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Foto: Uri Schneider
"Friede sei mit Israel" – die Hoffnung darauf war am Montag groß unter den Feiernden in Tel Aviv. Auf dem „Platz der Geiseln“ haben sie die Rückkehr der 20 überlebenden Verschleppten bejubelt.

Waffenstillstand zwischen Israel und Hamas : Scheitert Trumps Frieden an der Realität im Nahen Osten?

Die Unterschriften auf dem Friedensabkommen sind kaum trocken, schon wachsen die Zweifel. Haben Israel und die Hamas wirklich den Willen, den Kampf zu beenden?

16.10.2025
True 2025-10-16T17:41:17.7200Z
5 Min

Amit Segal blickt kurz auf sein Handy, legt es zur Seite und schaut provokativ in die Runde der Fernsehjournalisten im Studio: "Ihnen ist ja wohl allen klar, dass es nicht zu einer zweiten Phase kommen wird?" Segal ist politischer Kommentator in Israels populärstem Fernsehsender Channel 2 und gilt als das Sprachrohr von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in der allabendlichen Talkrunde der Primetime-Nachrichten. Die "zweite Phase", das ist der nächste Schritt des von US-Präsident Donald Trump vorgelegten Friedensabkommens zwischen Israel und der Hamas.

Segal könnte recht behalten. Netanjahus Bilanz, Vereinbarungen einzuhalten, ist wenig beeindruckend - seien es Koalitionsverträge, politische Versprechen oder Waffenstillstandsabkommen mit der Hamas wie das im vergangenen Februar. Auch da sollten beide Seiten nach dem Austausch von israelischen Geiseln und palästinensischen Gefangenen in einer zweiten Phase ein permanentes Kriegsende verhandeln. 

Der Trump-Plan auf einen Blick

✌️ Der von US-Präsident Donald Trump vorgelegte Friedensplan sieht im ersten Schritt eine Waffenruhe vor.

🏡 Alle 48 Geiseln sollten binnen 72 Stunden freikommen oder ihre Leichen überführt werden. Israel soll dafür rund 2.000 palästinensische Häftlinge freilassen.

🤝Danach soll über den vollständigen Rückzug Israels aus Gaza, eine internationale Stabilisierungstruppe und eine Übergangsregierung palästinensischer Technokraten unter internationaler Aufsicht verhandelt werden.



Unter Druck seiner rechtsextremen Koalitionspartner machte Netanjahu keinen Hehl daraus, dass er keine Absicht habe, die Verhandlungen überhaupt anzutreten. Unter dem Vorwand, die Hamas habe ihr unterbreitete Vorschläge abgelehnt, brach er den Waffenstillstand mit einer Reihe von Luftangriffen.

Trump wird in Tel Aviv als “Friedensengel” empfangen

Doch seitdem hat sich der Wind gedreht. Israels Luftangriff auf Katar, mit dem es Hamas Verhandlungsführer Khalil al-Hajja ausschalten wollte, ging der US-Administration einen Schritt zu weit. Trump berief Netanjahu ins Weiße Haus, nötigte ihn, sich in einer offenen Demütigung telefonisch bei Katar zu entschuldigen; laut "Politico" in Anwesenheit eines hohen Diplomaten aus Doha.

Foto: picture alliance/dpa/Abed Rahim Khatib

Zeitgleich mit der Übergabe der isralischen Geiseln fand die Freilassung von palästinensischen Gefangenen statt. Bewaffnete Kämpfer begleiteten die Fahrzeuge des Internationalen Roten Kreuzes.

Tage später wird Trump in Tel Aviv als der Friedensengel empfangen, für den er sich selbst hält. Kein kleines Trostpflaster für den Friedensnobelpreis, den ihm das Nobelkomitee in Oslo nur drei Tage vorher verweigerte. Die israelische Zivilgesellschaft bejubelt ihn. Zwei Tage vor der Befreiung der 20 noch lebenden Geiseln prangte ein riesiges Banner auf dem Platz der Geiseln: "Nobel President Trump".

In einer Rede vor fast einer halben Million Israelis nannte sein Abgesandter Steve Witkoff den Platz einen "heiligen Ort". Als er Netanjahu erwähnte, erntete er massive Buhrufe. Der israelische Premier hatte den Platz, auf dem sich Angehörige und Freunde der nach Gaza Verschleppten seit dem 7. Oktober 2023 immer wieder versammelt hatten, kein einziges Mal besucht. Für die Angehörigen der Geiseln ist Witkoffs Besuch ein Paradebeispiel an Empathie, das sie von ihrer eigenen Regierung zwei lange Jahre erhofft hatten.

