Gedenken und Propaganda : Machtdemonstration in Moskau
Präsident Putin hat den 9. Mai zur einer martialischen Siegesfeier umgeformt. Neben Militärgerät präsentiert er auch Kinder und Jugendliche der Junarmija.
Präsident Wladimir Putin lässt mehr als 10.000 Soldaten aufmarschieren - auch Soldaten zahlreicher anderer Staaten sowie russische Teilnehmer, die im Krieg gegen die Ukraine kämpfen: eine Machtdemonstration. Zu seiner Waffenschau waren am Freitag Staats- und Regierungschefs aus 29 Ländern angereist, als Hauptgast Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. Außerdem Diktatoren wie Aljaksandr Lukaschenka aus Belarus und der monarchistisch regierende Ilham Alijew aus Aserbaidschan sowie Serbiens Präsident Aleksandar Vucic. Aus der EU hatte nur Robert Fico, Premierminister der Slowakei, teilgenommen. Den Gästen und aller Welt wurde schwere Militärtechnik gezeigt: Panzer, Flugabwehrraketen und Raketensysteme, darunter die Kurzstreckenrakete Iskander sowie die Interkontinentalrakete Sarmat.

Jugendliche der russischen Militär- und Erziehungsorganisation Junarmija bei den Militärsportspielen „Pobeda“ (Sieg) im Sommer 2022.
Das war nicht immer so: Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes, am 9. Mai 2005, rollte kein einziger Panzer über den Roten Platz. Soldaten marschierten, aber im Mittelpunkt standen die Veteranen. 5.000 fuhren auf offenen Wagen am Kreml vorbei, sie winkten mit roten Nelken, und die Fernsehkameras zeigten minutenlang Gesichter von Frauen und Männern, die den ganzen Schrecken des Weltkrieges noch erlebt hatten. Das waren berührende Bilder, und vor allem ging es um Menschen.
Der 9. Mai war in Moskau einmal ein Tag stiller Trauer
Die Zeiten haben sich geändert. Wladimir Putin hat den Tag des Kriegsendes zu einer pompösen und martialischen Siegesfeier umgeformt. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war der 9. Mai ein Tag stiller Trauer, begangen in den Familien. Für die Sowjetunion als "Arbeiter- und Bauernstaat" waren die Paraden am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, und die zur Oktoberrevolution wichtiger. Doch 1965 wurde der 9. Mai ein arbeitsfreier Trauertag. Nach dem Ende der Sowjetunion wurde der Tag zunächst gar nicht mehr großartig gefeiert, von 1995 bis 2007 gab es zwar eine Parade, aber ohne Militärtechnik. 2008 präsentierte Russland dann zum ersten Mal wieder Panzer und Interkontinentalraketen. Passend zum neuen Kurs, den Putin auf der Sicherheitskonferenz in München 2007 angekündigt hatte. Drei Monate später rollten russische Panzer durch Georgien.
„Es ist äußerst wichtig, den Feiertag mit Sinn zu füllen.“
Das diesjährige 80. Jubiläum ist mit Propaganda überladen. Wladimir Putin hat das gesamte Jahr 2025 zum "Jahr des Vaterlandsverteidigers" erklärt. Der Tag des Sieges habe eine "wahrhaft kolossale" Bedeutung "für das Schicksal Russlands und für den Charakter und die Werte unseres Volkes". Das Vaterland zu verteidigen, dem Vaterland zu dienen, bleibe eine "heilige Sache". Veteranen des "Großen Vaterländischen Krieges" seien ein Vorbild für unbedingten Patriotismus. Von ihnen leben nach offiziellen Angaben noch etwa 7.000. Und so kümmert sich Putin vor allem um die Jugend. Den Ministern und Gouverneuren, die die 9. Mai-Feiern vorbereiten, trug er auf: "Es ist äußerst wichtig, den Feiertag mit Sinn zu füllen." Es gehe um die "historische Wahrheit". Die junge Generation müsse ein "souveränes Bewusstsein" entwickeln.
Mehr dazu lesen

Die Parade auf dem Roten Platz wird tagelang minutiös geprobt, damit jeder Soldat weiß, auf welchem Pflasterstein er stehen muss. Sie beginnt wie in jedem Jahr pünktlich um 10 Uhr und null Sekunden Moskauer Zeit mit dem Schlag der Turmuhr. In der folgenden Stunde marschieren tausende Soldaten zur Marschmusik mehrerer Militärkapellen. Panzer und Trägerraketen rollen über den Platz, so dass die Innenstadt zittert. Wie schon im vergangenen Jahr marschierten wieder Teilnehmer des Krieges gegen die Ukraine, den Russland noch immer "militärische Sonderoperation" nennt, durch Moskau. Die Idee dahinter ist, dass Russland den Zweiten Weltkrieg nicht zu Ende gekämpft habe, erneut müssten Faschisten besiegt werden.
Im russischen Staatsfernsehn laufen Anfang Mai Kriegsfilme
Auch das Fernsehprogramm hat die Menschen bereits Tage vorher auf den "Tag des Sieges" eingestimmt. Es laufen vermehrt Kriegsfilme aus der Sowjetzeit, in den Kindergärten malen die Kleinen im Frühjahr Panzer statt Marienkäfer. Seit Jahren sind sie angehalten, alten Menschen zum Sieg zu gratulieren: “Spasibo dedu za pobedu” - "Danke, Großvater, für den Sieg." Am Feiertag herrschte Volksfeststimmung. Junge Frauen trugen Uniformteile aus den 1940er Jahren zu High Heels und T-Shirts mit dem Konterfei des Massenmörders Stalin. Der Sieg im Zweiten Weltkrieg ist Teil der russischen Popkultur.
Die Parade in Moskau war auch ein Blick in die Zukunft Europas. In beigefarbenen Uniformen mit roten Baretten marschierten Angehörige der Junarmija mit. Laut eigenen Angaben hat Russland 1,75 Millionen Kinder und Jugendliche zwischen acht und 18 Jahren unter Waffen. Sie werden auf Hass getrimmt und in dem Glauben bestärkt, dass der Westen sie vernichten will. Komplette Schulklassen treten geschlossen der Junarmija bei. Vor allem Kinder von Armeemitgliedern sind angehalten, mitzumachen. Außerdem holt der Staat Kinder aus Waisenhäusern in die Organisation. Für den reibungslosen Ablauf sorgt ausgerechnet die Beauftragte des Präsidenten für Kinderrechte. Die Jungarmisten gelten als Wladimir Putins Vermächtnis an die nächsten Generationen.
Der Autor ist freier Osteuropa-Korrespondent.

Am 8. Mai erinnert Frankreich an das Ende des Zweiten Weltkriegs. Lange wurde dabei die Beteiligung des Vichy-Regimes an den NS-Verbrechen verschwiegen.

Bundespräsident Steinmeier und Bundestagspräsidentin Klöckner mahnen eine auf die Zukunft gerichtete Erinnerungskultur an.

Vor 40 Jahren hielt Richard von Weizsäcker seine berühmte Rede zum Jahrestag des Kriegsendes. Nicht als erster sprach er dabei von einem "Tag der Befreiung".