
Immunität und Indemnität : Das bedeutet die Immunität von Bundestagsabgeordneten
Abgeordnete stehen nicht über dem Gesetz. Bei der Strafverfolgung hat der Bundestag allerdings ein Wort mitzureden - ein Überblick in fünf Fragen und Antworten.
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Ein Sitzungsdonnerstag im Juni 2025. Die Abgeordneten haben gerade hitzig über die Erhöhung ihrer Diäten diskutiert, da verkündet Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow (Linke) als Sitzungsleiter eine kurzfristige Änderung der Tagesordnung. Drei Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung sollen abgestimmt werden - es geht um Immunitätsangelegenheiten.
Widerspruch gibt es nicht. Wenige Minuten später ist die Immunität zweier Abgeordneter aufgehoben, gegen sie dürfen nun Strafverfahren geführt werden. Ein dritter Antrag wird abgelehnt. Was genau regeln Immunität und Indemnität - und wozu sind diese Regelungen gut?
Was bedeuten die Begriffe Immunität und Indemnität?
Immunität und Indemnität sichern die unabhängige Amtsausübung von Bundestagsabgeordneten. Beide sind in Artikel 46 des Grundgesetzes geregelt - mit unterschiedlichen Zielrichtungen:
Die Indemnität (Art. 46 Abs. 1 GG) schützt Abgeordnete dauerhaft vor dienstlicher oder gerichtlicher Verfolgung wegen ihrer Äußerungen und Abstimmungen im Bundestag, seinen Ausschüssen und Fraktionen - auch über das Mandat hinaus. Diesen Schutz kann der Bundestag nicht aufheben. Er gilt aber nicht bei verleumderischen Beleidigungen. Verstöße gegen die parlamentarische Ordnung können vom Bundestag selbst sanktioniert werden - etwa durch Ordnungsrufe oder Sitzungsausschluss.
Die Immunität (Art. 46 Abs. 2-4 GG) schützt Abgeordnete während ihres Mandats vor Strafverfolgung und bestimmten Zwangsmaßnahmen. Diese Sperre gilt nicht absolut: Der Bundestag kann sie aufheben, etwa um Ermittlungen oder eine Anklage zu ermöglichen. Er kann die Immunität auch wiederherstellen.
Im Gegensatz zur Indemnität, die einen "Strafausschließungsgrund" darstellt, handelt es sich bei der Immunität um ein "Strafverfolgungshindernis", wie der Bundestagsausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung in einer Handreichung an die Abgeordneten erläutert. Das bedeutet: Die Abgeordneten stehen nicht über dem Gesetz, sie sind nicht "immun" gegen eine Strafverfolgung, sie wird nur an eine weitere Voraussetzung - die Genehmigung durch das Parlament - geknüpft.
Warum genießen Abgeordnete einen besonderen Schutz?
Das Immunitätsrecht hat eine lange parlamentshistorische Geschichte und findet sich in eigentlich jedem parlamentarischen System. Der Schutz der Abgeordneten vor Strafverfolgung soll vor allem das Funktionieren der Parlamente sicherstellen, etwa vor einer politisch motivierten Verfolgung missliebiger Abgeordneter durch die Exekutive.
Das hat auch das Bundesverfassungsgericht Ende 2001 in einem Urteil betont. Geklagt hatte seinerzeit der Unionsabgeordnete und spätere Kanzleramtsminister Roland Pofalla, der sich gegen die Aufhebung seiner Immunität und die Genehmigung zum Vollzug von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen im Mai 2000 gewandt hatte. Die Durchsuchungen fanden unmittelbar vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen statt, Pofalla war als möglicher Justizminister im Gespräch.