Eine Stunde lang spricht der US-Präsident vor der Knesset

Trump wurde bei seinem Blitzbesuch im israelischen Parlament, der Knesset, von Netanjahus Kabinett mit tosendem Applaus empfangen, auch vom rechtsextremen Finanzminister Bezalel Smotrich, der noch Tage davor öffentlich davon geträumt hatte, den Gazastreifen mit anderthalb Millionen jüdischen Israelis neu zu besiedeln und die Palästinenser in muslimische Länder zu vertreiben.


„Heute ist der Himmel ruhig, die Waffen schweigen, in einer Region, die für alle Ewigkeit in Frieden leben wird.“
US-Präsident Donald Trump

Trumps Timing war perfekt. Seine Rede in Jerusalem begann fast im selben Moment, in dem die ersten Bilder der freigelassenen Geiseln zu sehen waren. Von Evyatar David, den die Hamas in einem grausamen Video sein eigenes Grab hatte schaufeln lassen, in den Armen seiner Eltern. Von Alon Ohel, einem jungen Pianisten, der in der Geiselhaft auf seinem Körper Klavier spielte, um nicht den Verstand zu verlieren. Stunden nach seiner Freilassung saß er am Klavier eines Tel Aviver Krankenhauses und spielte zum ersten Mal seit dem 7. Oktober 2023.

"Heute ist der Himmel ruhig, die Waffen schweigen", sagte Trump zu Beginn seiner Rede, "in einer Region, die für alle Ewigkeit in Frieden leben wird". Eine Stunde lang sprach Trump vor der Knesset, lobte den gemeinsamen Luftkrieg gegen den Iran, forderte Israels Präsident Isaac Herzog zu einer Amnestie Netanjahus auf, der wegen Korruption und Veruntreuung vor Gericht steht, und beschwor immer wieder einen neuen Nahen Osten.

Die Hamas hat eine vollständige Entwaffnung bereits abgelehnt

Doch der bleibt in weiter Ferne. Als Trump Netanjahu zur feierlichen Unterzeichnung des Abkommens ins ägyptische Sharm-El-Sheikh einlädt, winkt der Premier ab; wegen des beginnenden jüdischen Feiertages sei es ihm unmöglich, Israel zu verlassen. 

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Wahrscheinlicher ist, dass er vor seiner politischen Basis nicht zusammen mit arabischen Staatsoberhäuptern als Friedensmacher gesehen werden will wie seinerzeit Jitzhak Rabin und Shimon Peres mit Jassir Arafat auf dem Rasen des Weißen Hauses. Ein Ultimatum, laut dem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gedroht haben soll, sein Flugzeug auf dem Weg nach Ägypten umzudrehen, sollte Netanjahu am Gipfel teilnehmen, kann dem Premier nur in die Karten gespielt haben.

Nicht nur Netanjahu scheint widerwillig, die zweite Phase des Abkommens anzugehen. Die Hamas hätte schon zu Beginn der Implementierung der ersten Phase alle 28 Leichen der in der Geiselhaft Ermordeten an Israel übergeben sollen. Bisher überführten sie nur wenige. Würde sie die Übrigen als Druckmittel behalten, wäre das ein Verstoß gegen das Abkommen. Dieses beinhaltet auch die Entwaffnung der Hamas - eine Klausel, die die Islamisten bereits abgelehnt haben. Sie seien nicht bereit, sich "defensiver Waffen" zu entledigen. Was das heißt, ist unklar.

Laut Israels Premier Netanjahu ist der Krieg noch nicht am Ende

Die Bilder der vergangenen Tage, in denen bewaffnete Hamas-Terroristen in Gaza patrouillieren und Mitglieder anderer Milizen entführen, foltern und öffentlich ermorden, lassen nichts Gutes erwarten. Weder Armeen arabischer Staaten noch internationale Truppen würden sich darauf einlassen, unter diesen Bedingungen in Gaza einzumarschieren.

Mit dem Trump-Abkommen hat die Hamas die Geiseln als Faustpfand verloren. Mehr nicht. Schon jetzt verkündete sie, der bewaffnete Kampf würde weitergehen, solange die Besatzung anhalte.

Fast zeitgleich lässt Netanjahu verlauten, der Krieg sei noch nicht am Ende. Wie so viele Friedensvisionen seiner Vorgänger, droht auch Trumps "Frieden für alle Ewigkeit" an der Realität des Nahen Ostens zu scheitern.

Der Autor ist Journalist und Filmemacher. Er lebt in Israel.

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