenten Andrzej Duda blockiert.

Zentrale Wahlversprechen konnte die Tusk-Regierung nicht einhalten

Für den Reformstillstand verantwortlich ist aber nicht allein der Präsident. Auch der Regierung gelang es kaum, eines ihrer hundert Wahlversprechen umzusetzen - zu oft fehlte dem Dreier-Bündnis die gemeinsame Basis: So wurden in den anderthalb Regierungsjahren weder das von der PiS-Regierung zuvor verschärfte Abtreibungsrecht in Polen liberalisiert noch gleichgeschlechtliche Partnerschaften gesetzlich anerkannt. 

Auch der Jugend hat Tusks Koalition kaum etwas Substanzielles angeboten. Unterstützten 2023 noch mehr als 60 Prozent der 18- bis 29-Jährigen Tusk, wandte sich diese hochpolitisierte Gruppe nun mehrheitlich Nawrocki zu: Mit seinen aufpeitschenden, patriotischen Reden konnte er 52 Prozent der Jüngeren für sich gewinnen. Das Wahlergebnis sei eine "rote Karte" für die Tusk-Regierung, sagte PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski und forderte sie zum Rücktritt auf.

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In der Koalition hat derweil die Suche nach den Sündenböcken für die empfindliche Niederlage begonnen. Selbst in regierungsfreundlichen Medien wird über einen möglichen Rücktritt Tusks zugunsten von Außenminister Radoslaw Sikorski (PO) oder Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamys vom Koalitionspartner "Dritter Weg" spekuliert. Als sicher gilt indes einzig eine von Tusk bereits vor der Präsidentenwahl angemahnte Regierungsumbildung.

Polens neuer Präsident ist Verfechter hoher Reparationsforderungen an Deutschland

Mit dem designierten Präsidenten Nawrocki wird die Zusammenarbeit für die Koalition in jedem Fall nicht leichter werden, als sie es mit dem noch bis zu 6. August amtierenden Andrzej Duda ist. Dieser gilt als gemäßigt und kompromissbereit. Nawrocki hingegen - bislang Leiter des staatlichen Instituts für Nationales Gedenken, das für die Aufarbeitung von kommunistischen und nationalsozialistischen Verbrechen zuständig ist - hat zwar kaum politische Erfahrung, zeigte sich dafür im Wahlkampf umso kämpferischer. 

Er wetterte gegen den EU-Migrationspakt und eine vertiefte Integration. Da der Präsident laut polnischer Verfassung in der Außenpolitik Mitspracherechte hat, wird es für die Regierung nun noch schwieriger werden, ihren pro-europäischen Kurs zu halten. Die Gefahr, dass Polen ins Lager der EU-Blockierer rund um Ungarns Regierungschef Viktor Orban abdriftet, besteht indes nicht. Die Europa-Politik wird von der Regierung und nicht dem Präsidenten bestimmt.

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Ein rauerer Wind als unter Duda könnte dagegen in Richtung Berlin und Kiew wehen. Nawrocki gilt als Verfechter hoher Reparationsforderungen an Deutschland, so wie sie auch die PiS-Regierung zwischen 2015 und 2023 vertreten hat. Das Argument der Bundesregierung, für Weltkriegsentschädigungen fehle die Rechtsgrundlage, lässt der promovierte Historiker Nawrocki nicht gelten. Auch dürfte er Deutschland ein Streben nach Hegemonie in Europa vorwerfen und es allen Beteuerungen von Bundeskanzlers Friedrich Merz zum Trotz als unzuverlässigen Partner in Sicherheitsfragen ansehen.

Rechtskonservativer Nawrocki will sich gegen einen Nato-Beitritt der Ukraine stellen

Garant polnischer Sicherheitsinteressen sind für Nawrocki ohnehin die USA; im Wahlkampf wurde er aktiv von der MAGA-Bewegung ("Make America Great Again") unterstützt und von US-Präsident Donald Trump gar zu einem Kurzbesuch im Oval Office empfangen.

Am Montagabend versprach Nawrocki seinen Anhängern auf der Plattform "X", dass er sich als Staatspräsident gegen einen Nato-Beitritt der Ukraine stellen werde. Auch bei der Militärhilfe für das angegriffene Nachbarland orientiert er sich eher an Trumps kritischer Linie als an der Europäischen Union: Der Regierung in Kiew warf er wiederholt vor, sich zu wenig dankbar zu zeigen für die militärische und humanitäre Unterstützung aus Polen seit dem russischen Überfall.

Der Autor ist freier Osteuropa-Korrespondent und lebt in Warschau.