„Die Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Strafverfolgungsmaßnahmen darf der Bundestag im Übrigen den Gerichten überlassen“
Die Karlsruher Richterinnen und Richter betonten in ihrem Urteil allerdings, dass Pofalla nur einen Anspruch darauf hatte, dass "die Entscheidung über die Aufhebung seiner Immunität frei von Willkür getroffen wird". Der Bundestag müsse eigentlich nur die Frage prüfen, "ob durch eine bewusst sachfremde Strafverfolgung die repräsentative Zusammensetzung des Parlaments verändert wird". Nicht geprüft werden müsse beispielsweise, ob die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten nachteilige Folgen für dessen Position bei einer Landtagswahl oder bei der Übernahme sonstiger politischer Ämter entfalte. "Die Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Strafverfolgungsmaßnahmen darf der Bundestag im Übrigen den Gerichten überlassen", teilte das Gericht weiter mit. Tatsächlich wurde die Hausdurchsuchung im Fall Pofalla später als rechtswidrig eingestuft.
Was ist durch diese Schutzrechte abgedeckt - und was nicht?
Die Indemnität schützt nur Äußerungen und Abstimmungen im parlamentarischen Raum - also im Plenum, in Ausschüssen sowie in amtlichen Drucksachen. Sie greift nicht für Aussagen etwa auf Social Media oder in Interviews.
Die Immunität betrifft grundsätzlich Strafverfahren jeder Art, Anklagen und Strafbefehlserlasse, Zwangsmaßnahmen wie Verhaftungen oder Durchsuchungen und bestimmte zivil- oder disziplinarrechtliche Schritte. Allerdings hat der Bundestag in seiner Geschäftsordnung eine generelle Genehmigung für Ermittlungsverfahren - mit Ausnahme von Ermittlungen zu politischen Beleidigungen - verankert. Sie können ohne Einzelfallbeschluss beginnen, sofern die Bundestagspräsidentin und der betroffene Abgeordnete darüber informiert werden, bevor die Ermittlungen beginnen.
Alle weiteren Schritte - Durchsuchungen, Untersuchungshaft oder Anklageerhebungen - sind genehmigungspflichtig. Für besonders eingriffsintensive Maßnahmen wie Durchsuchungen oder Beschlagnahmen gelten zusätzliche Schutzvorgaben: Beim Vollzug muss ein weiteres Bundestagsmitglied anwesend sein - benannt vom Präsidenten in Absprache mit der betroffenen Fraktion.
Wird eine Abgeordnete als Zeugin geladen, greift die Immunität nicht - es sei denn, es sind freiheitsbeschränkende Maßnahmen wie Erzwingungshaft vorgesehen. In solchen Fällen ist eine gesonderte Zustimmung des Bundestags notwendig. Abgeordnete können nach Artikel 47 GG das Zeugnis verweigern, wenn ihnen Informationen in ihrer Funktion anvertraut wurden. Dieses Recht schützt auch ihre Unterlagen - sie dürfen nicht beschlagnahmt werden.
Wie läuft ein Immunitätsverfahren ab?
Liegt ein Antrag auf Durchsuchung, Anklage oder andere genehmigungspflichtige Maßnahme vor, prüft zunächst der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung den Vorgang. In einfachen Fällen - etwa Verkehrsverstößen - kann er selbst eine "Vorentscheidung" treffen. Diese gilt nach sieben Tagen ohne Widerspruch automatisch als Bundestagsbeschluss.
In allen anderen Fällen entscheidet das Plenum des Bundestages auf Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses. Debattiert wird über die Vorlagen nicht. Die Zustimmung gilt nicht als Schuldfeststellung, sondern gibt lediglich den Weg für das Verfahren frei. Worum es geht, erfährt man aus der Vorlage nicht - der konkrete Vorwurf wird dort nicht aufgeführt.
Wie häufig wird über Immunität entschieden?
Immunitätsangelegenheiten sind selten, aber regelmäßiger Bestandteil der Parlamentsarbeit. Die Praxis zeigt auch: In der Regel lässt der Bundestag die Strafverfolger ihre Arbeit tun. In der vergangenen Wahlperiode genehmigte das Parlament 21 von 22 Anträgen auf Straf- oder Disziplinarverfahren oder Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen. In der 19. Wahlperiode waren es 25 genehmigte Anträge, einer wurde nicht behandelt bzw. eingestellt.